„Wir sind zuversichtlich, dass das machbar ist“
Karolin Rothbart.
Herr Vlaskamp, Die EU schreibt vor, dass schwere Nutzfahrzeuge ab 2030 mit mindestens 30 % weniger CO2-Emissionen unterwegs sein sollen als 2019/2020. 2021 belief sich der Anteil neu zugelassener Elektro-Lkw an allen neuen Trucks auf gerade mal 0,5 %. Ist Ziel das erreichbar?
Wir sind zuversichtlich, dass das machbar ist – zum großen Teil durch die Elektromobilität, aber auch durch die Weiterentwicklung der konventionellen Antriebstechnologie. Allerdings sind einige Weichen noch nicht gestellt. So existiert für schwere Nutzfahrzeuge zum Beispiel noch kein standardisiertes Schnellladesystem, wir benötigen dringend ausreichend Hochleistungsladesäulen, und auch das Emissionshandelsgesetz für den Güterverkehr wurde noch nicht verabschiedet. Trotzdem haben wir unsere batterieelektrischen Fahrzeuge wie Vans oder Busse bereits auf den Markt gebracht oder stehen kurz davor wie im schweren Lastverkehr.
Ihr Vorgänger Andreas Tostmann hatte auch das Ziel ausgesprochen, bis Ende 2023 alle Mitarbeiter für den Bau von Stromlastwagen zu qualifizieren. Welche Fortschritte sind diesbezüglich schon erreicht worden?
Das Resultat dieser Fortschritte haben wir in dieser Woche auf der IAA vorgestellt. Unser neuer E-Truck geht 2024 in Produktion, im Jahr 2023 werden wir ihn in verschiedenen Einsätzen auf Herz und Nieren prüfen. Rund 1 500 Mitarbeiter haben wir dafür heute schon im Umgang mit Hochvolt-Technologie qualifiziert. Wir tun das in unserer eigenen Academy, wo entsprechende Schulungen stattfinden. Zudem haben wir im vergangenen Jahr unser E-Mobility-Center in München eröffnet. Im Moment sind wir dabei, unsere Produktion dort für das Zeitalter der E-Mobility zu rüsten. Wir werden in der Lage sein, auf einem Band sowohl Elektro- als auch Diesel-Lkw zu produzieren. Das macht uns im Hochlauf der Technologie sehr flexibel.
Daimler Truck und Volvo setzen bei der Entwicklung emissionsfreier Lkw sowohl auf den batterieelektrischen Antrieb als auch auf die Wasserstoff-Brennzelle. Bei MAN wollen Sie sich dagegen mit Scania erstmal nur auf die Batterie konzentrieren. Warum?
Grundsätzlich sind auch wir technologieoffen. Wir bezweifeln allerdings, dass es ausreichend grünen Wasserstoff für die Anwendung im Nutzfahrzeugmarkt geben wird, und stellen das Ganze auch ökologisch und wirtschaftlich in Frage. Der Wasserstoff, der heute auf der Welt produziert wird, stammt zum ganz überwiegenden Teil aus fossilen Energieträgern. Wirklich ausreichend grünen Wasserstoff wird es vielleicht erst ab der Mitte des nächsten Jahrzehnts geben. Außerdem wissen wir, dass andere Branchen, zum Beispiel Stahl- und Chemiewerke, massenhaft grünen Wasserstoff benötigen werden. Dort wäre der Einsatz dann sinnvoller als im Lkw-Antrieb, wo er nicht sehr energieeffizient ist. Daneben stellt sich die Kostenfrage. Um beim Wasserstoff eine Kosten-Parität zur Batterie herzustellen, benötigen wir einen Preis von drei bis vier Euro pro Kilogramm. Heute kostet fossiler Wasserstoff schon um die 14 Euro pro Kilo. Bei grünem Wasserstoff sind es 30 Euro. Selbst wenn Wasserstoff deutlich günstiger wird, sollten wir nicht vergessen, dass sich auch die Batterietechnologie in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.
Die hohen Kosten – auch für batterieelektrische Trucks – sind auch ein Grund, weswegen sich viele europäische Flottenbetreiber derzeit noch gegen die Umstellung ihrer Flotten entscheiden. Ist dieser Einwand berechtigt?
Bei der Beschaffung neuer Fahrzeuge geht es den Spediteuren ja nicht nur um den reinen Kaufpreisunterschied zum Diesel-Lkw. Es geht auch um die Frage, wie teuer der Betrieb des Fahrzeugs ist. Der europäische Emissionshandel soll bald auch auf den Verkehr ausgeweitet werden. Das heißt, dass Unternehmen nicht mehr nur für die Fertigung ihrer Waren Emissionsrechte kaufen müssen, sondern auch für deren Transport. Es wird für die Unternehmen also wichtig, auch dabei CO2 einzusparen. Das wird voraussichtlich zu einer Angleichung der Gesamtbetriebskosten von E-Trucks und Lkw mit Dieselmotor gegen Mitte der Dekade führen.
