DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: TOBIAS OHLER

"Wir haben die Ausdauer für die ganze Strecke"

Der Finanzvorstand beschreibt, wie Wacker Chemie im Polysiliziumgeschäft gegen die subventionierte Konkurrenz Chinas kämpft

"Wir haben die Ausdauer für die ganze Strecke"

Herr Ohler, hat das Geschäft mit Polysilizium für Solaranlagen noch eine Zukunft im Wacker-Chemie-Konzern?Absolut. Der Wille weltweit, das Thema Klima in den Griff zu bekommen, wird dazu führen, dass der Solarmarkt weiter stark wächst. Wir sind mit drei Produktionsstandorten gut positioniert und sind Qualitätsführer. Zudem haben wir genügend Potenzial für weitere Kostensenkungen. Für 2019 erwarten Sie wegen Abschreibungen auf die Produktionsanlagen für Polysilizium in der Größenordnung von 750 Mill. Euro einen ebenso hohen Nettoverlust im Konzern. Das ist mehr als ein Viertel des Eigenkapitals und fast ein Viertel der Sachanlagen: ein harter Schlag.Wir müssen regelmäßig im Impairment-Test prüfen, ob die Cash-flows ausreichen, um die Vermögenswerte abzudecken. Diese signifikante Abschreibung müssen wir im Jahresabschluss 2019 vornehmen, weil wir unsere Preiserwartung für Polysilizium gesenkt haben. Damit geht die Eigenkapitalquote des Konzerns auf rund 30 % zurück. Ende 2018 waren es noch 44 %.Bei diesem Rückgang spielen auch die deutlich höheren Pensionsrückstellungen aus den niedrigen Diskontierungszinsen eine Rolle. Man muss aber auch die klassischen Finanzschulden betrachten. Da sehen wir uns weiterhin gut aufgestellt. Wir werden, wenn man den Effekt der neuen IFRS-Vorgaben zur Leasingbilanzierung außer Acht lässt, auf dem Vorjahresniveau bleiben, also beim Einfachen des Ebitda. Das ist respektabel in einem schwierigen Jahr, in dem wir weiter investiert haben. Sie erklären die Misere im Polysiliziumgeschäft damit, dass sich die stark gesunkenen Preise wegen der hohen Überkapazitäten chinesischer Hersteller nicht erholen. Und was ist in Ihrem Konzern schiefgelaufen?Nichts, es gibt nur externe Gründe. Die Preise haben sich seit Anfang 2018 mehr als halbiert und die Kapazitäten in China in vier Jahren mehr als verdoppelt. Der globale Solarmarkt wächst, aber China hat 2019 keinen Beitrag zum Wachstum geleistet. China dominiert die Wertschöpfung mit rund 90 % der Solarwafer-Kapazitäten, aber in den Fotovoltaik-Installationen hatte China 2019 nicht einmal ein Viertel des Gesamtmarktes. Das heißt, es ist für China überwiegend ein Exportgeschäft. Ist es da nicht riskant, weiterhin mit einem starken chinesischen Markt zu rechnen? Auch wegen des erheblichen Einflusses der staatlichen Förderpolitik dort.Es ist nun mal der größte Markt und der größte Energieverbraucher der Welt, der alle Hände voll zu tun hat, um seine Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. China muss die Solarenergie ausbauen. Deshalb muss man mit dem Land rechnen. Zu schaffen machen Wacker auch die deutlich niedrigeren Strompreise der Chinesen für die energieintensive Produktion von Polysilizium.Deshalb kämpfen wir in Deutschland für einen Strompreis, der sich an dem unserer Wettbewerber orientiert. Die subventionierten chinesischen Konkurrenten zahlen für Strom weniger als halb so viel wie wir, zum Teil noch weniger. Wir treten für einen Industriestrompreis ein und platzieren das auch prominent. Die Politik hört uns zwar zu, tut aber noch nichts. Sie wenden sich an Berlin und Brüssel.Genau, wir brauchen einen Strompreis unter 40 Euro je Megawattstunde. Aktuell sind es rund 60 Euro. Das können wir nicht allein mit Effizienzmaßnahmen kompensieren. Übrigens trifft das nicht nur uns, sondern alle energieintensiven Industrien in Deutschland. Sie versuchen die Politik auch mit dem Umweltaspekt zu überzeugen.Wir können mit unserem Polysilizium dank der Fotovoltaik-Stromerzeugung über den ganzen Lebenszyklus das Zwanzigfache des Kohlendioxids einsparen, das in der Herstellung entstanden ist. Das ist ein ganz starker Hebel für den Klimaschutz. Unser Herstellprozess ist doppelt so effizient wie der chinesische. Die 3 Mill. Tonnen CO2, die im