Wie die VW-Batterietochter Powerco vom Start-up zum Global Player werden will
Im Interview: Kai Alexander Müller
“Powerco hat Anziehungskraft”
Der Finanzchef der VW-Batterietochter über Start-up-Mentalität, Meilensteine und die Option eines Börsengangs
Mit der Grundsteinlegung für die erste konzerneigene Zellfabrik in Salzgitter und einem neuen Unternehmen ist Volkswagen im Juli 2022 in das kapitalintensive Batteriegeschäft gestartet. Von einem Start-up soll die Powerco binnen weniger Jahre zum Global Player avancieren. Auch die Option Börsengang steht im Raum.
Herr Müller, Sie haben lange als Analyst von Großbanken in London gearbeitet. Seit dem Start von Powerco im vergangenen Jahr sind Sie Chief Financial Officer (CFO) der Volkswagen-Batterietochter. Was reizt Sie an der Aufgabe?
Als Analyst habe ich die Autoindustrie über mehrere Jahre hinweg beobachtet und Strategien bewertet. Volkswagen hat 2021 ambitionierte Pläne für eigene Batterieaktivitäten vorgestellt und mit Powerco eines der interessantesten Start-ups in Europa initiiert. Als CFO am Aufbau der Batteriezellproduktion eines der weltgrößten Fahrzeugbauer mitzuwirken, finde ich sehr spannend.
Sie sprechen von einem Start-up. Powerco ist als Teil eines Großkonzerns mit dem Ziel gestartet, ein globaler Batterie-Player zu werden, der bis 2030 einen Umsatz von 20 Mrd. Euro erreicht.
Ein Start-up-Unternehmen definiert sich nicht allein durch seine Größe. Wichtig ist die Mentalität, mit der das Unternehmen agiert und wächst. Wir wollen die Kultur eines agilen Start-ups auch dann bewahren, wenn wir deutlich größer sein werden als heute. Das ist uns sehr wichtig, nicht zuletzt, weil es auch darum geht, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und weltweit Talente zu gewinnen.
Wie können Sie sich im Wettbewerb mit arrivierten asiatischen Batterieherstellern wie CATL, LG Energy Solutions, Samsung und anderen um diese Talente denn durchsetzen?
Es gibt weltweit viele Interessenten. Wir bewegen uns in einem Markt mit hervorragenden Perspektiven. Schätzungen besagen, dass sich die weltweite Batterienachfrage bis 2030 auf rund 3,3 Terawattstunden in etwa verneunfachen wird. Der größte Teil davon wird auf den Bereich der Elektromobilität entfallen. Das Interesse, in diesem Markt die eigenen Karrierepläne umzusetzen, ist riesig. Als Tochterfirma von Volkswagen, als eigenständiges Unternehmen, das auf die Unterstützung eines großen Fahrzeugherstellers setzen kann, haben wir gute Chancen, einen Zellproduzenten in Europa und Nordamerika aufzubauen, der im Wettbewerb bestehen kann. Wir sehen uns als „Fast Follower“, weil wir später gestartet sind. Aber wir arbeiten mit Volldampf daran, im globalen Markt der Zellhersteller aufzuholen. Das wird erkannt.
Inwiefern?
Wir gewinnen sehr talentierte Menschen. Unser Chief Technology Officer (CTO) Soonho Ahn etwa ist von Apple zu uns gekommen, wo er Leiter des Batteriegeschäfts war. Er hat auch für Samsung und LG Chem gearbeitet, das jetzt LG Energy Solutions heißt, und kennt sich im Batteriegeschäft extrem gut aus. Ihn hat nach der Entwicklung von Smartphone- und Laptop-Batterien ein deutliches größeres Zellformat gereizt. Und dank der Unterstützung unserer Konzernmutter gibt es bei Powerco beträchtliche Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten. Deshalb haben wir auf allen Team-Ebenen eine größere Anzahl internationaler Top-Experten an Bord holen können.
Zahl der Beschäftigten steigt
Wo stehen Sie gerade?
