IM INTERVIEW: THORSTEN DIRKS

"Wir sind keine Ryanair-Kopie"

Eurowings-CEO peilt für 2019 Stabilisierungsjahr an - Mehr Puffer im Flugbetrieb - Kosten "müssen weiter sinken" - "Zerfall" von Wettbewerbern als Chance

"Wir sind keine Ryanair-Kopie"

– Herr Dirks, blicken wir zunächst auf den vergangenen Sommer zurück. Der war in den Augen der Kunden kein Ruhmesblatt für den Luftverkehr. Was tun Sie, um bei Eurowings künftig ein solches Chaos zu verhindern?Zunächst einmal gilt festzuhalten: Eurowings war im November die pünktlichste Airline in Deutschland und eine der pünktlichsten in ganz Europa, weil wir rasch unsere Lehren aus dem turbulenten Sommerflugplan gezogen haben. Das starke Wachstum des Flugverkehrs hat die Infrastruktur im Sommer 2018 überlastet. Wir selbst haben 77 frühere Air-Berlin-Flugzeuge zwar in Rekordzeit, aber nicht ganz ohne Verzögerungen an den Start bringen können. Darüber hinaus gab es weitere Kapazitätsengpässe, insbesondere bei Flugsicherungen. Und wir müssen uns darauf einstellen, dass deren Kapazitäten 2019 bestenfalls so groß sein werden wie in diesem Jahr.- Wie können Sie dem begegnen?Wir haben zahlreiche Puffer eingebaut, das heißt: Flugzeiten verlängert, Bodenzeiten verlängert. Damit minimieren wir das Risiko, schon zu früher Stunde Verspätungen aufzubauen, die sich dann über den Tag fortsetzen. Und wir planen abends frühere Landungen an Airports – dadurch schaffen wir größeren Abstand zu Nachtflugverboten und reduzieren Ausweichlandungen. Darüber hinaus “kapseln” wir innerdeutsche Flüge, um sie unabhängig von den überfüllten Lufträumen in Südeuropa operieren zu können. Wir beginnen also schon in der Flugplanung damit, Verspätungsrisiken entgegenzutreten. Wir sehen bereits, dass uns diese Maßnahmen eine deutliche höhere Zuverlässigkeit bringen, insbesondere für unsere Business- und Vielflieger. Das bedeutet natürlich auch, dass wir Produktivität aus dem System genommen haben.- Produktivität herauszunehmen bedeutet aber steigende Kosten und sinkende Einnahmen, oder?Wir müssen Produktivität und Stabilität in eine neue Balance bringen. 2018 war in vieler Hinsicht ein Ausnahmejahr, weil wir binnen kürzester Zeit so viele Flugzeuge der insolventen Air Berlin integriert haben. Darüber hinaus haben wir bis zum Sommer 3 000 neue Mitarbeiter eingestellt – in diesem Tempo hat das keine Airline vor uns gemacht. Man könnte auch sagen: Wir haben das größte Integrationsprojekt im deutschen Luftverkehr gestemmt. Daher konnten wir das System im Sommer 2018 noch nicht optimal aufstellen. Wir hatten Einmalkosten für die Integration zu schultern, auch weil Flugzeuge und Crews später einsatzbereit waren als geplant. Zahlreiche Mitarbeiter konnten wir zunächst nicht an ihrem Heimatort einsetzen, was Tausende Transfers nötig machte. Da bleibt viel Potenzial für 2019, um das System effizienter und kostengünstiger aufzustellen.- Wie weit sind Sie denn damit vorangekommen, was die Kostenschere zu konkurrierenden Low-Cost-Carriern wie Easyjet oder Ryanair betrifft?Wir waren im vergangenen Jahr auf einem sehr guten Weg und hatten die Kosten pro angebotenem Sitzkilometer spürbar gesenkt. 2018 war für uns wie für alle Wettbewerber, die nach dem Aus der Air Berlin expandiert haben, ein Jahr mit hohen Einmalkosten. Dabei lagen die Integrationskosten pro Flugzeug bei Easyjet und Ryanair deutlich höher als bei Eurowings. 2019 werden wir sehr deutliche Kostensenkungen sehen und beginnen, unsere neu erreichte Marktgröße in Skaleneffekte umzumünzen.- Bleibt es für 2018 bei einem Verlust für Eurowings?Es wird bei Einmalkosten von 170 Millionen Euro bleiben. Diesem Investment steht ein strategischer Wert gegenüber, den wir weit höher einschätzen: dass wir nach der Insolvenz von Air Berlin eine einmalige Chance genutzt und signifikant Marktanteile gewonnen haben. Wir mussten 40 Wochen Wachstumsschmerzen in Kauf nehmen, um nicht Marktanteilen von 40 Jahren Air Berlin hinterherzulaufen. So sind wir in unseren Kernmärkten Deutschland, Österreich und Belgien an vielen Flughäfen die unangefochtene Nummer 1 geworden. Das wird entsprechend positive Folgen für die Profitabilität unseres Unternehmens haben.