„Wir kommen mit der Arbeit kaum nach“
Im Interview: René Obermann und Max Fowinkel
„Wir kommen mit der Arbeit kaum nach“
Der Finanzinvestor Warburg Pincus schaut sich in Deutschland um. Mit 16 Mrd. Dollar ist die Kasse gut gefüllt.
Warburg Pincus ist laut Finanzkreisen gerade dabei, das Kapital für einen neuen Buy-out-Fonds einzusammeln. Im Markt wird mit dem Closing um das Jahresende herum gerechnet. Die angepeilten 16 Mrd. Dollar dürften mit Leichtigkeit erreicht werden. Das bringt neues "Dry Powder" auch für die beiden Deutschlandchefs des Finanzinvestors – René Obermann und Max Fowinkel.
Herr Obermann, Wertzuwachs ist Ihr Anspruch bei der Unternehmensentwicklung. Beim Blick auf Ihr Portfolio fällt allerdings auf, dass sich bei McMakler in der letzten Finanzierungsrunde der Wert halbiert hat. Was sagen Sie dazu?
Obermann: Das Unternehmen selbst ist gut aufgestellt und hat sogar in dieser schwierigen Phase seine Markenbekanntheit gesteigert. Der Immobilienmarkt ist in Summe um 80% oder mehr eingebrochen. Die Unternehmen sind also mitten in einer Durststrecke und müssen sich entsprechend ausrichten: Kosten senken und Maßnahmen treffen, um diese Zeit gut zu durchstehen.
Es ist ja in jüngster Zeit bei Finanzinvestoren die Exit-Strategie in Mode gekommen, ihre Beteiligungen zunächst nur zu einem kleinen Teil fürs Publikum zu öffnen. Wenn der Kurs dann gen Süden geht, kommt gleich wieder das Going Private. Ist das gut fürs IPO-Klima?
Obermann: Das Börsenumfeld ist gegenwärtig schwieriger, als es noch vor zwei Jahren war. Aber Warburg Pincus ist grundsätzlich etwas längerfristig orientiert.
Fowinkel: Was Take Privates betrifft, beschäftigen wir uns damit sehr intensiv. Wir sind eine der Firmen, die in den vergangenen Jahren die meisten Take Privates in Europa gemacht hat, darunter relativ große Transaktionen wie The AA, das britische Pendant des ADAC, der Rückversicherer Somers Re, der Sicherheitsdienstleister G4S oder Inmarsat, der Anbieter für Satellitenkommunikation im Wert von 6 Mrd. Euro. Dabei geht es grundsätzlich darum, in Firmen zu investieren und außerhalb des Börsenumfelds Veränderungen anzustoßen, die an der Börse nicht goutiert würden, etwa hohe Technologieinvestitionen zugunsten von langfristigem Wachstum. Das lässt sich durch Private-Equity-Kapitalgeber oft besser als an der Börse realisieren.
Softwarefirmen scheint der Markt derzeit offenbar nicht gut zu verstehen, wenn man den Börsenabschied der Software AG oder von Suse betrachtet …
Obermann: Für Technologieunternehmen sind die Zeiten härter geworden. Aber auch das ist kein Novum. Wellenbewegungen hatten wir früher schon, z.B. in den Nullerjahren, als die Internetblase geplatzt ist. Irgendwann kommt die Abkühlung. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen, und Firmen wie Ionos sind gut aufgestellt: sehr solide Unternehmen mit breitem technologischen Fundus, die über erfahrenes Management verfügen, ausreichend kapitalisiert und sehr innovativ sind, gerade im Hinblick auf KI-basierte Produkte. Ich bin für den Tech-Sektor aber auch grundsätzlich optimistisch. Denn der Trend, Produkte, Dienstleistungen und Prozesse zu digitalisieren und intelligenter zu machen, ist immer noch am Anfang.
