Im InterviewInka Koljonen, MAN

„Wir drehen hier gerade einen Tanker“

Die Restrukturierung von MAN beginnt sich auszuzahlen: In den ersten drei Monaten 2023 erzielte das Münchner Unternehmen eine operative Rendite von 5,8%. Im gesamten vergangenen Jahr war es nur 1%. CFO Inka Koljonen ist etwas anderes aber noch wichtiger als die Profitabilität.

„Wir drehen hier gerade einen Tanker“

Im Interview: Inka Koljonen

„Wir drehen hier gerade einen Tanker“

Die Finanzchefin erklärt, wie MAN die Profitabilität erheblich steigern und das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen will

Die Restrukturierung von MAN beginnt sich auszuzahlen: In den ersten drei Monaten dieses Jahres erzielte das Münchner Unternehmen eine operative Rendite von 5,8%. Im gesamten vergangenen Jahr war es nur 1%. Inka Koljonen ist etwas aber noch wichtiger als die Profitabilität.

Frau Koljonen, die Kunden von MAN müssen sechs bis zwölf Monate auf einen neuen Lkw warten. Wie halten Sie sie bei Laune?

Im vergangenen Jahr mussten unsere Kunden tatsächlich viel Geduld mitbringen. Wir waren gezwungen, unsere Produktion für sechs Wochen zu unterbrechen, da Kabelstränge aus der Ukraine wegen des Kriegs zeitweise nicht geliefert werden konnten. In der Folge mussten wir mit den Kunden zum Teil neue Liefertermine und -konditionen vereinbaren. Ihr Vertrauen zurückzugewinnen, hat für uns höchste Priorität.

Sind manche verärgert?

Natürlich. Aber es gab auch viel Verständnis und darüber hinaus langjährig gewachsene Partnerschaften. Unser Vertrieb musste dennoch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Stabilisierung unserer Auslieferungen genießt höchste Priorität. Wir müssen zuverlässig Liefertermine einhalten. Das ist unser Anspruch, und das erwarten unsere Kunden. Für den starken Produktionsanstieg, den wir für dieses Jahr planen, haben wir Vorkehrungen getroffen, damit es mit der Pünktlichkeit besser klappt.

Wurden Aufträge storniert?

Unsere Vertriebsleute haben mit den Kunden jeden Auftrag einzeln besprochen und, wenn es nötig war, einen neuen Termin vereinbart. In den allermeisten Fällen war das erfolgreich. Deshalb sind wir aktuell auch weitgehend ausgebucht für 2023, unser Orderbuch ist gut gefüllt. Die Nachfrage nach Lkw ist weiter sehr hoch. Die Logistikbranche boomt.

Wie lange bleiben die Wartezeiten von der Bestellung bis zur Auslieferung noch so hoch?

Wir streben eine deutliche Reduzierung auf durchschnittlich etwa sechs Monate an.

Normal wären aber im Durchschnitt drei Monate, oder?

Die Lieferzeiten hängen neben der Situation auf den Beschaffungsmärkten auch stark von der Konfiguration der Lkw ab – also den Kundenwünschen zur Ausstattung der Fahrzeuge. Da kann MAN Besonderes bieten. Durchschnittswerte sind auch deshalb weniger aussagekräftig.  

Für wann rechnen Sie denn mit einer Abschwächung der Nachfrage nach Lastwagen?

Aktuell sehen wir das noch nicht. In einer Phase steigender Zinsen, in deren Folge beispielsweise die Bautätigkeit zurückgeht, ist das aber nicht auszuschließen. Momentan gibt uns das gut gefüllte Orderbuch eine gute Planbarkeit und Visibilität. Aber sollte sich die Nachfrage abschwächen, kommt es besonders auf die Steuerung an.

Was meinen Sie damit?

MAN hat – wie die anderen Marken im Volkswagen-Konzern – eine funktionale Organisation. Als unsere Produktion im vergangenen Jahr zeitweise stillstand, haben wir gemerkt, wie wichtig eine cross-funktionale Zusammenarbeit ist.

Also ein engeres Miteinander der verschiedenen Abteilungen?

