"Wir bitten um Verständnis"
Von Stefan Paravicini, Frankfurt”Aufgrund des hohen Anfrageaufkommens können wir derzeit nur schriftliche Fragen beantworten. Wir bitten um Verständnis.” So antwortete die VW-Pressestelle gestern auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters, die mit der Bitte um Rückruf verbunden war. Keine Frage, der Manipulationsskandal bei Volkswagen bringt nicht nur die Ingenieure, sondern auch die Krisenkommunikatoren des Wolfsburger Automobilbauers an ihre Grenzen. Die Glaubwürdigkeit des Zwölf-Marken-Konzerns ist bis ins Mark erschüttert. Alles scheint möglich. Und nachdem ein VW-Sprecher der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag berichtet hatte, dass der Konzern eine frühe Version des Nachfolgers vom Skandalmotor EA 189 untersuche, hörten die Telefone in der Wolfsburger Pressestelle deshalb nicht mehr zu klingeln auf.Später konnte Volkswagen Entwarnung geben: Aggregate des Typs EA 288 seien weder mit Euro-5- noch mit Euro-6-Abgasnorm von Manipulation betroffen, teilte der Konzern mit. Nach gründlicher Prüfung herrsche inzwischen Klarheit, dass auch in frühen Versionen dieser ab 2012 eingesetzten Bauart mit Euro-5 keine Software verbaut sei, mit der Abgaswerte manipuliert werden können. Geprüft werde noch, ob dies für Motoren nach Euro-4-Norm ebenfalls gelte, sagte ein Sprecher.Der Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer hatte zuvor gewarnt, dass VW weitere Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten rufen müsse. “Das Problem bei VW wird immer größer. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die Euro-6-Fahrzeuge die Abgasnorm nicht erfüllen”, fügte der Leiter des CAR-Center an der Uni Duisburg-Essen hinzu. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach geht davon aus, dass VW seit dem Frühjahr 2014 schrittweise auf Euro-6 umgestellt hat. Bis dahin könnten seinen Berechnungen zufolge in Europa über 2 Millionen Fahrzeuge mit der Euro-5-Version des EA 288 verkauft worden sein. “Man hat vermutlich einfach die Software des Vorgängermotors EA 189 als Grundlage für die Neuentwicklung übernommen”, vermutete der Wissenschaftler. “Genau weiß das nur VW.” Vorgänger und WiedergängerBislang ist nur bekannt, dass der ältere Motorentyp EA 189 mit einem Computerprogramm ausgestattet ist, das erkennen kann, ob sich das Fahrzeug auf dem Teststand befindet, und die Abgaswerte in diesem Zustand herunterregelt. EA 189 ist der Vorgängertyp des EA 288, der ab 2012 zunächst mit Euro-5 eingesetzt und später schrittweise auf Euro-6 umgestellt wurde. Volkswagen hatte bereits früher mitgeteilt, dass in Fahrzeugen mit der seit 2015 geltenden Euro-6-Norm keine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut sei. Dies habe das Kraftfahrt-Bundesamt bestätigt.VW muss in Deutschland bisher 2,4 Millionen Diesel-Fahrzeuge mit Euro-5-Motor des Typs EA 189 zurückrufen, deren Abgaswerte manipuliert sind. Europaweit beordern die Wolfsburger 8,5 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten. VW hatte im September erklärt, weltweit seien bis zu 11 Millionen Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 betroffen. Ausschließlich bei diesem Motortyp seien auffällige Abweichungen zwischen Messwerten am Prüfstand und im realen Fahrbetrieb festgestellt worden.Für die erforderlichen Rückrufe der betroffenen Fahrzeuge hat der Konzern bislang 6,5 Mrd. Euro zur Seite gelegt. Die Erwartungen von Marktbeobachtern für die gesamten Kosten des Skandals gehen weit darüber hinaus. Nach Einschätzung des Center of Automotive Management könnten sie am Ende 30 Mrd. Euro übersteigen. Neben der Umrüstung der betroffenen Fahrzeuge muss Volkswagen mit empfindlichen Strafen von etlichen Behörden in den USA, in der EU und in anderen Märkten wie Australien rechnen. Die Händlerorganisationen pochen ebenfalls auf Entschädigungen. Allein in den USA haben nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg außerdem schon mehr als 300 Verbraucher Klage gegen Volkswagen eingereicht. Investoren von VW werden für die damit verbundenen Kosten nicht nur Verständnis aufbringen müssen.Als Konsequenz aus dem am 18. September durch die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA losgetretenen Skandal hat der Konzern vor Kurzem entschieden, künftig nur noch Diesel-Autos mit der aufwendigeren SCR-Technologie mit Zusatz von Harnstoff (Adblue) einzusetzen. Diese aber ist teurer und wird daher eher bei größeren Autos eingesetzt. Die Folge könnte sein, dass kleinere Wagen wie der Polo künftig nicht mehr mit Diesel-Antrieb verkauft werden. VW-Kunden werden das sicher verstehen.——–Die VW-Pressestelle stellt wegen hohen Anfrageaufkommens die Telefone ab.——-