Inzwischen kann man davon ausgehen, dass die Zinswende in gewisser Weise ausgestanden und die Talsohle bei Bewertungen möglicherweise erreicht ist. Ist jetzt nicht der Zeitpunkt zu kaufen?
Fowinkel: Das spielt für uns keine so große Rolle. Warburg-Pincus-Fonds sind langfristig ausgerichtet, und entsprechend ist das Leitbild der Fondsmanager. Da geht es beispielsweise um langfristige, planbare Technologietrends oder Konsolidierung von oft kleinteiligen Sektoren, in denen Firmen mit Hilfe eines Investors wie Warburg Pincus durch Übernahme von kleineren Wettbewerbern viel leistungsfähiger werden können. Die Wachstumschancen, die diese Trends mit sich bringen, sind auch nach der Zinswende äußerst attraktiv. Ein Beispiel einer These, die Warburg Pincus seit langem verfolgt, sind Investitionen in digitale Infrastrukturen, wo Europa noch großen Bedarf hat. In der Telekommunikation gibt es auf allen Wertschöpfungsebenen spannende Wachstumschancen, denken Sie nur an die Vernetzung von Milliarden von Dingen. Auch im Bereich der Energiewende braucht es Know-how und Kapital.
Wohl möglich, die Wertverluste von Technologiefirmen an der Börse haben aber doch auch Einfluss auf private Transaktionen gehabt?
Fowinkel: Der Preis ist nicht das allein entscheidende Kriterium bei einer Transaktion. Ein Unternehmen, das einen Investor an Bord nimmt, sucht Unterstützung zum Beispiel für eine Transformation und entscheidet sich für das beste Konzept.
Bei Ihnen klingt das so, als ob das Transaktionsgeschehen irgendwie unabhängig ist vom Marktumfeld. Wann hatten Sie denn den letzten Exit?
Fowinkel: Seit Beginn des Jahres hat Warburg Pincus in Europa Polyplus für 2,4 Mrd. Euro an Sartorius verkauft, dann Once for All, einen Anbieter von Lieferketten-Management in der Baubranche, an einen US-Investor veräußert sowie die Einzelhandelskette Reiss an Next. Im Rahmen der Zusammenlegung von Inmarsat mit Viasat haben wir neben einem Aktienpaket an Viasat auch einen hoch dreistelligen Barkaufpreis erzielt. Wenn wir unsere Firmen erfolgreich weiterentwickeln, finden sich auch Käufer.
Trotzdem: Wenn man die hohe Deal-Aktivität im Telekomsektor betrachtet, dann spielen niedrige Bewertungen doch eine Rolle. Welche Telekom-Assets sind aus Ihrer Sicht denn interessant?
Obermann: Bei Telekom-Assets gilt es, die verschiedenen Segmente zu unterscheiden, also die passive Infrastruktur, die digitale, aktive Infrastruktur und die Services bzw. Anwendungen wie Messaging oder Video. Unser Fokus liegt derzeit nicht auf der passiven und schon voll ausgebauten Infrastruktur wie Mobilfunktürme. Uns interessieren infrastrukturgebundene Geschäftsmodelle, die auch Services für Geschäfts- und Privatkunden umfassen, beispielsweise bei Odido, ehemals T-Mobile Niederlande. Oder Infrastrukturunternehmen, die sich erst im Aufbau befinden, die wir als Partner so weiterentwickeln können, dass z.B. Pensionsfonds mit geringer Risikotoleranz diese Firmen später von uns übernehmen können.
René ObermannIn der Telekommunikation gibt es auf allen Wertschöpfungsebenen spannende Wachstumschancen. (…) Uns interessieren infrastrukturgebundene Geschäftsmodelle, beispielsweise bei Odido. Oder Infrastrukturunternehmen, die sich erst im Aufbau befinden.
Wie viel Kapital können Sie mobilisieren und was könnte davon auf Deutschland entfallen?
