Wir brauchen mehr Costa Rica
Verstehe noch einer die Deutschen. Sie begeistern sich in nie da gewesener Weise für einen sportlichen Wettkampf, bei dem es um Sieg oder Niederlage geht, um Weiterkommen oder Ausscheiden. Sie bescheren ARD und ZDF Einschaltquoten, von denen vor der Fußball-Weltmeisterschaft kein Programmverantwortlicher zu träumen wagte, und das selbst bei Spielen ohne deutsche Beteiligung.Verstehe noch einer die Deutschen. Ihr Enthusiasmus für diesen Wettbewerb passt nicht zum gesellschaftlichen Trend, der seit Jahren zu beobachten ist. Wettbewerb als Prinzip der wirtschaftlichen Auslese ist nämlich verpönt, spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise und den rettenden staatlichen Eingriffen. Eine Bank, die auf Kosten der Steuerzahler gezockt und sich verzockt hat, pleitegehen lassen? Bloß nicht! Ein Land, dessen politisch und wirtschaftlich Verantwortliche versagt und gegen die Spielregeln verstoßen haben, aus der Eurozone ausschließen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Jemanden, der wiederholt die Vorschriften des Stabilitätspaktes ignoriert, bestrafen? Wo bleibt denn da die Solidarität mit den Schwachen?!Es scheint, dass die nationale Identifikation im Sport umso größer wird, je stärker sie im Politischen eingeebnet und im Wirtschaftlichen ausgehebelt wird. Das Bestreben der Exekutive und ihrer Verwaltungsapparate in Deutschland und zunehmend auch in Europa, noch das letzte Detail regeln und normieren zu wollen, ist inzwischen eine Bedrohung für die wirtschaftliche Freiheit und unseren Wohlstand. Wettbewerb als Entdeckungsverfahren und marktwirtschaftliches Ordnungsprinzip wird immer stärker eingeschränkt.Schon die Europäische Währungsunion hat faktisch dazu geführt, dass der Wettbewerb zwischen den Ländern der Eurozone um den besten gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Entwurf abgeschafft wurde. Der Euro hat die führende Position Deutschlands als am effizientesten organisierte Wirtschaft der Währungsunion zementiert. Die anderen Euro-Länder sind in einem solchen System “gezwungen”, ihre Strukturen diesem Vorbild anzupassen, sofern sie Teil dieses Systems bleiben wollen. Wenn nicht, fallen sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zurück und drohen zum Problem zu werden, wie aktuell Frankreich. Gefahr der “Einheitsbank”Die Europäische Zentralbank (EZB) ist derzeit dabei, über die bei ihr angesiedelte Bankenaufsicht den Wettbewerb in der Finanzbranche erheblich einzuschränken. Die Sorge der BaFin-Präsidentin Elke König, dass mit der EZB-Aufsicht eine “europäische Einheitsbank” kreiert werde (vgl. BZ vom 2. Juli), ist berechtigt. Der Unterschiedlichkeit der Geschäftsmodelle einzelner Banken und der jeweiligen Märkte kann der Ansatz der Top-down-Aufsicht nicht gerecht werden. Eine auf solche Weise regulierte und egalisierte Kreditwirtschaft birgt aber bei externen Schocks ein viel höheres Systemrisiko als eine möglichst vielgestaltige Bankenlandschaft.Der Wettbewerb der besten Ideen, die Konkurrenz unterschiedlicher Entwürfe ist leider auch in der Politik verkümmert. In Berlin streitet nicht die stärkste mit der zweitstärksten Parlamentsfraktion um den richtigen Weg, vielmehr machen die beiden Großen gemeinsame Sache. Ähnlich in Brüssel. Die konsensuale Problemlösung, nicht selten in den Hinterzimmern der Macht ausgetüftelt, gilt als fortschrittlich. Selbst vor Gerichten wird dieser Weg aus Gründen der Effizienz – oder ist es nicht doch Bequemlichkeit? – als zukunftsorientiert gepriesen. Recht und Wahrheitsfindung bleiben dabei leicht auf der Strecke. Kooperationen zur AbwehrDas Prinzip von Checks and Balances, auch der Institutionen, wird sukzessive ausgehöhlt. Die Übertragung von weitreichenden Kompetenzen an eine demokratisch nicht kontrollierte Institution wie die EZB ist nur eines von vielen Beispielen. Erst wurde der Wettbewerb um die beste währungspolitische Strategie, den die Deutsche Bundesbank jahrzehntelang anführte, abgeschafft, nun der Wettbewerb um die leistungsfähigste nationale Bankenaufsicht. Die Zusicherung von EZB-Präsident Mario Draghi, den Banken bei Bedarf zusätzlich bis zu 1 000 Mrd. Euro zur Ankurbelung des Kreditgeschäfts bereitzustellen, ist faktisch die Ankündigung einer weiteren gravierenden Verzerrung des Wettbewerbs und Beseitigung des Marktprinzips in der Eurozone.Leider hat dieses marktfeindliche Denken nicht nur Politik und Verwaltungen durchdrungen. Der Wunsch nach Beschränkung des Wettbewerbs gehört bekanntlich zur DNA von Unternehmern. Statt sich in schrumpfenden Märkten der Auslese durch den Wettbewerb zu unterwerfen, versuchen Unternehmen – oft mit Unterstützung ihrer Regierungen und Gewerkschaften – durch Kooperationen und Gemeinschaftsunternehmen den Markt abzuschotten und nötige Anpassungen hinauszuzögern. Aktuelle Beispiele sind der versuchte Schulterschluss von Siemens und Alstom, um den Konkurrenten General Electric außen vor zu halten, oder der geplante Zusammenschluss des staatlichen französischen Rüstungskonzerns Nexter mit Krauss-Maffei Wegmann.Von neuen Technologien unter Druck gesetzte etablierte Anbieter schließen Kooperationen oft mit dem Ziel, den Markteintritt von neuen und eventuell branchenfremden Wettbewerbern zu verhindern. Zu beobachten in der Verlagsbranche, als Google & Co. die digitale Revolution anstießen. Oder in der Automobilindustrie beim Thema Elektroantrieb. Gelegentlich schafft es dann doch ein Nischenanbieter, der geballten Marktmacht die Stirn zu bieten und zu zeigen, wie wichtig Wettbewerb und freier Marktzugang für den wirtschaftlichen Fortschritt sind. Wie Tesla mit ihren Elektroautos. Oder – um den Ball vom Beginn dieser Kolumne aufzunehmen – Costa Rica als WM-Überraschungsmannschaft. Die WM erinnert daran, wie wichtig die Rolle des Leistungswettbewerbs zur Fortentwicklung ist, dass auch Niederlagen zum Spiel gehören und ihr Gutes haben – auf dem Rasen und in der Wirtschaft.c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus Döring Die Fußball-WM erinnert an die wichtige Funktion des Leistungswettbewerbs für eine Gesellschaft.——-