Wie Miele den weltweiten Klinikmarkt aufmischt
SERIE – SO FINANZIERT DEUTSCHLAND WACHSTUM: MIELE PROFESSIONAL (3)
Wie Miele den weltweiten Klinikmarkt aufmischt
Joint Venture sichert globale Präsenz – Profigeräte „unverzichtbare Säule“ der Gruppe – Innovation und Digitalisierung als Wachstumstreiber
Von Annette Becker, Gütersloh
Miele ist weltweit bekannt für seine hochwertigen Hausgeräte. Dass die Ostwestfalen auch für Profis aus Hotellerie, Arztpraxen und Krankenhäusern Reinigungs- und Spülmaschinen herstellen, weiß kaum jemand. Doch die Ambitionen sind groß. Neuerdings gibt es ein Joint Venture für das wachsende Klinikgeschäft.
Das Familienunternehmen Miele hat bei Verbrauchern einen ausgezeichneten Ruf. 2019 stiegen die Ostwestfalen in die Hall of Fame der besten Unternehmensmarken auf. Diese Auszeichnung erhält nur, wer mehr als zehnmal unter die Top 3 kommt. Die Babyboomer haben ebenso wie die Generation X von Kindesbeinen an gelernt: Waschmaschine = Miele. Umso erstaunlicher ist, dass kaum jemand weiß, dass Miele über ein wachsendes Professional-Geschäft verfügt, das in diesem Jahr 100-jähriges Firmenjubiläum feiert. Miele selbst ist 125 Jahre alt.
1924 kam die erste gewerbliche Waschmaschine auf den Markt. Im abgelaufenen Turnus steuerte der Geschäftsbereich Professional 819 Mill. Euro oder 16,5% zum Gruppenumsatz bei. Künftig wird es mehr als ein Fünftel sein, denn die Gütersloher haben ihr in der Tochtergesellschaft Steelco gebündeltes Klinik- und Pharmageschäft jüngst mit den Belimed-Gesellschaften der Schweizer Metall Zug Gruppe in ein Gemeinschaftsunternehmen überführt.
Stark reguliertes Geschäft
Christian Kluge, der für Miele den Geschäftsbereich Professional leitet, kommt ins Schwärmen, wenn er von dem Joint Venture spricht, an dem Miele mit 67% die Mehrheit hält: „Steelco ist der Rennwagen, Belimed ein Schweizer Uhrwerk. Von Miele kommt viel Technologie und Service-Expertise – zusammen ist das eine tolle Kombination.“ Mit den Profigeräten zum Reinigen und Spülen nimmt Miele 30 Zielgruppen ins Visier – angefangen bei Hotellerie und Gastronomie über Waschsalons und Altenheime bis hin zu Arztpraxen und Laboren. Dem Klinik- und Life Science-Geschäft kommt jedoch eine besondere Bedeutung zu und das nicht nur, weil diese Geräte herkömmliche Größenvorstellungen sprengen.
Es ist ein lukratives Geschäft, das aber zugleich stark reguliert ist. Reinigungs-, Desinfektions- und Sterilisationsmaschinen zur Aufbereitung der chirurgischen Instrumente zählen im Gesundheitswesen zu Medizinprodukten und unterliegen daher strengen Vorschriften, die bis in die Entwicklung hineinreichen. „In diesen Geschäften muss man weltweit präsent sein, um die hohen Einmalkosten aus Regulatorik und Digitalisierung tragen zu können“, erläutert Kluge.