Ja, wir schauen uns nicht nur die Funktionen an, sondern die ganzen Kernprozesse vom Anfang bis zum Ende, und haben dafür verschiedene Taskforces gebildet – mit Mitarbeitern etwa aus der Beschaffung, der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb. Da haben wir einen großen Sprung geschafft, denn so etwas hat in dieser Form bei MAN eher selten funktioniert.

Sind diese Gruppen weiterhin aktiv?

Wir haben noch eine Taskforce zur Stabilisierung unserer Volumina. Wenn die Lieferketten irgendwann wieder stabil sind, können wir in die Regelprozesse zurückgehen. Wir haben aus der Krise unsere Lektionen gelernt: Dank unserer engmaschigen Steuerung ist das Ergebnis im ersten Quartal besser ausgefallen, als wir erwartet hatten. Wenn die Nachfrage nach Lkw sinken sollte, könnten wir jederzeit ein Sofortprogramm aus der Schublade ziehen.

Welche Ansatzpunkte gäbe es für ein solches Programm?

Kurzfristig würden wir alle Kostenpositionen und jedes Investitionsprojekt auf den Prüfstand stellen. Wichtig ist außerdem das Managen der Kosten-Preis-Schere, also die Weitergabe von höheren Kosten an unsere Kunden. Das schauen wir uns seit dem vergangenen Jahr genau an. Wir haben uns dafür auch mit den Kollegen von Volkswagen Truck & Bus in Südamerika ausgetauscht, die sich seit Jahren mit hohen Inflationsraten auseinandersetzen müssen. Hier können wir in der Traton Group voneinander lernen.

Und langfristig?

Dafür haben wir die großen Entscheidungen ja schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine getroffen. Ich meine zum Beispiel die Optimierung unseres Produktions- und Entwicklungsnetzwerks mit Blick auf das Lohnniveau. Dabei haben wir Arbeitsumfänge von Hochlohnstandorten wie München und Steyr in Österreich in Länder mit günstigeren Kostenstrukturen verlagert. Etwa einen Teil der Produktion nach Krakau in Polen, wo wir unser Werk erweitert haben. Teile der Entwicklung wurden nach Ankara und Pune in Indien gegeben und ein Digital Hub für IT in Lissabon aufgebaut. Das alles ist jetzt kurz vor einem erfolgreichen Abschluss. Mit den Lohnkostenvorteilen steigern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erheblich.

Nach Aussage von Traton-Vorstandschef Christian Levin werden Ende dieses Jahres zwei Drittel der Kapazität von MAN in Niedriglohnländern sein. Geht das so weiter?

Weitere Verlagerungen sind aktuell nicht geplant. Wir haben einen Zukunftstarifvertrag mit der Arbeitnehmerseite abgeschlossen, in dem diese Dinge klar vereinbart und geregelt wurden, und im Rahmen der deutschen Mitbestimmung wollen wir hier ein verlässlicher Partner sein.

Bietet die Elektromobilität eine Chance für den Standort Deutschland?

Ja. Unser Fokus für die Elektromobilität ist Süddeutschland. In Nürnberg baut MAN eine neue Fabrik für Batterie-Packs, und die Serienfertigung des E-Trucks beginnt im kommenden Jahr in unserem Münchner Werk. Außerdem arbeiten wir hier eng mit Hochschulen und weiteren Forschungseinrichtungen zusammen – das ist in dieser Technologiephase extrem wichtig.

Im ersten Quartal 2023 ist das operative Ergebnis von MAN mit 197 Mill. Euro erstmals wieder so hoch gewesen wie der um Sondereffekte bereinigte Wert. War’s das auf der Kostenseite mit der Restrukturierung?

Kleinere Themen wird es immer wieder mal geben, aber Größeres ist im Moment nicht geplant. Es geht mir zudem in erster Linie um die Nettologik einer Restrukturierung, nicht um die Bruttologik.

Das müssen Sie bitte erläutern.

Im Fall der Bruttologik geht es um ein Einsparziel. Für uns ist aber die Nettologik entscheidend, das ist die operative Rendite. 8% sind unser strategisches Ziel.

Auf die 5,8% der ersten drei Monate 2023 muss MAN also noch etwas draufpacken.