Vor einem Jahr mit rund 350 Mitarbeitern gestartet, kommt Powerco inzwischen auf 1.000 Beschäftigte aus 27 Nationen. Mehr als ein Viertel von ihnen kommen nicht aus Deutschland. Das zeigt schon jetzt: Powerco hat Anziehungskraft. Viele merken, dass Powerco die ideale Kombination aus Start-up Mentalität und der Verlässlichkeit eines etablierten Konzerns bietet. Mit dem Paket können wir überzeugen. Wir arbeiten aber auch mit Partnern wie dem chinesischen Batteriehersteller Gotion zusammen, mit dem wir zum Beispiel gemeinsam die Zellentwicklung vorantreiben. Wir verfügen, was die Zellchemien angeht, über eine gute Roadmap. Wir sind „on par“ mit anderen Zellherstellern.
Wo wird Powerco beim Personal stehen, wenn der Umsatz 2030 wie geplant bei 20 Mrd. Euro liegt?
Das hängt letztlich vom Hochlauf der Kapazitäten ab. Wir haben uns in Europa mit Salzgitter und Valencia bislang für zwei Standorte entschieden, in denen wir 2025 bzw. 2026 mit der Produktion der Einheitszelle beginnen wollen. Geplant ist, dass die Gigafabrik in Salzgitter künftig rund 2.500 Menschen beschäftigen wird, die Gigafabrik Valencia mehr als 3.000. Wir haben angekündigt, dass wir Zellfabriken mit jährlich insgesamt 240 Gigawattstunden Leistung betreiben wollen. Damit könnten wir perspektivisch 17.000 bis 20.000 Arbeitsplätze schaffen.
Wie geht es mit den Entscheidungen für weitere Standorte in Europa weiter?
Seit dem Start der Powerco im Juli 2022 haben wir uns mit Salzgitter, Valencia und St. Thomas/Ontario auf drei Standorte für Zellfabriken in Europa und Nordamerika festgelegt. Die jährliche Produktionskapazität liegt bei bis zu 200 Gigawattstunden – genug für rund 2,5 Millionen Elektrofahrzeuge. Mit Entscheidungen für weitere Standorte können wir uns noch etwas Zeit lassen. Hinzu kommt, dass der Volkswagen-Konzern einen Teil seines Zellbedarfs auch künftig mit externen Produzenten abdecken wird. Geplant ist, dass die Powerco in 2030 etwa die Hälfte der Zellvolumina, die der Konzern benötigt, abdecken wird. Was beim weiteren Ausbau unseres Fabriknetzes auch eine Rolle spielt, sind Rahmenbedingungen wie Energiepreise oder Förderkulissen in einzelnen Ländern und Regionen.
Wie sieht es mit einem Standort in Osteuropa aus? Hier sollte eine Entscheidung doch schon getroffen worden sein.
Osteuropa bleibt auf der Agenda. Es gibt aber – wie gesagt – keinen Druck für eine schnelle Entscheidung.
Fokus Europa und Nordamerika
Warum soll Powerco perspektivisch nur 50% des Zellbedarfs im VW-Konzern decken?
Wir konzentrieren uns mit der Powerco auf Europa und Nordamerika. In China gibt es bereits ein starkes Batteriezell-Cluster, das die Versorgung mit Batteriezellen absichert. Zudem basiert die Gründung der Powerco auf der Idee, bei der Elektrofahrzeugproduktion auf den aktuellen wie auf künftigen Plattformen eine Einheitszelle einzusetzen und Synergien zu nutzen. Die Einheitszelle wird die Batteriekosten um bis zu 50% reduzieren und soll in bis zu 80% aller Konzernmodelle zum Einsatz kommen.
Von welchen Herstellern lässt sich der VW-Konzern aktuell beliefern?
Bei dieser Frage bitte ich um Verständnis, dass ich sie als Vertreter des Zellherstellers Powerco nicht beantworten kann. Das steht nur dem Konzern zu.
Powerco soll über die Zellfertigung hinaus die gesamte Wertschöpfungskette abdecken, von der Rohstoffbeschaffung bis zum Batterierecycling. Welche Vorteile hat das für VW?