Jahr in unserer Poly-Produktion entstehen, würden sich verdoppeln, wenn unsere Produktionsmengen nach China abwandern. Welche Menge kann man sich darunter vorstellen?3 Mill. Tonnen entsprechen der CO2-Menge, die gut 300 000 Deutsche im Jahr verursachen. Also in etwa die Einwohner der Stadt Bonn. Und dank der mit unserem Polysilizium hergestellten Solaranlagen wird der Ausstoß von 60 Mill. Tonnen CO2 vermieden. Wenn wir die weltweit effizienteste Poly-Produktion in Deutschland nicht wettbewerbsfähig betreiben könnten, wäre das ein Bärendienst für den globalen Klimaschutz. Außer in Burghausen in Oberbayern und in Nünchritz in Sachsen produziert Wacker Polysilizium in Charleston in den USA. Wie hoch ist der Strompreis dort?Niedriger als in Deutschland. Das war auch ein Grund für die Entscheidung für Charleston. Die Differenz beziffern wir nicht. Ist es eine Option, das Werk in den USA auszubauen und in Deutschland die Kapazitäten zu reduzieren?Über einen Ausbau denken wir aktuell nicht nach. Eine Verlagerung ist in der Chemie auch nicht einfach so zu machen, allein schon wegen der Stoffkreisläufe an einem Standort. Wir können nicht alles abschrauben und an einem anderen Ort wieder aufbauen. Deshalb wollen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern, indem wir das Beste aus unseren bestehenden Anlagen herausholen. Ihre Konkurrenten in China haben zudem geringere Arbeitskosten.Da rechnen wir mit einem Fünftel im Vergleich mit Deutschland. Was stimmt Sie trotz der Kostennachteile, der Überkapazitäten und des Preisdrucks fürs Polysiliziumgeschäft zuversichtlich?Überkapazitäten können uns durchaus noch mehrere Jahre begleiten. Das Marktwachstum kann allerdings stärker zulegen als derzeit prognostiziert. Es lag bisher immer über den Erwartungen. Das zweite Element ist eine Verschiebung zu qualitativ hochwertigerem Polysilizium. Das Rennen um immer höhere Wirkungsgrade in der Solarindustrie kann durchaus eine entscheidende Rolle spielen. Da sind wir gut positioniert. Warum erzielen Sie für Ihre qualitativ besseren Produkte nicht deutlich höhere Preise?Das tun wir schon, aber es gibt noch multikristalline Solarmodule – auch wenn dieses Marktsegment nicht mehr wächst. Ich kann mir aber vorstellen, dass in fünf bis zehn Jahren nur noch monokristalline Solarzellen hergestellt werden. Das Rennen dauert noch lange. Wir haben die Ausdauer für die ganze Strecke. Mit dem besonders reinen Grundstoff von Wacker lassen sich leistungsstärkere monokristalline Solarmodule produzieren. Hier liegt der Weltmarktanteil von Wacker bei mehr als 20 %.Genau. Wir kennen unseren Weg: Der heißt Spezialitätenstrategie, also Polysilizium für hocheffiziente Solarzellen zu produzieren. Zudem ist nur das Solargeschäft unter starkem Preisdruck. Wir liefern ja auch Polysilizium für die Halbleiterindustrie. Hier sind die Preise deutlich höher und stabiler. Wir sind inzwischen Marktführer für Halbleiter-Poly und damit systemrelevant für die Digitalisierung. Das versuchen wir weiter auszubauen, auch weil es unser Geschäft stabilisiert. Und wie wird sich die Konkurrenz für Solarsilizium in China entwickeln?Das hängt davon ab, ob China weiterhin unwirtschaftliche Unternehmen mit Subventionen am Leben erhält. Langfristig werden jedenfalls auch dort die Strom- und Personalkosten steigen. Es müsste auch in China in Zukunft eine faire Bepreisung von CO2 geben. Das Thema Umwelt hat für Peking jedenfalls mittlerweile hohe Priorität. Zuversichtlich stimmt mich zudem unser eigenes Kostensenkungspotenzial im Polysiliziumgeschäft. Wie viel ist da noch drin?Von 2014 bis 2017 haben wir ein Drittel gespart. Von 2018 bis 2021 wollen wir die Herstellkosten nochmals um mehr als 30 % senken. Das erreichen wir unter anderem mit mehr Automatisierung in der Produktion. Und wir verbessern die Prozesse. Sie haben vor kurzem Ihre Einschätzungen im Polysiliziumgeschäft für 2020 angepasst. Was heißt das?Es bedeutet, dass wir nach dem Preisrückgang 2019 auch in diesem Jahr mit niedrigeren Durchschnittspreisen rechnen. Die Verbesserung auf der Kostenseite wird das gerade ausgleichen. Deshalb erwarten wir, dass sich das operative Ergebnis – das Ebitda – im Poly-Segment 2020 noch nicht verbessern wird. Das steht unter der Prämisse, dass wir weiterhin Volllast fahren, da wir dank der Qualität unserer Produkte immer genügend Absatz finden. