Wie Luft flüssig macht

Von Walther Becker, Frankfurt Börsen-Zeitung, 6.8.2013 Es gibt wenige Industrien, die so stark global oligopolisiert sind wie die Industriegase. Von dem weltweit dominierenden Quartett sitzen zwei in Amerika (Air Products und Praxair) und zwei in...

Wie Luft flüssig macht

Von Walther Becker, FrankfurtEs gibt wenige Industrien, die so stark global oligopolisiert sind wie die Industriegase. Von dem weltweit dominierenden Quartett sitzen zwei in Amerika (Air Products und Praxair) und zwei in Europa. Und es gibt wenige Sektoren, wo das Führungsduo so stark beieinander ist wie in der Software SAP und Oracle und in Industriegasen Linde und Air Liquide aus Paris. Dabei hat das Dax-Unternehmen zuletzt immer stärker aufgeholt und ist im ersten Halbjahr im Umsatz an dem Stoxx 50-Konzern vorbeigezogen.Im operativen Ergebnis, dem Ebitda als zentraler Steuerungsgröße, haben die Münchner mit 1,97 Mrd. Euro im ersten Halbjahr die Nase vorn. Die Franzosen kamen auf 1,88 Mrd. Dabei ist auf Gruppenebene zu berücksichtigen, dass Linde einen stärkeren Anlagenbau hat und das Engineering strukturell eine deutlich niedrigere Marge aufweist als das Gasegeschäft.Beide Anbieter haben mit ihren Zahlen für das erste Halbjahr (vgl. BZ vom 31. Juli) solide geliefert. Linde hat Investoren noch etwas positiver überrascht als der Rivale, der in der Marktkapitalisierung mit 31,1 Mrd. Euro noch 4 Mrd. Euro vor Linde liegt, während beide im Unternehmenswert – also inklusive Nettofinanzschulden – in etwa gleichziehen. Auch in dem für 2014 geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis geben sich Air Liquide und Linde mit 15,4 gegen 16,4 nicht fürchterlich viel, ebenso wenig wie in der geschätzten Dividendenrendite für nächstes Jahr mit 2,7 versus 2,2 %. Bereinigt und angepasstIn dem, was bei Abschlüssen herausgerechnet, angepasst und normalisiert, konsolidiert, “restated” und bereinigt wird, nutzen beide Konzerne die zur Verfügung stehenden Spielräume entsprechend ihrer eigenen Bilanzpolitik. Linde hat die neuen Rechnungslegungsvorschriften zu Joint Ventures (IFRS 10 bis 12) vor der verpflichtenden Anwendung von 2014 an genutzt und erwartet daraus für 2103 einen Ergebniseffekt von 150 Mill. Euro. In der Abgrenzung dessen, was organisches Wachstum ist, wird unterschiedlich berichtet.Auch in der Darstellung der Margen nach Regionen fallen die Gepflogenheiten auseinander. Linde berichtet auf Ebitda-Basis, Air Liquide nach Abschreibungen. Davor ergibt sich für Air Liquide in Asien-Pazifik eine Marge von 24,3 % gegenüber 26,2 % von Linde und in Amerika von 30,7 versus 25,4 % bei den Deutschen. Für Europa, Nahost und Afrika (Emea) weisen die Münchner 28,8 % aus, die Franzosen zeigen in Europa 27,2 % und für Nahost/Afrika 27,1 %.Air Liquide segmentiert bei Gasen nach Kunden: Großindustrie, Industrial Merchant (Zylinder und Tanks), Gesundheit und Elektronik. Linde gliedert in Healthcare, On-site (Vor-Ort-Versorgung der Kunden), Flaschengase und Flüssiggase. Beide Konzerne setzen stark auf die Expansion in Healthcare, weil hier konjunkturresistentes Wachstum zu generieren ist. Mit der 3,6 Mrd. Euro schweren Akquisition von Lincare in den USA und Einheiten von Air Products in den USA liegt Linde hier mit 1,53 (i. V. 0,66) Mrd. Euro vorne; Air Liquide legte 12 % auf 1,34 Mrd. Euro zu. Im freien Cash-flow steht laut Creditsights-Analyse nach Investitionen und Finanzierung Air Liquide mit 781 Mill. Euro im Halbjahr auf dem Treppchen, bei Linde sind es in gleicher Abgrenzung 376 Mill. Euro.Jenseits von Differenzen in der Rechnungslegung und im Ergebnisausweis profitieren Industriegaseanbieter von Megatrends: Schwellenländer, Energie & Umwelt und Gesundheit. Mit “Take-or-Pay”-Verträgen verfügen beide über stabile, berechenbare Cash-flows. Linde ist in vier von fünf Wachstumsregionen die Nummer 1, nur in Südamerika nicht. Trotz aller Unbilden in Europa soll der globale Gasmarkt dieses Jahr nicht zurückgehen. Und sowohl Wolfgang Reitzle (64), der Linde seit 2003 führt, als auch Benoît Potier (55), der Air Liquide seit 2006 leitet, setzen auf Kostensenkungen und Sparprogramme. Das kommt bei Investoren an. Sie sehen die Unternehmen – beide mit “A”-Rating – als defensive Werte.——–Zwar sind Air Liquide und Linde in Industriegasen etwa gleich groß. Doch es gibt Unterschiede. ——-