Obermann: Anders als die meisten anderen großen Private-Equity-Häuser investiert Warburg Pincus in Europa aus globalen Fonds. Dabei wird Kapital in die Firmen investiert, die eine attraktive Investmentlogik bieten und deren Sektoren wir verstehen. Es werden also nicht irgendwo in der Zentrale regionale Investitionsquoten geplant. Unsere Aufgabe ist es, vielversprechende Firmen zu finden, die Kapital und Beratung für ihren nachhaltigen Erfolg suchen, und dann unsere Fondsmanager entsprechend zu beraten, damit gute Entscheidungen getroffen werden.
Haben Sie zurzeit in Deutschland „konkrete Gelegenheiten“ auf dem Radar?
Obermann: Wir schauen uns derzeit so viel an, dass wir mit der Arbeit kaum nachkommen: digitale, auch softwarebasierte Infrastruktur, auch im Energiebereich, Software für Unternehmen und auch den Gesundheitssektor, um nur einige Beispiele zu nennen.
Ist das ein Segment, in dem Sie das Portfolio ausbauen?
Fowinkel: Ja, interessant sind sowohl Software für den Gesundheitssektor, Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen, Medizintechnik als auch Auftragsfertigung. Hier haben WP-Fonds gemeinsam mit Advent im Mai für 4,25 Mrd. Dollar das Biopharma-Solutions-Geschäft (BPS) von Baxter gekauft. BPS ist halb deutsch und halb amerikanisch und sitzt hierzulande im westfälischen Halle. Grundsätzlich verfügt Deutschland in diesem Bereich über sehr viele kleine, innovative Firmen, die oft sogar in einer Nische Weltmarktführer sind.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen lahmt auch aufgrund extrem langwieriger regulatorischer Debatten und Hürden. Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?
Obermann: Zunächst einmal schauen wir auf den Markt. Das Gesundheitssystem in Deutschland steht massiv unter Druck: zu hoher Anteil stationärer Behandlung, zu wenig ambulante Versorgung, zu geringe Digitalisierung, hoch ineffiziente Administration. Insofern sind wir überzeugt davon, dass da verantwortungsbewusste Investoren auch Gutes für das gesamte System bewirken können. Aus unserer Sicht gibt es deshalb Chancen, insbesondere durch den Einsatz moderner Technologie und modernen Managements. Mit Nutzen für Patienten und Entlastung für das System. Und das Bewusstsein dafür wächst. Allerdings scheint – frei nach Walser – nichts ohne sein Gegenteil wahr. Es gibt auch Forderungen nach weniger Privatisierung und mehr Staat. Mal sehen, ob wir als Gesellschaft lernfähig sind und die Chancen ergreifen, etwa durch bessere Nutzung von Daten – ein heißes Eisen.
Welche denn?
Obermann: Wenn Sie eine Therapie bekommen, was passiert nachher mit den Daten über den Erfolg oder Misserfolg der Therapie? Wer wertet die aus? In welchen Datenpool fließen sie ein? Oder wohin senden Radiologen ihre Bilder als Trainingsdaten für die AI? Wir werfen unendliches Potenzial weg. Das gesamte Gefüge muss in Bewegung kommen und das wird es, allmählich und gegen viel Widerstand.
Im Moment blüht der IPO-Markt gerade als zartes Pflänzchen wieder auf. Welche Unternehmen in Ihrem Portfolio sind am ehesten für einen Börsengang geeignet und am nächsten dran?
Fowinkel: Unser aus Berlin betreutes Portfolio ist relativ jung, die Warburg Pincus Fonds halten die Beteiligungen im Schnitt erst seit zwei bis drei Jahren. Für IPO-Planspiele ist es da noch zu früh. Grundsätzlich ist es aber ein Riesenvorteil für einen Standort, wenn es aufnahmefähige IPO-Märkte gibt, so wie in den USA. Dort können auch kleinere Firmen an die Börse gehen und längerfristige Investoren für ihre Aktien finden; das klappt in Deutschland oder im Rest Europas nicht so gut. Die Firmen gewinnen nicht nur öffentliche Sichtbarkeit, sondern auch eine Währung, mit der man zukaufen oder Mitarbeiter vergüten kann.
