Wie Frankreich versucht, seinen Atomstrom niedrig zu halten
Serie Strompreise (4)
Wie Frankreich seinen Atomstrom günstig halten will
Regierung will neuen Gesetzentwurf bis Ende des Jahres auf den Weg bringen, um Auslaufen von Fördermechanismus vorzubereiten
Emmanuel Macron will wieder die Kontrolle über die Strompreise übernehmen. Offiziell setzt er alles daran, die geplante europäische Strommarktreform auf den Weg bringen zu können. Angesichts der Unsicherheiten will seine Regierung jedoch auch neue Regeln für seine Industrie definieren.
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Gesche Wüpper, Paris
Es gäbe eine monumentale Meinungsverschiedenheit zwischen Deutschland und Frankreich, erklärte der frühere französische Außenminister Hubert Védrine gerade beim deutsch-französischen Wirtschaftstag. Nämlich in der Energiepolitik. Seit Monaten schon belastet die Frage, wie der europäische Strommarkt reformiert werden soll die Beziehungen zwischen Berlin und Paris.
Nach der deutsch-französischen Kabinettsklausur in Hamburg stellte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nun eine Einigung bis Ende des Monats in Aussicht. Die Produktion CO2-freier Energie zum niedrigsten Preis wie möglich müsse Priorität haben, forderte er. „Ich glaube, es wäre ein historischer Fehler, sich in kurzfristigen Spaltungen zu verlieren, weil man entweder die Erneuerbaren oder die Atomenergie bevorzugt.“
Zankapfel Differenzverträge
Bisher profitiert Frankreichs Industrie von einem Fördermechanismus für Atomstrom. Doch dieser läuft 2025 aus. Macrons Ziel ist nun, dass die geplanten Förderinstrumente der Europäischen Union (EU) für klimafreundlich erzielten Strom auch für Atomstrom gelten. Immerhin werden 66% der französischen Stromproduktion von Atomkraftwerken erzeugt.
Eine wichtige Rolle bei der beabsichtigten EU-Reform spielen sogenannte Differenzverträge. Genau das sorgte jedoch für Unstimmigkeiten. Bei den langfristigen Lieferverträgen wird eine Preisspanne festgelegt, innerhalb deren die Strompreise schwanken können. Fallen sie darunter, muss der Staat den Versorger entschädigen. Steigen sie jedoch darüber, zahlt der Versorger die Differenz an den Staat, der das Geld reinvestieren kann.
Paris liebäugelt mit Alleingang
Deutschland fürchtet, dass Frankreich dann für seine 56 Atomreaktoren Differenzverträge mit niedrigen Garantiepreisen abschließen könnte. So könnten Privathaushalten und der Industrie Strom zu günstigen Preisen angeboten werden. Sollten die Marktpreise für Strom steigen, könnte der französische Staat mit den erzielten Gewinnen die alternden Atomkraftwerke sanieren. Electricité de France (EDF), der Betreiber, ist mit 64,8 Mrd. Euro verschuldet. Die 2015 begonnenen Sanierungsarbeiten der bestehenden, im Schnitt 37 Jahre alten Reaktoren dürften mindestens 66 Mrd. Euro kosten. Sie sollen 2028 abgeschlossen werden. Paris, argwöhnt man in Berlin, könnte die Differenzverträge nutzen, um seine Atomkraftwerke und die Industrie indirekt zu subventionieren.
Paris liebäugelt mit Alleingang
Das für den 17. Oktober geplante Treffen der 27 EU-Energieminister in Luxemburg bei der Tagung des Energierates sei entscheidend für die vorgesehene europäische Strommarktreform, heißt es in Paris. Angesichts des Widerstandes aus Deutschland liebäugele Macrons Regierung jedoch immer mehr mit der Idee, im Alleingang alles dafür zu tun, um die Volatilität der Strompreise zu begrenzen.
„Wir werden wieder die Kontrolle über unsere Strompreise übernehmen“, kündigte Macron Ende September in Anlehnung an einen Brexit-Slogan an. Offiziell setzt Frankreich noch immer alles daran, die geplante europäische Strommarktreform auf den Weg zu bringen.
Neues Fördergesetz
Doch angesichts der damit verbundenen Unsicherheiten arbeitet die Regierung nun mit Hochdruck an einem Nachfolger für den Ende 2025 auslaufenden Fördermechanismus ARENH (Accès réglementé à l‘électricité nucléaire historique). Ein entsprechender Gesetzentwurf soll offenbar noch vor Ende des Jahres auf den Weg gebracht werden.
Dank des ARENH-Mechanismus erhalten alternative Versorger einen Teil des von den Atomreaktoren von EDF erzeugten Stroms zu günstigen Preisen. Der staatliche Stromriese verkauft deshalb pro Jahr bis zu 100 Terawattstunden (TWh) für 42 Euro je Megawattstunde (MWh) an sie.
Zuschussverträge für EDF möglich
Unabhängig von den Verhandlungen über die EU-Strommarktreform will die Regierung nun versuchen, zumindest einen Teil der Atomstromproduktion so zu deckeln, dass er unabhängig von der Entwicklung der Gaspreise ist. Er soll ungefähr den Produktionskosten entsprechen, rund 60 bis 70 Euro je MWh. EDF-Chef Luc Rémont soll dagegen 120 Euro je MWh fordern.
Zu den anderen Ideen, über die Paris nachdenkt, gehören Zuschussverträge für Atomstrom. Unternehmen mit hohem Energieverbrauch könnten das Kapital von EDF stärken und sich an den Risiken für die Erzeugung von Atomstrom beteiligen, heißt es. Anderen Unternehmen könnten wie bei erneuerbaren Energien langfristige Verträge mit gedeckelten Preisen angeboten werden.
Eine andere Idee sind Differenzverträge für Atomstrom, wie sie nun in der EU-Strommarktreform geplant sind. Doch ist EDF dagegen. Der Stromriese dürfte schon bald eigene Vorschläge machen.