DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: MARIA FERRARO

"Wir müssen schlanker und flexibler werden"

Die Finanzchefin von Siemens Energy erläutert den Plan, wie das abgespaltene Unternehmen profitabler werden soll

"Wir müssen schlanker und flexibler werden"

Frau Ferraro, im März wurden ein neuer CEO und Sie als CFO kurzfristig für Siemens Energy berufen. Waren Sie in diesem Moment auch überrascht?Ja, in gewisser Weise war ich von der Anfrage überrascht, aber ich habe mich gefreut. Ich arbeite seit 16 Jahren für Siemens, und wenn Sie so wollen, ist das jetzt für mich der nächste logische Schritt auf meinem Karrierepfad. Das Timing war sicherlich nicht ideal, weil es so kurzfristig war. Aber ich freue mich auf die neue Aufgabe und bin mit Leib und Seele dabei. Was reizt Sie daran?Die Möglichkeit, aus dem historischen Kern von Siemens mit einem wunderbaren Team etwas Neues zu schaffen – mit allen Herausforderungen, die die Aufgabe mit sich bringt: Größe, Komplexität, Marktumfeld, auch der recht herausfordernde Zeitplan. Das sehe ich als eine einmalige Gelegenheit an. Sie und Vorstandschef Christian Bruch haben bisher keine oder wenig Erfahrung in der Energiebranche. Jetzt müssen Sie ein neues Unternehmen aufbauen. Das wird schwer, oder?Natürlich. Aber es ist nicht so, dass ich keine Erfahrung im Energiegeschäft hätte. Im Juni 2004 habe ich meine Karriere bei Siemens Kanada begonnen. Am Ende war ich CFO für die Landesgesellschaft. Das Energiegeschäft hat dort immer eine große Rolle gespielt. Das gilt auch für Großbritannien, wo ich ebenfalls als Finanzchefin mit dem Energiegeschäft zu tun hatte und viel Erfahrung gesammelt habe. Und ich kannte bereits große Teile des Teams. Das Geschäft ist also nicht ganz neu für mich, aber ich gehe die Aufgabe mit Demut an und versuche, ständig dazuzulernen. Ich mache das ja auch nicht allein, in der Organisation arbeiten fantastische Leute. Welche Erfahrungen und Kenntnisse von der Division Digitale Fabrik können Sie nun nutzen?Sowohl im Produktgeschäft mit Software als auch im Projektgeschäft von Siemens Energy zählen die Details. Ebit und Cash-flow, darauf kommt es an. Und hier sehe ich noch Potenzial für Verbesserungen. Ein weiteres zentrales Thema ist die Kostendisziplin. Welcher Abstand wäre aus Ihrer Sicht der richtige für Energy im Verhältnis zur Siemens AG? Nicht nur räumlich gesehen, sondern auch wirtschaftlich und personell?Die Siemens AG wird nicht mehr Mehrheits-, aber Ankeraktionär sein. Der Abstand ist ausreichend und im Übrigen ja auch per Entherrschungsvertrag juristisch festgelegt. Wir werden unabhängig sein und haben alle Instrumente in unserer Hand, Wert zu heben. Aber Sie wünschen sich schon etwas Freiraum, oder? Der frühere CEO Michael Sen wollte mehr Abstand und stieß damit auf Widerstand.Aus meiner Sicht haben wir alles, was wir brauchen. Ich sehe hier überhaupt kein Problem. Für die Zentrale des Unternehmens wäre es dennoch besser, wenn der Sitz nicht in München wäre.Das Unternehmen hat seinen rechtlichen Sitz in München. Die Entscheidung über die operative Zentrale haben wir für spätestens Ende des Jahres angekündigt. Aber: Wir haben nicht nur Standorte mit wichtigen Funktionen in Erlangen und München, sondern auch in Orlando in den USA und anderen Teilen der Welt. Das wird sich nicht ändern. Die Pandemie zeigt ja recht gut, dass man auch virtuell führen kann. Das Geschäft geht weiter, egal was passiert und unabhängig vom operativen Sitz. In der Zentrale haben wir ohnehin gerade mal 150 Mitarbeiter. Aber sie wird natürlich in Deutschland sein?Ja, natürlich. Welche Börsenstory präsentieren Sie Investoren? Die operative Marge und die Kapitalrendite sind ziemlich niedrig im Energiegeschäft.Die Energieindustrie hat turbulente Jahre durchlebt. 