- Also geben Sie weiter Gas?Wir haben Eurowings in einer kritischen Marktphase als Europas drittgrößte Airline im Point-to-Point-Verkehr positioniert. Diesen großen Sprung werden wir jetzt erst verdauen, bevor wir über weitere Schritte nachdenken. Die Unternehmensgröße der Eurowings hat sich innerhalb von drei Jahren etwa verdreifacht – von 60 auf 185 Flugzeuge, von einst 3 000 auf jetzt fast 10 000 Mitarbeiter. Da gibt es naturgemäß jetzt viel zu sortieren und aufzuräumen.- Einer Ihrer Wettbewerber ist seit einiger Zeit intensiv mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Profitieren Sie am Markt von den Personalkonflikten und den Ausfällen bei Ryanair?Bei Ryanair setzt erwartungsgemäß eine neue Zeitrechnung ein, die erstmals die Auseinandersetzung mit Gewerkschaften und den Abschluss von Tarifverträgen nötig macht. Wir haben in diesem Bereich bereits viele Hausaufgaben gemacht und aktuell nahezu alle Tarifverträge gemeinsam mit unseren Sozialpartnern geschlossen.- Allerdings steht Ryanair vor einem Kostenschub, der sich letztlich auch in Veränderungen des Geschäftsmodells niederschlagen muss. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach für die Preisentwicklung?Mein Eindruck ist, dass viele Kunden bereit sind, etwas mehr zu zahlen, wenn sie dafür eine entsprechende Servicequalität bekommen. Deshalb ist es uns ja so wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Turbulenzen des Sommers 2018 nicht wiederholen. Dazu müssen nicht nur wir, sondern alle Beteiligten in der Branche ihre Hausaufgaben machen. Der Luftfahrtgipfel im Oktober war ein erster Schritt.- Die Ergebnisse waren aber doch sehr bescheiden, oder? Hat nicht die Politik den Schwarzen Peter an Airlines und Flughäfen zurückgegeben?Das sehe ich anders. Wichtig ist, dass alle Beteiligten jetzt in einen engen Dialog eingetreten sind. Einen Luftfahrtgipfel dieser Art gab es in den vergangenen 20 Jahren nicht. Und wir haben einen Nachfolgetermin im März 2019 vereinbart, um zu überprüfen, was bis dahin erreicht wurde, um die Situation Schritt für Schritt zu verbessern.- Indes muss doch allen Beteiligten klar sein, dass ein üppiges Wachstum – deutlich über dem BIP – nicht zum Nulltarif zu haben ist.Ja, dennoch müssen wir den Anpassungsbedarf an vielen einzelnen Stellen lösen. Beispiel Sicherheitskontrollen: Das ist eine hoheitliche Aufgabe, und wir wissen, dass wir bei Technik und Performance in Deutschland vergleichsweise schwach sind. Es gibt zum Beispiel in Holland deutlich modernere und effizientere Systeme, die auch bei uns die Abfertigung an den Flughäfen erleichtern würden. Da muss auch die Politik jetzt tätig werden.- Wann rechnen Sie mit mehr Fluglotsen?Die DFS plant in sogenannten Regulierungsperioden, für die sie ein bestimmtes Wachstum des Flugverkehrs annimmt und dafür die notwendigen Fluglotsen vorsieht – und zwar in der Regel für das untere Ende der Prognosespanne. Wenn der Markt in der Realität über das obere Ende der Spanne hinausschießt, wie jetzt geschehen, stehen wir vor schwerwiegenden Engpässen. Eine Fluglotsenausbildung dauert vier Jahre. Die Branche kann also, was die Zahl der Lotsen angeht, nicht vor 2023 mit deutlich mehr Kapazität an dieser Stelle rechnen.- Löst das dann die Engpässe?Nur teilweise. Wir haben immer noch keinen Single European Sky, sondern einen sehr fragmentierten Luftraum, der sich an Landesgrenzen orientiert. Deutschland hat eine steigende Zahl von Überflügen. Das bedeutet für uns im innerdeutschen Verkehr, dass wir in manchen Bereichen des oberen Luftraums gar nicht mehr fliegen können. Die Folge sind deutlich höhere Treibstoffkosten, allein für uns in diesem Jahr 9 000 Tonnen Kerosin zusätzlich.