Wir diversifizieren die Lieferketten und werden damit unabhängiger. Wichtig ist dabei auch, über das notwendige Ausgangsmaterial für unsere Fabriken zu verfügen. Die vertikale Integration trägt zur Absicherung der Zellvolumina bei. Sie ist wichtig, weil der Rohstoffmarkt, der vor einem kräftigen Wachstum steht, in der erforderlichen Größenordnung noch gar nicht existiert. Deshalb haben wir uns mit dem belgischen Materialtechnologiekonzern Umicore auf ein Gemeinschaftsunternehmen verständigt, das in der Vorkette für die Kathodenmaterialherstellung verantwortlich ist. Zusätzlich kümmert sich die Powerco auch um die dafür erforderlichen Rohstoffe und deren Wiederverwendung im geschlossenen Kreislauf.
Joint Venture mit Umicore
Erklären Sie bitte die Relevanz der Zusammenarbeit mit Umicore.
Kathodenmaterial ist der wichtigste technologische Hebel für die Batterieleistung und größter Einzelfaktor bei den Gesamtkosten der Batterie. Geplant ist, dass das Joint Venture die europäischen Zellfabriken von Powerco ab 2025 mit Schlüsselmaterialien für die Produktion beliefern wird. Bis Ende des Jahrzehnts soll es Material für rund 160 Gigawattstunden Zellkapazität produzieren. Wir investieren gemeinsam: Umicore bringt die Technologie und wir das Know-how der Industrialisierung ein.
Das Joint Venture hat seinen Sitz in Brüssel. Wo wird der Produktionsstandort sein? Und wie wird das Joint Venture heißen?
Beides ist noch nicht final beschlossen und verkündet. Wir befinden uns aber auf gutem Weg.
Das Joint Venture mit Umicore gilt für Europa. Welche Pläne gibt es für Nordamerika?
Wir haben mit der kanadischen Regierung ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das auch die Rohstoffbeschaffung umfasst. Umicore ist in Kanada ebenfalls schon aktiv. Und wenn wir mit einem Partner gut zusammenarbeiten, dann liegt der Gedanke nahe, diese Kooperation auch auf andere Regionen auszuweiten.
Bis auf Weiteres geht es um die Weiterentwicklung von Lithium-Ionen-Batterien. Wann die Feststoffzelle für die Autohersteller auf breiter Ebene zur Verfügung stehen wird, ist noch unklar. Welche Fortschritte erwarten Sie?
Es handelt sich um eine herausfordernde Technologie, die Schritt für Schritt aus dem Labor in die Serie überführt werden muss. Zugleich gehen wir die Weiterentwicklung und Industrialisierung des so genannten Dry-Coating-Verfahrens an. Wir arbeiten gemeinsam mit dem Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer daran, in den Zellfabriken so schnell wie möglich ein neues Verfahren zur Trockenbeschichtung von Elektroden einzusetzen, das erhebliche Effizienz- und Nachhaltigkeitsvorteile bei der Volumenfertigung von Batteriezellen verspricht. Mit der Technologie lässt sich etwa der Energieverbrauch in der Zellfertigung um rund 30% reduzieren, zudem werden 15% weniger Fabrikfläche benötigt.
Mit welchen Fortschritten bei den Anschaffungskosten ist zu rechnen, wenn das Dry Coating in Anwendung ist, das Material-Joint-Venture läuft und die Einheitszelle verbaut wird? Welche Auswirkungen auf die E-Auto-Preise des Konzerns sind zu erwarten?
Beim Dry Coating rechnen wir mit deutlichen Einsparungen von Energieverbrauch und Investitionen in Maschinen. Bei der Rohstoffbeschaffung und der eigenen Kathodenmaterialfertigung haben wir große Kostenhebel stärker im Griff. Mit der konsequenten Standardisierung von Produkt und Produktion, also mit Einheitszelle und Standardfabrik, können wir erhebliche Skaleneffekte heben und 30% niedrigere Sachinvestitionen realisieren als Wettbewerber. Das kumuliert sich.
Investitionen in F&E
Laut der aktuellen Planungsrunde des Konzerns sind in den kommenden Jahren bis 2027 insgesamt 15 Mrd. Euro für Investitionen sowie Forschung und Entwicklung im Batteriebereich vorgesehen. Wie verteilen sich die Mittel?