2019 dann hat sich der Markt auf ein gesundes Maß normalisiert. Dass dann Covid-19 die Welt in Atem hält, konnte niemand voraussehen. Wir sind bisher relativ gut durch die Pandemie gekommen, wir sind ein schuldenfreies Unternehmen mit einer sehr soliden Kapitalausstattung. Die Equity Story ist diese: Wir haben einen klaren Plan, wie wir die Profitabilität steigern können. Wir haben ein exzellentes Portfolio, von der Energieerzeugung über die Übertragung bis zu den erneuerbaren Energien. Unser Portfolio ist ein Spiegel der Energiewelt. Wir glauben, das ist einzigartig im Markt. Neben den Wachstumschancen ist die Kostenstruktur der andere wichtige Ansatzpunkt. Wie weit sind Sie mit den Kostensenkungen?Siemens Energy hatte Kosteneinsparungen von 1 Mrd. Euro bis 2023 angekündigt. Auf dem Kapitalmarkttag am nächsten Dienstag werde ich über den Fortschritt berichten. Wir sind auf dem richtigen Weg, um die Milliarde zu erreichen. Wird es bei einer Milliarde bleiben?Nein. Müssen weitere Arbeitsplätze abgebaut werden?Für eine klare Aussage ist es noch zu früh, aber ausschließen kann ich es nicht. Die Gewerkschaft IG Metall will das Radolfzell-Abkommen nach dem Übergang von einem Jahr übernehmen. Das bedeutet keine betriebsbedingte Kündigung und Schließung von Standorten. Was halten Sie davon?Sowohl die Mitbestimmung als auch wir wollen am Ende alle dasselbe, nämlich, dass es dem Unternehmen gut geht. Wir werden mit den Arbeitnehmervertretungen Gespräche darüber aufnehmen, wie eine künftige gemeinsame Herangehensweise aussehen kann. Was erwartet die Investoren auf dem Kapitalmarkttag am nächsten Dienstag?So viel steht fest: Unsere Profitabilität muss besser werden. Dazu müssen wir schneller, schlanker und flexibler werden. Um das zu erreichen, haben wir zentrale Themen definiert, die wir anpacken. Welche Themen?Zum Beispiel müssen wir unsere Kapazitäten an die gesunkenen Marktanforderungen anpassen, ich nenne das “the new normal”. Ein weiteres Thema ist Projektexzellenz. Was heißt das?Das bedeutet beispielsweise, dass wir unsere Projekte besser managen. Weniger Abstimmungsschleifen, exaktere Zeitpläne, genaue Budgetplanungen. Das bedeutet aber auch, dass wir die Projekte, die nicht profitabel sind, nicht mehr annehmen. Ebenfalls ein wichtiger Hebel sind die Senkung der Non-Conformance-Kosten, also Abweichungen zwischen der Vor- und Nachkalkulation von Kundenprojekten. Auch bei Beschaffung und Lieferketten sehen wir noch erhebliches Potenzial. Welche Investoren wollen Sie gewinnen? Auch solche mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit wie BlackRock?Wir haben eine überzeugende Story für alle Investoren. Natürlich wird es einige geben, die aus verschiedenen Gründen nicht in Siemens Energy investieren. Aber wir wollen sicherstellen, dass zumindest alle unsere Strategie für profitables Wachstum kennenlernen, genauso wie unser Portfolio von konventionellen bis zu erneuerbaren Energien. Deshalb machen wir den Kapitalmarkttag. Große Teile der Öffentlichkeit denken immer noch, dass unser Geschäft nicht attraktiv für nachhaltige Investoren ist. Aber das stimmt nicht. Gut 50 % unseres Geschäfts sind bereits heute dekarbonisiert, das heißt, bei der Produktion und Anwendung unserer Technologie gelangt kein Kohlendioxid in die Atmosphäre. Deshalb sind wir natürlich auch für Investoren mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit interessant. Bieten Sie Wachstumsvisionen und Wachstumspläne an? Oder verlassen Sie sich auf den Service als verlässliche Cashcow?Siemens Energy hat Stand letztes Geschäftsjahr einen riesigen Auftragsbestand von 77 Mrd. Euro. Wir haben einen starken Service, das sind wiederkehrende und hochprofitable