- Wird die Fragmentierung demnächst noch schlimmer, wenn der Brexit kommt?Aus Sicht der Lufthansa-Gruppe sehen wir keinen markanten Einfluss des Brexit auf unser Passagiergeschäft. Die Nachfrage nach unseren Flügen von und nach Großbritannien hat sich seit der Brexit-Entscheidung und der Abwertung des britischen Pfunds 2017 positiv entwickelt. Der Konzern ist auf verschiedene Szenarien vorbereitet. Sogar im Falle eines “No Deal”-Szenarios wird es nach unserer Bewertung für unsere Group-Airlines möglich sein, weiter von und nach Großbritannien zu fliegen. Ziel der Lufthansa-Gruppe ist es sicherzustellen, dass der Übergang so reibungslos wie möglich geregelt werden kann, ohne den Luftverkehr zu beeinträchtigen,- Wenn also das Wachstum in der Branche und auch für Eurowings nicht kostenlos ist, sehen Sie eine realistische Chance, einen Kostenschub auf die Preise weiterzugeben – in Anbetracht des scharfen Wettbewerbs?Wir werden höhere Preise am unteren Ende der Angebotsspanne sehen, und zwar in der gesamten Branche. Es gibt Angebote für Geschäftsreisende, die für Abflüge im Stundentakt und bestimmte andere Komfortmerkmale bereit sind, mehr zu bezahlen. Beispiele sind unsere Strecken von Düsseldorf oder Köln nach Berlin, die wir bis zu 18-mal am Tag fliegen. Diese Ausrichtung führt zu etwas höheren Kosten, aber eben auch zu höheren Erlösen.- Wie hoch?Es kommt immer auf das Kundensegment an, das wir ansprechen, entsprechend variiert der Erlös pro Kunde. Im Durchschnitt liegen unsere Erlöse aber deutlich höher als bei Ryanair.- Sie sprachen von Kundensegmenten, wie würden Sie das Geschäftsmodell der Eurowings im Hinblick darauf beschreiben?Eurowings steht als Zweitmarke der Lufthansa für preisgünstige Direktverbindungen. Wir sind aber keine Ryanair-Kopie, auch weil wir mit der Belegschaft eine ganz andere Sozialpartnerschaft leben als Ryanair. Meine Prognose ist, dass sich die Kostenniveaus in den nächsten Jahren weiter annähern werden. Ryanair steht mit Blick auf die aktuellen Tarifdiskussionen europaweit vor einem Kostenschub, wir indes haben noch viele Potenziale, Kosten zu senken.- Wie schnell werden Sie diese Potenziale nutzen können?Wir werden keine Schnellschüsse machen, sondern – wie bei unserer Operations – nachhaltige Maßnahmen zur Kostensenkung durchführen, unter anderem bei der Flugzeugbeschaffung. Deutliches Potenzial haben wir auch bei der Crew-Produktivität, was die Anzahl der Flugstunden im Jahr betrifft. Und nicht zuletzt werden wir Flugbetriebe harmonisieren, die wir dank unserer Plattform-Strategie rasch bei uns integrieren konnten.- Ist auf dieser Plattform denn noch Platz?Wir haben Eurowings zu einer erfolgskritischen Größe weiterentwickelt und gezeigt, dass wir bei der laufenden Airline-Konsolidierung in Europa eine treibende Rolle spielen. 2019 werden wir konsequent integrieren und harmonisieren. Unser Top-Ziel ist, dabei die Kundenzufriedenheit signifikant zu steigern: dafür brauchen wir an erster Stelle Pünktlichkeit und die Fortsetzung unseres positiven Trends mit mehr als 99 Prozent Zuverlässigkeit bei der Flug-Performance.- Und welche Ziele haben Sie wirtschaftlich?Nach der Einmalinvestition für die Integration der ehemaligen Air-Berlin-Kapazitäten wollen wir 2019 wieder profitabel fliegen. Dass wir trotz des harten Verdrängungswettbewerbs Geld verdienen können, haben wir ja im Vorjahr bereits unter Beweis gestellt.- Was ist denn eine Zielgröße für die Ertragskraft auf mittlere Sicht?Unser Gradmesser ist Easyjet, die Margen im hohen einstelligen Prozentbereich erzielen. Dafür müssen wir natürlich noch an unserer Kostenposition arbeiten. In Sachen Ertragskraft hilft uns aber unser Angebotsportfolio, das auch für Geschäftsreisende und Vielflieger sehr attraktiv ist.- Sind Sie mit Ihrem Netz schon zufrieden?Der Zuschnitt unseres Netzes ist ein ständiger Entwicklungsprozess, vor allem im touristischen Geschäft. Reiseströme verändern sich schnell. Wer sich da nicht entsprechend schnell anpassen kann, verliert.