"Wie lange reicht das Geld ?"

Liquiditätssicherung rückt in der Coronakrise in den Fokus - Studie der Unternehmensberatung Inverto legt Defizite in der Working-Capital-Steuerung offen

"Wie lange reicht das Geld ?"

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtLiquiditätssicherung gehört während der Coronakrise für die meisten Unternehmen zu den wichtigsten Aufgaben. Dabei geht es nicht nur um Finanzierungsmöglichkeiten durch Kapitalgeber, sondern auch um die Optimierung der im Umlaufvermögen gebundenen Mittel. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Inverto ist das Working-Capital-Management seit Beginn der Pandemie deutlich stärker in den Fokus gerückt. Das hätten drei Viertel der Teilnehmer einer Studie bestätigt. Die Tochter der Boston Consulting Group hat im Mai und Juni 65 Finanzexperten europäischer Unternehmen befragt.Im Forderungsmanagement ist es ein Austarieren akuter Liquiditätsbedürfnisse zwischen Lieferant und Abnehmer. Ein Drittel der Studienteilnehmer habe die Lieferanten wegen der Pandemiefolgen um verlängerte Zahlungsziele gebeten. Umgekehrt habe fast die Hälfte der Lieferanten auf schnellere Bezahlung der bestellten Produkte gepocht. Die Bereitschaft dafür soll groß gewesen sein, rund 85 % hätten ihren Lieferanten auf diese Weise unter die Arme gegriffen, die meisten hätten dafür keinen Rabatt verlangt, weil sie den betroffenen Lieferanten als zu wichtig für das eigene Geschäft einstuften. Der internationale Kreditversicherer Atradius warnte jüngst davor, dass sich ein großer Teil der deutschen Lieferanten in der Coronakrise auf enorme Forderungsrisiken einlasse, um Umsätze zu erzielen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Seit Beginn der Pandemie hätten hierzulande 7 % des Gesamtwerts der Forderungen als uneinbringlich abgeschrieben werden müssen, das sei mehr als eine Verdreifachung zur Erhebung im Vorjahr, als der Wert 7mit 2,1% erfasst wurde.Die Coronakrise führt den Beteiligten Defizite vor Augen. Nach der Umfrage der Unternehmensberatung Inverto halten zahlreiche Firmen ihre Mittelsteuerung selbst für verbesserungswürdig. Dabei klafft eine Lücke zwischen größeren und kleineren Gesellschaften. Knapp 70 % der Befragten aus Einheiten mit weniger als 1 Mrd. Umsatz stuften ihr Working-Capital-Management als “mittelmäßig” oder “schlecht” ein. In größeren Unternehmen benotet eine etwa gleich hohe Quote der Studienteilnehmer die Prozesse als “gut” oder “sehr gut”.In guten Zeiten ist das Working-Capital-Management für ein Unternehmen nicht entscheidend für den Geschäftserfolg, ordnet Inverto-Geschäftsführer Thibault Pucken das Szenario ein. Große Unternehmen haben in der Regel gleichwohl die Strukturen für eine effiziente Liquiditätssteuerung geschaffen. Im Mittelstand laufe es oft noch weniger professionell. In dem Kreis habe es vor Corona in zahlreichen Firmen Liquiditätspolster gegeben, so dass die Kapitalbindung kein vorrangiges Thema war. “Bei einem disruptiven Einschnitt wie im ersten Lockdown im Frühjahr wird es jedoch kritisch. Der Absatz bricht weg, und verbleibende Kunden verlangen längere Zahlungsziele. Dabei zeigt sich, ob Liquidität gut gemanagt wird”, erklärt Pucken.Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. “Kapitalbedarf und Kapitalkosten unterscheiden sich je nach Geschäftsmodell”, sagt Pucken. Die Kapitalkosten seien in den vergangenen Jahren zwar tendenziell gesunken – allerdings mit nennenswerten Ausnahmen zum Beispiel bei hoch verschuldeten Beteiligungen von Private-Equity-Häusern. Mittelständische Firmen hätten dagegen oft keinen sehr hohen Kapitalbedarf. Das sehe in einem großen Konzern, der kontinuierlich hohe Investitionen schultern muss, anders aus. “Hier ist Liquiditätssteuerung als Teil der Vorfinanzierung entscheidend”, erklärt Pucken.In der Krise wird offenkundig, was Firmen in den vergangenen Jahren vernachlässigt haben. In ihren Reaktionen folgten die betroffenen Unternehmen einem vergleichbaren Ablauf: “Der erste Covid-Reflex war auf das Working Capital gerichtet mit der zentralen Frage: Wie lange reicht das Geld?”, so Pucken. Im zweiten Reflex sei es darum gegangen, wie man seine Lieferkette stabil hält. Erst danach sei in den Finanzressorts die Sicherung der Profitabilität thematisiert worden. Standardisierung hilftIn der Krisenbewältigung sei klar geworden, dass speziell die Frage der Liquiditätssicherung schwer zu beantworten sei, wenn es an Instrumenten fehle, die hier Transparenz schaffen können. Informationen über Zahlungsziele sowie über das Abarbeiten von ausgehenden und eingehenden Rechnungen hätten sich viele Unternehmen mühsam aufbereiten müssen. “Das zeigt, dass viele Firmen sehr gute Jahre hinter sich hatten”, meint Pucken. Nur gut die Hälfte der für die Studie angesprochenen Gesellschaften hätten überhaupt Zahlungsmodalitäten für Lieferanten und Kunden definiert.Eine größere Zahl der befragten Unternehmen (40 %) sah sich veranlasst, Vertragsbedingungen mit Lieferanten neu zu verhandeln. Viele Firmen haben nach Kenntnis der Berater Zahlungsdetails gar nicht standardmäßig definiert oder nur für bestimmte Lieferanten. Damit falle es schwer, den Prozess zu steuern. “Eine Buchhaltung kann nicht mit unterschiedlichen Bezugszeiten arbeiten, um den Eingang von Rechnungen zu prüfen”, mahnt Pucken. Genauso schaffe es Ineffizienzen, “wenn einem Lieferanten in vier verschiedenen Verträgen drei unterschiedliche Zahlungsziele eingeräumt werden”. Geschäftsmodelle im TestAls Ergebnis der Studie bescheinigt der Berater den Unternehmen, mit Blick auf die Liquiditätssteuerung die entscheidenden Probleme erkannt zu haben. Nun müssten sie Sorge tragen, dass die manuell bewältigten Bereinigungen dauerhaft und systematisch in der Organisation verankert würden. Das trage dazu bei, Vertrauen in die Finanzkraft zu schaffen und in das Vermögen, eine solche Krise durchzustehen. Die Erkenntnis, dass man auch in einem Stressszenario liquide durchfinanziert ist, habe vielerorts den Glauben an das eigene Geschäftsmodell unterstützt. “Deshalb fallen die Unternehmensbewertungen oft auch noch sehr hoch aus”, resümiert Pucken.