Wie sich ABB im Silicon Valley für die Zukunft rüstet
Von Daniel Schauber, San José”Move fast and break things: Das wird niemals das Motto von ABB.” Das sagt Guido Jouret, Chief Digital Officer des Zürcher Elektrotechnikkonzerns. Trotzdem ist ABB dort präsent, wo Unternehmen nach diesem Motto arbeiten: im Herzen des Silicon Valley. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb. Denn bevor agile Konzerne aus den USA auch noch das Geschäftsmodell der Industrieausrüster angreifen, nachdem sie schon die Autoindustrie aufgemischt haben, macht sich der europäische Traditionskonzern daran, sich in der Höhle des Löwen für die Zukunft zu rüsten. In San José, eine gute halbe Stunde Autofahrt von der Stanford University entfernt, unterhält ABB einen Forschungs- und Entwicklungsstandort mit rund 250 Beschäftigten, um schneller in die digitale Welt zu kommen. Behäbigkeit trifft auf AgilitätNatürlich prallen da zwei Welten aufeinander. Der schwedisch-schweizerische Roboter- und Elektrotechnikhersteller gilt eher als behäbig, bürokratisch, zuweilen auch schwerfällig. Statt Nonchalance steht Sicherheit im Vordergrund. Für einen Konzern, der mit Hochspannungsstromübertragung groß geworden ist, ist das nur natürlich. Und auch den ABB-Kunden geht Zuverlässigkeit vor Agilität. Ein Transformator im Elektrizitätswerk soll schließlich 50 Jahre seinen Dienst tun, und ein Elektromotor in der Fabrik kann 20 Jahre laufen. Zugleich hat sich ABB auf die Fahnen geschrieben, in Zukunft vom Siegeszug des Elektroautos und dem Trend zur Automatisierung zu profitieren.An der Börse, wo ja bekanntlich die Zukunft gehandelt wird, hält sich die Euphorie darüber in Grenzen. In der Bewertung der Investoren kommt der Siemens-Erzrivale seit langem nicht vom Fleck. In den vergangenen fünf Jahren hat der Aktienkurs stagniert. ABB leidet an mauem Umsatzwachstum und unbefriedigender Ertragslage, trotz Fokussierung auf Megatrends. Die Hoffnung ruht auch darauf, dass Björn Rosengren als neuer CEO Anfang März 2020 das Ruder herumreißt. Er wird schon der achte ABB-Chef in zwei Dekaden und wird extern geholt – vom schwedischen Maschinenbauer Sandvik. Auch das zeigt: ABB braucht Impulse von außen, um die Anforderungen der Investoren – mit Wallenberg (11,5 %) und dem Aktivisten Cevian (5,3 %) an der Spitze – erfüllen zu können.Auch deshalb muss frischer Wind aus dem Silicon Valley nach Zürich-Oerlikon wehen. An der US-Westküste wird kühn gedacht, und so ist das Ziel nichts Geringeres, als alle Maschinen in der Fabrik übers Internet miteinander zu vernetzen, so dass die Vision der autonomen Fertigungsstätte wahr wird, die sich selbst organisiert und auch selbst repariert. Möglich werden soll das durch das Internet der Dinge oder Industrie 4.0. Viel mehr als ein Gedankengebäude ist das bisher nicht, und auf dem Gartner Hype Cycle befindet sich das Internet der Dinge im Tal der Ernüchterung (siehe Grafik).Immerhin hat ABB ein Konzept und auch erste vorzeigbare vernetzte Produkte. So haben die Schweizer ein Gerät entwickelt, das die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Elektromotors vorhersagen soll. Der unscheinbare weiße Plastikkasten namens “ABB Ability Smart Sensor” misst direkt am Motor Temperatur, Vibration, Magnetfeld und Geräusche. Die Messwerte werden in die Cloud übertragen und dort analysiert. Charakteristische Muster in den Messdaten sollen Alarm schlagen, noch bevor der Motor einen Defekt hat – ein erster kleiner Schritt zur sich selbst heilenden Fabrik. Bordmittel allein reichen nichtMit Bordmitteln allein kann auch ein Großkonzern wie ABB so komplexe Aufgaben nicht stemmen, obwohl das Unternehmen 8 500 Menschen in Forschung und Entwicklung beschäftigt und rund 1,5 Mrd. Dollar jährlich für F&E ausgibt. Deshalb setzen die Zürcher auf Partnerschaften für die Digitalisierungsplattform ABB Ability. Die Computertechnik kommt von Hewlett Packard Enterprise (HPE) und Microsoft. HPE steuert unter anderem das sogenannte Edge Computing bei, mit dem die in der Fabrik erhobenen riesigen Datenmengen lokal verarbeitet werden können. Von Microsoft kommen die Cloud-Rechenleistungen über die Plattform Azure. Könnten die sensiblen Fabrikdaten bei Microsoft nicht in falsche Hände geraten? Solche Bedenken zerstreut ABB-Manager Jouret. Erstens würden die an den Maschinen erhobenen Messwerte verschlüsselt in die Cloud übertragen. Und zweitens werde Microsoft sicher nicht den Fehler machen, vertrauliche Daten ihrer Industriekunden zu stehlen, beschwichtigt er.