- Und kommt Eurowings bald nach Frankfurt?Wir haben bereits heute Flugzeuge an den Lufthansa-Hubs München und Wien stationiert – aus München heraus fliegen wir auch Interkontinentaldestinationen an. Wir schauen uns das immer wieder an. Eine finale Entscheidung pro oder contra Frankfurt ist aber noch nicht gefallen.- Noch einmal zum Geschäftsmodell der Eurowings, wie würden Sie es beschreiben?Erstens, wir fliegen Geschäftsreisende in die Metropolen, etwa von und nach Brüssel, nach London oder Paris. Das Geschäft wächst moderat und ist sehr gesund. Zweitens, wir fliegen Millionen Menschen aus Europa in den Urlaub. Da konkurrieren wir weniger mit Low-Cost-Carriern als mit einer Tuifly oder Condor. Das betrifft eine Klientel, die ein-, zweimal im Jahr fliegt und schon deshalb nicht auf den Flugpreis schaut, weil er oft in einer Pauschalreise steckt und nicht separat ausgewiesen wird. Da wachsen wir ebenfalls moderat, und die Erträge entwickeln sich gut. Das dritte, vergleichsweise neue Segment sind die “Happy Weekender”, die für kleines Geld und vergleichsweise spontan in Europa verreisen, um ein Konzert, ein Fußballspiel oder eine interessante Stadt anzusehen.- Wie verteilen sich die Erlöse über die genannten Segmente?Wir sind stark engagiert im Geschäftskundensegment und mit Reiseveranstaltern. Das dritte Segment ist schwächer und zurzeit geprägt von einem sehr intensiven Verdrängungswettbewerb – so intensiv, dass Flüge bisweilen günstiger angeboten werden als die Taxifahrt zum Flughafen.- Wenn dieses Geschäft so schwierig und offenbar verlustreich ist, sollte man sich da dann nicht zurückhalten?Es ist ein Segment, das die Low-Cost-Carrier erst geschaffen haben: Fliegen für kleines Geld wurde möglich für Menschen, deren Geldbeutel es früher nicht zuließ. Dadurch ist dieses Segment stürmisch gewachsen. Wir gehen aber davon aus, dass sich der Markt angesichts hoher Überkapazitäten deutlich konsolidieren wird.- Eine Air Berlin wollte auch auf allen Hochzeiten tanzen, das Ende ist bekannt . . .Das Problem bei Air Berlin war doch – abgesehen von der nicht wettbewerbsfähigen Kostenstruktur -, dass zugekaufte Airlines nie integriert wurden. Das ist eine Kernaufgabe, die wir sehr intensiv angehen, nicht nur bei Flugbetrieben wie Brussels Airlines oder Germanwings. Aus Deutschland heraus werden sie nie zu den europaweit günstigsten Kosten operieren können. Wir mussten aber an unseren großen Standorten in Deutschland die Nummer 1 werden, um unsere Position zu verteidigen – und das ist uns sehr gut gelungen.- Und wie passt Brussels Airlines in Ihr Geschäftsmodell?Brussels Airlines passt nicht in das Multi-Hub-System der Lufthansa mit ihren Drehkreuzen in Frankfurt, München, Zürich und Wien. Der Standort Brüssel steht im scharfen Wettbewerb mit Low-Cost-Carriern und ist besser aufgehoben im Point-to-Point-System der Eurowings. Zudem werden wir uns bei Eurowings auf zwei Langstrecken-Standorte konzentrieren, Düsseldorf und Brüssel. Für diese Langstrecken werden künftig die Kollegen der Brussels Airlines verantwortlich sein, die jahrzehntelange Erfahrung und Expertise in diesem Segment mitbringen.- Vor der Pleite von Air Berlin war immer eher darüber spekuliert worden, dass die Thomas-Cook-Tochter Condor bei Lufthansa landen könnte. Wie sieht es damit aus, wenn Air Berlin mal verdaut ist?Wir brauchen jetzt ein Stabilisierungsjahr, um unser Ziel für 2019 erreichen zu können: So zu fliegen, dass wir wieder zu den zuverlässigsten und pünktlichsten Airlines gehören. Natürlich gibt es in Europa noch Wettbewerber, die man sich im Falle eines Falles anschauen würde. Der Markt muss und wird sich – bei immer noch 160 Airlines in Europa – stark konsolidieren. Dabei stellt sich aber die Frage, ob man Airlines überhaupt noch kaufen wird oder nicht besser wartet, bis sie aus dem Markt ausscheiden. Ich denke, dass Letzteres zunehmend der Fall sein wird – wie bei Air Berlin.—-Das Interview führten Heidi Rohde und Lisa Schmelzer.