Größe als Wettbewerbsfaktor
Größe wird zunehmend zum wettbewerbsentscheidenden Faktor. Die Platzhirsche sind Steris aus den USA und
Getinge aus Schweden. Mit Shinva ist neuerdings auch ein chinesischer Wettbewerber im Markt unterwegs. SteelcoBelimed, wie das Joint Venture von Miele heißt, ist dem Wettbewerb jetzt aber einen Schritt voraus, wie Kluge glaubt: „Der Wettbewerb im Klinikgeschäft wird immer globaler, auch wenn der Markt bis heute noch stark fragmentiert ist. Entscheidend ist, selbst in allen Märkten mitspielen zu können.“
Das ist einer der Hauptgründe, warum Miele im vorigen Herbst an den Wettbewerber Belimed herantrat, um einen Zusammenschluss auszuloten. Denn während Steelco mit einem breiten Produktportfolio, hoher Innovationsgeschwindigkeit und viel Expertise in der kundenspezifischen Anpassung von Lösungen, auch Customizing genannt, punktet, bestechen die Schweizer durch die regionale Aufstellung. Belimed erwirtschaftet 40% der Erlöse in den USA und etwa 10% in China. Bei Steelco liegt der Umsatzanteil in diesen beiden Regionen irgendwo zwischen 10 und 20%.
Christian Kluge, Leiter der Business Unit Professional bei MieleEs ist enormes Beziehungskapital entstanden.
Hinzu kommt die Diversifikation der Einnahmequellen. Belimed generiert heute schon 40% der Erlöse aus dem hochmargigen Service-Geschäft und weitere 10% aus dem Verkauf von Verbrauchsartikeln wie Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Bei Steelco stammt der Großteil des Umsatzes dagegen aus dem Geräteverkauf. „Wir wollen der Partner mit den kundenorientiertesten, innovativsten und zuverlässigsten Lösungen in der Brache sein“, umreißt Kluge, der in Personalunion auch CEO des Joint Ventures ist, den eigenen Anspruch.
Doch bevor das Unternehmen richtig Fahrt aufnehmen kann – grünes Licht von den Wettbewerbsbehörden gab es Anfang Juni –, muss zunächst einmal integriert werden. 100 Tage gibt sich Kluge Zeit, dann sollen die wesentlichen Fragen zur Zusammensetzung des Produktportfolios, den Produktions- und Entwicklungsstandorten sowie zur Aufstellung des gemeinsamen Service geklärt sein.
Für Miele ist die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens eine der größten Transaktionen der Firmengeschichte, sieht man einmal vom Erwerb von Steelco 2017 ab. Auch damals blieb die italienische Eigentümerfamilie zunächst an Bord. Nach vier Jahren erwarb Miele deren Anteile. In Miele integriert wurde Steelco aber bis heute nicht und das aus gutem Grund. „Wir haben uns bewusst viel Zeit genommen. Dadurch ist ein enormes Beziehungskapital entstanden, das sich auf Zeit auszahlt. Nur so kann man Synergien heben“, ist der Miele-Manager überzeugt.
Finanzielle Unterstützung zugesagt
„Miele hat bislang sämtliche Investitionen mit eigenem Geld finanziert. Das hat uns bei den externen Wachstumsschritten geholfen“, sagt Kluge. Zugleich verweist er jedoch darauf, dass Finanzierungsaspekte bei der Entscheidung für das Joint Venture kaum eine Rolle spielten. „Der Hauptgrund ist, dass beide Gesellschafter hier langfristig großes Potenzial sehen“. Die Beteiligung der Schweizer sei auf die Dauer von mindestens zehn Jahren angelegt, wobei Miele natürlich im Anschluss ein Vorkaufsrecht habe.
Zudem haben die beiden Gesellschafter zugesagt, Integration und Investitionen in Wachstum mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu unterstützen. Gemäß Geschäftsplan soll SteelcoBelimed nach der Anlaufphase jährlich ein hohes einstelliges Umsatzwachstum hinlegen.
Weg vom reinen Geräteverkauf
Der Wunsch, im Großgerätemarkt für Kliniken stärker Fuß zu fassen, war Triebfeder für die 2017 eingeleitete Übernahme von Steelco. Denn wenngleich Miele in den Grundtechnologien keiner etwas vormacht, bestachen die Italiener durch ihre Technologieanwendungen. „Steelco hatte ein fantastisch großes Produktportfolio im Bereich des Klinikprojektgeschäfts. Miele hätte das aus eigener Kraft gar nicht so schnell auf die Beine stellen können“, erzählt Kluge.