Wir sind noch nicht bei 8%, aber auf einem guten Weg zu unserem Ziel – auch in diesem Jahr. Die 5,8% waren eines der besten Quartale von MAN Truck & Bus in den vergangenen Jahren. Aber auch hier müssen wir uns noch deutlich steigern, um ab 2024 auf die 8% zu kommen. Das ist ambitioniert: Ein solches Niveau hat MAN seit 15 Jahren nicht mehr erreicht. Und das nach etwa 1% bereinigter operativer Marge im vergangenen Jahr. Wir drehen hier gerade einen Tanker. Mich würde interessieren, ob es noch andere Industrieunternehmen gibt, die in so kurzer Zeit einen solchen Sprung geschafft haben. Für unsere Mitarbeiter ist das eine Riesenmotivation: Der MAN-Löwe brüllt wieder. Aber als CFO geht es mir nicht nur um ein höheres Ergebnis.

Sondern?

Es kommt auch auf die Finanzsteuerung an, also: Wie schneiden Lkw, Busse, Vans und Motoren einzeln ab? Es gibt erste Schritte in Richtung mehr unternehmerischer Verantwortung der Segmente im Rahmen von Profitcentern.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Für die Busse habe wir gerade eine Art Unternehmen im Unternehmen gegründet und das organisatorisch verankert. Das Geschäft hängt jetzt direkt an unserem CEO Alexander Vlaskamp. Und mir ist noch etwas Zweites sehr wichtig.

Und zwar?

Das Verbessern der Cash-Conversion-Rate, also wie viel Cashflow vom operativen Ergebnis als freie Mittel übrigbleiben, um Ausgaben wie Investitionen und Dividende zu zahlen. Eine Einstellung, dass der Großaktionär alles finanziert, ist aus meiner Sicht nicht richtig. Wir müssen es schaffen, die großen Investitionen wie die Elektromobilität, das autonome Fahren und die Digitalisierung selbständig zu finanzieren.

Macht Ihr Großaktionär Volkswagen Druck?

Den Druck machen wir uns selbst. In meiner vorigen Station als CFO des börsennotierten Nutzfahrzeugzulieferers SAF-Holland stand das auf der Tagesagenda. Da gab es zusätzlich noch Druck von Investoren. Gleiches gilt für uns – auch Traton ist börsennotiert.

Wie kommen Sie mit der Cash-Conversion-Rate voran?

Die Quote zu verbessern, ist eine Riesenherausforderung. Denn wir müssen, um unser Renditeziel zu schaffen, das Produktionsvolumen erheblich erhöhen. Auch die Engpässe in der Lieferkette erschweren die Aufgabe. Mit den höheren Vorräten steigt das Betriebskapital enorm. Die Durchlaufzeiten in der Produktion sind verkürzt, um Liefertermine einzuhalten. Gleichzeitig müssen wir unsere Cash-Conversion-Rate deutlich steigern.

Das klingt nach einem Zielkonflikt.

Kurzfristig ist es das. Es ist deshalb sehr wichtig, intern zu vermitteln, warum es nicht nur auf die Rendite ankommt, sondern auch auf den Cashflow. Wir müssen schauen, dass das Ergebnis nicht im Working Capital gebunden bleibt. Eine Cash-Kultur etablieren wir nicht von heute auf morgen. Es muss aber unser Ziel sein, allen klarzumachen, warum Cash wichtiger ist als die Profitabilität.

Zur Person
Das Attribut „international“ passt zu Inka Koljonen (49). Die Tochter eines Finnen und einer Kroatin wurde in Prag geboren, aufgewachsen ist sie in Finnland und Russland. Nach dem BWL-Studium in München waren die Dasa und MTU ihre ersten Berufsstationen. Von 2012 bis 2015 war sie in Moskau als Finanzchefin von Siemens Russland. Für Clariant kehrte sie nach München zurück, von September 2020 bis Anfang 2022 war sie im Vorstand von SAF-Holland in Bessenbach bei Aschaffenburg für die Finanzen zuständig. Seit Februar des vergangenen Jahres ist sie im Vorstand von MAN mit den Aufgaben Finanzen, IT und Recht.

Das Interview führte Joachim Herr.