Die Mittel fließen zum Großteil in den Aufbau des Produktionsnetzwerks in Salzgitter, Valencia und Kanada.
Es besteht der Plan, externe Partner zu gewinnen, um Investitionen in das Batteriegeschäft zu finanzieren?
Wir arbeiten mit einem sehr detaillierten Meilensteinplan, der unter anderem den Aufbau von Zellfabriken vorsieht. Der Konzern verschafft uns als erster Investor die Möglichkeit, den Plan umzusetzen. Wir könnten als Europäische Aktiengesellschaft aber auch externes Kapital heranholen. Wir haben unsere Story verschiedenen Investoren vorgestellt und wir verzeichnen großes Interesse, an dieser Wachstums-Story teilzuhaben.
Sind es eher institutionelle Investoren, Private-Equity-Gesellschaften oder Investoren aus der Industrie, die Sie sich als Partner vorstellen?
Für konkrete und belastbare Aussagen dazu ist es derzeit noch deutlich zu früh.
Wann wird Powerco bereit sein für einen Einstieg externer Investoren?
Konkrete Pläne gibt es derzeit noch nicht, aber wir halten uns alle Optionen offen und arbeiten darauf hin, ab dem kommenden Jahr unsere Kapitalstruktur öffnen zu können.
VW-Finanzchef Arno Antlitz sagte, es würde ihn nicht überraschen, wenn es 2024 so weit wäre.
Auch bei mir würde sich die Überraschung in Grenzen halten.
Börsengang nicht ausgeschlossen
Wie sieht es mit der Option eines Börsengangs für Powerco aus?
Der Aufbau unseres Geschäfts ist kapitalintensiv. Powerco bewegt sich in einem Wachstumssegment, das großes Interesse hervorruft. Wir verfolgen unseren Meilensteinplan. Wenn die relevanten Meilensteine erreicht sind, die Zellfabriken laufen und der Zeitpunkt stimmt, schließen wir auch einen Börsengang nicht aus.
Der Kapitalmarkttag von Volkswagen im Juni hat Hinweise geliefert, wann die Powerco schwarze Zahlen schreiben soll.
Wir wollen 2029 den operativen Break-even-Punkt erreichen. Das ist in Anbetracht der beträchtlichen Investitionen ein sportliches Ziel. Wenn die Fabriken hochlaufen, wenn die Skaleneffekte kommen, wird sich aus dem Break-even-Punkt später eine schöne Marge entwickeln. Unser strategisches Ziel ist eine EBIT-Marge von über 10%.
Wann ist damit zu rechnen?
Ich will mich nicht auf ein Jahr festlegen. Es wird in den frühen 2030er Jahren sein.
Wie lauten die Pläne für Powerco, sich über Fremdkapital zu finanzieren?
Wir prüfen alle möglichen Finanzierungsquellen. Für das, was wir derzeit umsetzen wollen, sind wir gut aufgestellt. Es gibt aber Möglichkeiten, vor allem für Zellfabriken, sich über Projektfinanzierungen auch Fremdkapital zu attraktiven Konditionen zu beschaffen. Wir können dann mit so wenig Kapital wie möglich so viel wie möglich umsetzen, um unsere strategischen Ziele zu erreichen. Mit der Powerco hat der Konzern die Aussicht, an einem strukturell stark wachsenden Markt mit guten Profitaussichten teilzunehmen und dadurch von der Bewertung der Powerco ganzheitlich zu profitieren.
Zur Person
Kai Alexander Müller ist seit 2022 Chief Financial Officer (CFO) der VW-Batterietochter Powerco. Der 33 Jahre alte Frankfurter studierte nach einem Schulabschluss in Brunei Materialwissenschaften mit Ökonomie und Management in Oxford. Seine Berufslaufbahn führte ihn als Analysten zur Barclays Bank, wo er das europäische Auto-Research-Team leitete. Kurz nach Enthüllung der Technologie-Strategie bis 2030 durch Volkswagen im März 2021 wechselte Müller zum Wolfsburger Autobauer.
Das Interview führte Carsten Steevens.