Doch die Welt dreht sich weiter. „Wachstum generieren wir nicht nur aus dem Geräteverkauf, sondern zunehmend aus der Weiterentwicklung zum Anbieter ganzheitlicher Lösungen“, sagt Kluge. Eine Aussage, die sich nicht nur auf das Großgerätegeschäft beschränkt, sondern für den gesamten Professional-Markt gilt. Die Wachstumstreiber heißen Innovation und Digitalisierung.
Die Digitalisierung hilft, den komplexen Prozess beim Kunden zu steuern.
Was aber macht den hochregulierten Gesundheitsmarkt so attraktiv? Aus Sicht von Miele gibt es viele Facetten. Zum einen handelt es sich um einen ausgesprochenen Wachstumsmarkt, denn die Zahl der medizinischen Eingriffe wächst kontinuierlich. Das bedeutet, dass immer mehr Instrumente aufbereitet werden müssen. Auch die Pharmaindustrie wächst und das treibt die Nachfrage nach neuen Produkten und kundenspezifischen Lösungen. Zum anderen spielt Miele der Personalmangel in Krankenhäusern und Pflegeheimen in die Hände. Die Anforderung ist, den Output der Geräte mit weniger Personal hinzubekommen.
Dazu können beispielsweise Transportroboter beitragen, aber auch die Vernetzung der Geräte samt Störungsüberwachung. Auch wenn darüber kaum jemand nachdenkt: Die Verfügbarkeit der Desinfektions- und Sterilisationsmaschinen ist aus Kliniksicht ein kritischer Faktor. „Die Digitalisierung hilft, den komplexen Prozess beim Kunden zu steuern. Ein Beispiel aus der Sterilgut-Aufbereitung: Der Kunde muss den Ort und den Aufbereitungsstatus jedes chirurgischen Instruments kennen. Unsere Track-and-trace-Lösung ermöglicht genau das, und sie liefert zusätzlich Hinweise zur Prozessoptimierung“, erläutert Kluge.
Trend zu Pay-per-use
Das alles sind Lösungen, die sich im Professional-Geschäft auf Produkte für andere Zielgruppen übertragen lassen und umgekehrt. „Die Kundennachfrage entwickelt sich auch weiter in den Betriebs- und Finanzierungsmodellen. Wir haben erste Aufträge, wo nicht mehr Produkte, sondern die Geräteleistung bezahlt wird – pay-per-use-Modelle“, sagt Kluge und verweist beispielhaft auf Studentenwohnheime, in denen Miele heute schon teilweise den Betrieb der Waschküche übernommen hat.
Die Nutzer könne sich per App, natürlich made by Miele, ein Zeitfenster zum Waschen reservieren und ohne umständliches Suchen nach Waschmünzen oder Kleingeld gleich digital bezahlen. Win-win für alle, denn für die Betreiber von Studentenwohnheimen ist der Unterhalt der Waschküche eher lästige Pflicht als gewinnbringendes Geschäft.
Zweifelsohne wird die Bedeutung von Professional für die Miele Gruppe durch das Joint Venture aufgewertet. „Aufgrund der Wachstumschancen, dem Fokus auf Innovation und Technologie sowie der unterschiedlichen Konjunkturzyklen ist das Professional-Geschäft neben dem Geschäft mit Hausgeräten zu einer unverzichtbaren Säule für unsere Gruppe geworden“, heißt es denn auch anerkennend aus der Geschäftsführung der Gruppe und Kluge fügt an: „Auch wenn das Haushaltsgeschäft weiter wächst, werden wir alles dafür tun, dass der Anteil von Professional noch weiter steigen wird.“
Zuletzt erschienen: Oscar & Paul Beiersdorf Venture Capital: Beteiligungen im Geiste der Gründerväter (18.7.)