Sanktionen

Wintershall Dea schreibt Nord Stream 2 ab

Der Öl und Gaskonzern Wintershall Dea stoppt seinen Geschäftsausbau in Russland und jegliche Zahlungen dorthin. Nur kritische Infrastruktur wird von der BASF-Tochter noch weiter betrieben.

Wintershall Dea schreibt Nord Stream 2 ab

cru Frankfurt

Nach dem Russland-Rückzug von BP, Shell, Equinor, Total­ Energies und Eni reagiert auch der deutsche Ölkonzern Wintershall Dea auf den Krieg gegen die Ukraine. Der Vorstand der BASF-Tochter hat entschieden, in Russland keine zusätzlichen Projekte zur Förderung von Gas und Öl voranzutreiben und die Finanzierung der gestoppten Pipeline Nord Stream 2 in Höhe von rund 1 Mrd. Euro voll abzuschreiben sowie Zahlungen nach Russland mit sofortiger Wirkung einzustellen. Das teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Ob der zweite deutsche Nord-Stream-2-Finanzier Uniper dem Beispiel folgt, ist noch offen.

Zuvor hatte Vorstandschef Mario Mehren bereits betont, dass „durch den Angriffskrieg des russischen Präsidenten gegen die Ukraine das Fundament der Zusammenarbeit in den Grundfesten auf das Schwerste erschüttert worden ist“. Der brutale Überfall verursache unfassbares Leid und sei ein Wendepunkt.

Es handelt sich aber keinesfalls um einen vollständigen Rückzug aus dem Russlandgeschäft: Bei dem gemeinsam mit dem russischen Staatskonzern Gazprom betriebenen deutschen Gasnetzbetreiber Gascade Gastransport bleibt Wintershall Dea aktiv. Gascade betreibt ein Gaspipelinenetz in Deutschland von gut 3200 Kilometern Länge und sei als kritische Infrastruktur für den Gastransport innerhalb Deutschlands und Europas relevant. Auch in den ebenfalls gemeinsam mit Gazprom bestehenden Erdgas-Förderprojekten Juschno-Russkoje und Achimow in Sibirien bleibt Wintershall Dea vertreten. Die Förderprojekte liefern den Angaben des Unternehmens zufolge Erdgas und versorgen Europa mit Energie.

Kontakt zur Bundesregierung

Mit der Bundesregierung und der EU-Kommission stehe man in Verbindung, hieß es. Die Entscheidung über die Ausschüttung einer Dividende werde verschoben. Wintershall Deas Stammaktien gehören zu rund 67% BASF und zu rund 33% der Investmentfirma Letter One des russischen Oligarchen Michail Fridman.

Unterdessen wurde die Webseite der Nord Stream 2 AG, die die Anmeldung eines Insolvenzantrags dementiert hat, am Mittwoch aufgrund angeblicher „Attacken von außen“ geschlossen, die Telefonleitungen waren ebenfalls nicht erreichbar. Stattdessen teilte das in Zug in der Schweiz ansässige Unternehmen schriftlich mit, man habe lediglich die lokalen Behörden darüber informiert, dass das Unternehmen aufgrund der jüngsten geopolitischen Entwicklungen, die in der vergangenen Woche zur Verhängung von US-Sanktionen gegen das Unternehmen und die Führung geführt haben, Verträge mit Mitarbeitern kündigen musste. Während die Europäische Union keine eigenen Sanktionen gegen die Pipeline verhängte, bewertet das Bundeswirtschaftsministerium derzeit auf Anweisung von Bundeskanzler Olaf Scholz die Wirkung einer Inbetriebnahme auf die Versorgungssicherheit neu. Die Nord-Stream-2-Verbindung wurde im Dezember fertiggestellt und mit Gas befüllt, nachdem es aufgrund früherer US-Sanktionen gegen Versicherer und Schiffe, die am Bau des Projekts beteiligt waren, zu Verzögerungen gekommen war. Für die Zertifizierung und die Aufnahme des Gasflusses war eine positive Bewertung durch die deutschen Regulierungsbehörden erforderlich.

Kreml will Entschädigung

Diese wird es wohl nicht geben. Die Pipeline von Gazprom, die „ein stabilisierendes Element für den europäischen Gasmarkt“ werden sollte, wird diese Rolle „in absehbarer Zeit“ wohl nicht spielen, sagte Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, in einer separaten Erklärung. Scholz’ Entscheidung, die Zertifizierung einzufrieren, gebe den Investoren des Projekts das Recht, Deutschland vor internationalen Gerichten zu verklagen und eine Entschädigung zu verlangen, sagte sie. Gazprom ist der alleinige Eigentümer der Verbindung, obwohl fünf EU-Energieunternehmen – Wintershall Dea, OMV, Shell, Engie und Uniper – Darlehen zur Finanzierung des 10-Mrd.-Euro-Projekts bereitgestellt haben.

„Die Betreibergesellschaft wird dem Anschein nach Insolvenz anmelden, weil Nord Stream 2 nach der Neubewertung der Wirkung der Pipeline auf die Versorgungssicherheit durch die Bundesregierung voraussichtlich nicht in Betrieb genommen werden darf“, sagten Patrick Widmaier und Thomas Cobet von der Sanierungsberatung Alixpartners. „Man sieht die Geschäftsgrundlage nicht mehr gegeben.“ Zudem werde es perspektivisch auch nicht möglich sein, Umsätze und damit ausreichende Zahlungsmittel für den Betrieb zu generieren.

„Die genaue Vermögenslage der Nord Stream 2 AG lässt sich nicht beurteilen, weil sich die Gesellschaft von wesentlichen Offenlegungspflichten hat befreien lassen“, sagte Widmaier. „Die westlichen Finanziers Uniper, Wintershall Dea, OMV, Shell und Engie müssen im Falle einer Insolvenz ihre Darlehen von jeweils bis zu 1 Mrd. Euro voraussichtlich weitgehend abschreiben.“ Die Tatsache, dass scheinbar keine Bereitschaft des Anteilseigners bestehe, kurzfristig weiteres Eigenkapital bereitzustellen, wodurch eine Insolvenzanmeldung durch das Management zumindest in Kauf genommen werde, könne man als Versuch interpretieren, den Druck auf die westlichen Finanzierer zu erhöhen.

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