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass der Aktienkurs im Dezember in den Tagen nach der Ankündigung des hohen Jahresverlusts gestiegen ist? Haben die Aktionäre mit Schlimmerem gerechnet?Ich glaube, der aktuelle Börsenwert von Wacker Chemie unterstellt ohnehin keinen hohen Wert für das Polysiliziumgeschäft. Deshalb fällt die Abschreibung für den Kapitalmarkt wohl nicht so sehr ins Gewicht. Der Markt schaut mehr auf den Cash-flow, auf den die Wertberichtigung ja keinen Einfluss hat. Und was bedeutet der Jahresverlust für die Dividende?Unsere Politik ist, dass wir rund 50 % des Gewinns ausschütten. Wegen des Verlusts gibt es also keine Dividende.Das muss nicht notwendigerweise so sein, weil wir nach wie vor gut finanziert sind. Zum Dividendenvorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat an die Hauptversammlung gibt es noch keine Entscheidung. Sie hat es aber überrascht, dass der Kurs nicht negativ auf den erwarteten hohen Verlust reagierte – oder?Ich muss offen sagen, ja. Sonst hätten wir keine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht. Wir haben aber schon öfter erlebt, dass die Aktie wenig oder gar nicht reagiert – auch als wir im Oktober die Jahresprognose für Umsatz und Ergebnis gesenkt haben. Sie wollen die Anstrengungen für Spar- und Effizienzprogramme verstärken – nicht nur im Polysiliziumgeschäft, sondern im ganzen Konzern. Wie weit sind Sie damit?Wir spüren auch im Chemiegeschäft den Wettbewerbsdruck und bereiten uns auf eine härtere Gangart der Konkurrenz vor. Hinzu kommen Risiken in der Weltwirtschaft. Wir müssen uns anschauen, wie wir die indirekten Funktionen im kleiner gewordenen Konzern – inzwischen sind wir ja ohne unsere frühere Tochter Siltronic – schneller, flexibler und schlanker gestalten. Und wie ist der Stand?Wir sind noch in der Analysephase. Wir wollen erst das Zielbild definieren und dann kommunizieren, weil wir auf eine gute Sozialpartnerschaft mit der Arbeitnehmerseite bauen und die Diskussion zum richtigen Zeitpunkt führen wollen. Wann wird das sein?Wir rechnen damit, in diesem Quartal zu wissen, wie weit wir springen müssen. Dann erstellen wir den Zeitplan. Für 2020 wird das Programm noch keine große Entlastung für das Konzernergebnis bringen. Es wird ein Zusammenspiel aus ersten Entlastungen, aber auch aus Belastungen aus Einmaleffekten geben. Arbeitsplätze werden gestrichen – oder?Ja, es werden Stellen wegfallen. Das ist unsere klare Botschaft. Das wird über die natürliche Fluktuation hinausgehen. Sonst kommen wir nicht weit genug mit dem Sprung. Die Frage ist, wie viele Zwischenschritte wir bis zum Zielbild brauchen. Wo wird das Kosten- und Effizienzprogramm ansetzen? Auch an Standorten?Es ist kein Standortprogramm, zielt nicht auf den unmittelbaren Fertigungsbereich. Es beschäftigt sich aber mit allen indirekten Funktionen. Es ist damit auch kein klassisches Programm nur zur Optimierung der Verwaltung, sondern wir gehen auch in die Geschäftsbereiche, in die vertriebsnahen Funktionen, in Forschung und Entwicklung, in die IT. Und wir schauen auch auf die Sachkosten, etwa im Einkauf. Warum heißt das Projekt “Zukunft gestalten”?Weil wir unsere Zukunft selbst in der Hand haben. In zahlreichen Sparten sind wir Marktführer und haben vieles richtig gemacht. Aber so weitermachen wie bisher, kann nicht der Weg sein. Auch wegen der Erfahrung, im Polysiliziumgeschäft Getriebener von China zu sein?Das Beispiel Polysilizium zeigt jedenfalls einen möglichen Trend. Wir wollen uns darauf einstellen, dass sich die Wettbewerbsintensität auch in anderen Segmenten erhöhen kann. Es ist keine kurzfristige Aktion, nur um das Ergebnis zu verbessern. Wir werden den Konzern fit machen für die Zukunft – langfristig und dauerhaft. Das Interview führte Joachim Herr.