Umsätze. Unser Geschäft ist relevant. Ohne uns gehen die Lichter aus, denn schätzungsweise ein Sechstel der weltweiten Energieproduktion basiert auf unserer Technik. Das alles macht uns zu einem sehr robusten Business, in der Vergangenheit und auch heute. Diese Kombination ist eine gute Ausgangsbasis und liefert Transparenz für unsere Zukunft. Was halten Sie von Wasserstoff als Energieträger?Wasserstoff ist eine vielversprechende Zukunftstechnologie und auch ein wichtiger Teil unserer Strategie. Unser Portfolio schließt das schon ein. Wir sehen uns führend auf dem Gebiet, unsere Kunden bekommen bereits heute schlüsselfertige Anlagen hingestellt, die grünen Wasserstoff produzieren. Das ist daher ein Geschäft, das wir gemeinsam mit unseren Partnern industriell skalieren wollen. Wenn es dann so weit ist, gehören wir zu den Ersten, die damit Geld verdienen. Wird Siemens Energy Unternehmensteile verkaufen?Wir müssen uns immer unser Portfolio anschauen, ob es Verbesserungspotenzial gibt. Größere Veränderungen haben wir derzeit allerdings nicht vorgesehen. Rechnen Sie mit Sonderabschreibungen? Zum Beispiel auf den Goodwill.Die Frage bekommen wir oft. Gemäß der internationalen Rechnungslegungsstandards nehmen wir regelmäßig Werthaltigkeitsprüfungen vor. Wir haben bisher keinerlei Indikationen für eine Notwendigkeit von Goodwill-Abschreibungen gehabt. Und das gilt auch für Dresser-Rand?Genau. Dresser-Rand ist Teil der Geschäftseinheit “Gas und Power” und das gilt auch hier. Eni, Shell und BP mussten zuletzt Abschreibungen in Milliardenhöhe vornehmen.Zu anderen Unternehmen kann ich nichts sagen. Wir bilanzieren nach IFRS und halten uns an die Regeln. Gibt es Einsprüche gegen den Beschluss der Hauptversammlung, Siemens Energy abzuspalten?Nein. Wir hatten eine sehr hohe Zustimmung von 99,36 % und es gab keine Anfechtungsklagen. Wir sind also voll auf Kurs. Was denken Sie, wie wird Siemens Energy in drei bis fünf Jahren aussehen?Wir werden Schritt für Schritt liefern, weiter profitabel wachsen, und zwar auf ein Margenniveau, das für unsere Aktionäre und Stakeholder akzeptabler ist, als das aktuell der Fall ist. Die Zahl für das Ziel werden Sie erst auf dem Kapitalmarkttag nennen?Ja, auf dem Kapitalmarkttag nennen wir konkrete Ziele und zeigen einen Weg auf, wie wir die erreichen werden. Sie sind im Vorstand auch für Diversität zuständig. Warum ist dieses Thema aus Ihrer Sicht so wichtig – gerade für Siemens Energy?Es geht hier nicht nur um einen gesellschaftlichen Trend. Das Energiegeschäft ist zwar ein traditionelles Geschäft, aber auch hier geht es nicht ohne Transformation. Der Energiemarkt ändert sich, daher müssen auch wir uns verändern. Wir müssen sicherstellen, die besten Leute an Bord zu haben, mit unterschiedlichen Sichtweisen. Meine Erfahrung zeigt, dass Vielfalt Möglichkeiten schafft und Unternehmen profitabler und erfolgreicher macht. Mir geht es nicht nur um Geschlechterquoten, sondern auch um unterschiedliche Nationalitäten und Kulturen. Wie weit sind Sie heute mit dem Thema?Es ist extrem positiv, dass wir im gesamten Vorstand über Diversität diskutieren, wir haben da alle die gleiche Haltung. Wir bewegen uns zwar in einem traditionellen Umfeld, aber insbesondere im mittleren Management sind wir nicht divers genug. Das wird sich nur ändern, wenn wir auch an der Spitze Vielfalt fördern. Was die Frauenquote unter den Führungskräften betrifft, wollen wir 25 % im Jahr 2025 erreichen. Wie hoch ist der Anteil heute?Wir sind unserem Ziel schon recht nah. Der nächste Schritt lautet daher 30 % bis 2030. Sie sehen also, mit dem Börsengang am 28. September ist unsere Reise noch lange nicht zu Ende. Aber ich freue mich auf die anstehenden Aufgaben. Das Interview führte Joachim Herr.