Bedeutet das also, weil Ihre Portfoliofirmen derzeit alle noch recht jung sind, dass Sie eher ein IPO in den USA anstreben würden?
Obermann: Mal grundsätzlich: Wir sind auch hier, weil wir Deutschland und Europa als Standort interessant finden und fördern wollen. Deshalb haben wir das Büro in Berlin eröffnet. Zunächst ist aber unser Anspruch, eine Firma zu entwickeln und auf diese Weise wertvoller zu machen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Fowinkel. Ja, etwa Infoniqa, ein Unternehmen, das Software und Dienstleistungen im Bereich Finanzbuchhaltung und Personalwesen für den Mittelstand anbietet. Mit Infoniqa haben wir mittlerweile drei Akquisitionen getätigt und eine Firma geschaffen, die im deutschsprachigen Raum mit Firmen wie Personio, Datev und Abacus auf Augenhöhe konkurriert. Infoniqa führt für mehr als drei Millionen Angestellte jeden Monat die Lohnabrechnung durch, betreibt Personalportale und E-Learning-Lösungen sowie Software für die gesamte Buchhaltung und Unternehmenssteuerung. Hierbei setzt die Firma auf moderne Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), um Buchungen zu automatisieren.
Zu einer anderen Firma in Ihrem Portfolio: Beim Maklerpool Blau Direkt war von einem Zukauf die Rede. Hat der schon stattgefunden?
Fowinkel: Ja, mit Blau Direkt, einer technologiegetriebenen Plattform für Versicherungsmakler, haben wir schon in verschiedenen Bereichen zugekauft. Einerseits, um das Angebot für Vermittler und Versicherer zu vergrößern, und andererseits, um den kleinteiligen und oftmals noch ineffizienten Markt zu konsolidieren.
Haben Sie ein Zielbild, wo das Unternehmen hinsoll? Und wie weit sind Sie damit?
Fowinkel: Blau Direkt will der Infrastrukturdienstleister für den unabhängigen Makler sein. Der unabhängige Makler soll bei Blau Direkt das technologisch beste, effizienteste und anwenderfreundlichste Portfolio an Dienstleistungen, Software und Konditionen mit den Versicherern bekommen, damit er sich auf das Betreuen und Gewinnen von Kunden fokussieren kann. Das Team von Blau Direkt hat hier schon ordentlich vorgelegt, die Technologie ist führend, die erfolgreichsten unabhängigen Makler arbeiten gern mit Blau Direkt zusammen, und mit der Hilfe von Warburg Pincus soll diese Position nicht nur durch Zukäufe ausgebaut werden. In Deutschland gibt es ungefähr 50.000 Versicherungsmakler, und davon kann Blau Direkt – je nach Berechnung – zwischen 8.000 und 10.000 erreichen. Das ist ein großer Markt, mehr als 1 Mrd. Euro an Vermittlerprovision pro Jahr.
Gibt es eine Unter- und eine Obergrenze für das Investmentvolumen bei einem Unternehmen?
Fowinkel: Wir investieren oft nicht in einem, sondern in zwei oder mehreren Schritten. Dabei haben wir das Gesamtvolumen im Blick, das wir in diese spezifische Branche investieren wollen. Am unteren Ende sind das in etwa 75 Mill. Dollar, am oberen etwa 1 Mrd. Dollar pro Akquisition. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Beispiele, bei denen wir substanziell über 1 Mrd. Dollar investiert haben. Wenn man ein gutes Investment im Blick hat, finden sich leicht Investoren, die mitziehen wollen. Das öffnet Spielräume nach oben.
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Das Interview führten Heidi Rohde und Christoph Ruhkamp.