Bei Ihren Nachhaltigkeitszielen unterscheiden Sie sich auch von Scania, die sich bis 2040 komplett vom Diesel-Lkw verabschieden will. Daimler Truck will bis 2039 keine Verbrenner mehr in den wichtigsten Märkten ausliefern. Wann darf man bei MAN mit entsprechenden Ankündigungen rechnen?
Wir wollen 2050 klimaneutral sein. Unser Fokus liegt dazu ganz klar auf der Elektromobilität. Trotzdem wollen uns nicht auf Strategien festlegen für Zeiträume, deren Marktentwicklung wir heute noch gar nicht genauer abschätzen können. Es kann ja auch sein, dass es noch einzelne Märkte geben wird, wo Verbrenner weiterhin mit Biokraftstoffen im Einsatz sein werden. In Brasilien wird beispielsweise noch sehr viel Bio-Ethanol aus Zuckerrohr hergestellt. Auch Biogas wird in vielen Märkten eingesetzt und eignet sich beispielsweise gut für Busantriebe. Zur schnellen CO2-Einsparung investieren wir weiterhin in effizientere konventionelle Antriebe. Und mit Blick auf die Stromgewinnung in Europa muss man dazusagen: Das ist ja auch nicht alles grün. Norwegen setzt vielleicht zum großen Teil schon auf Wasserkraft. Aber in Polen beispielsweise steht dagegen vielfach noch Kohlekraft im Vordergrund.
In Nürnberg wollen Sie für rund 100 Mill. Euro eine Batteriefabrik bauen, die ab 2030 laut Plan 100 000 Akkus produzieren soll. Für die Masse an Batterien wird es früher oder später auch feste Recyclingquoten geben. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Wir beschäftigen uns schon beim Sourcing damit und stellen uns bereits bei der Entwicklung die Frage, wie die Zellchemie aussieht und wie wir die Akkus zusammensetzen. Der erste Ansatz, den wir verfolgen ist, eine Batterie nicht gleich zu recyceln, sondern sie so lange wie möglich im Fahrzeug zu nutzen. Nach der Erstnutzung im Fahrzeug verfolgen wir dann den Second-Life-Ansatz. Das heißt, dass die Batterien dann zum Beispiel nochmal als stationärer Zwischenspeicher genutzt werden können. Wenn wir die Batterie danach endgültig auseinanderbauen, um wichtige Rohstoffe zu recyceln, brauchen wir dafür natürlich die entsprechenden Kapazitäten. Hier sind wir in ersten Gesprächen mit Batterieherstellern, aber auch mit größeren Chemieunternehmen.
Der deutschen Politik wird oft vorgeworfen, die Energiewende durch zu viel Bürokratie zu verzögern. Lkw-Hersteller beklagen das derzeit vor allem mit Blick auf den schleppenden Ausbau der Ladeinfrastruktur. Wie sehen Sie das?
Ich lebe schon seit 16 Jahren in Deutschland. Viele sind hierzulande sehr selbstkritisch. Natürlich können wir die Planungs- und Genehmigungsprozesse noch beschleunigen. Und man sollte gerade beim Netzausbau auch noch mehr länderübergreifend arbeiten. Aber meistens ist es in Deutschland dann doch so, dass auf Phasen einer längeren Planung eine sehr konsequente Umsetzung erfolgt. In vielen anderen Märkten in Europa wird hingegen öfter mal wieder dies oder jenes erprobt. Dort kommt man dann eher selten zu flächendeckenden Lösungen.
In der Vergangenheit haftete MAN oft das Etikett des margenschwachen Sorgenkinds bei Traton an, das von einem Umbau in den nächsten schlittert. Warum soll genau jetzt, wo in Europa ein Krieg herrscht und die wirtschaftliche Lage mehr als angespannt ist, die Wende gelingen?
Die wirtschaftlichen Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine führten bei uns zu einem sechswöchigen Ausfall der Lkw-Produktion. Vor allem dadurch bedingt konnten wir im ersten Halbjahr nur ein bereinigtes operativen Ergebnis von 34 Mill. Euro erzielen. Immerhin: Das positive Ergebnis zeigt, dass wir als Unternehmen robuster geworden sind. Wir haben es trotz eines um rund 30 % gesunkenen Absatzes immer noch geschafft, Break-even zu erreichen. Das stimmt uns mit Blick auf die weiter vollen Auftragsbücher zuversichtlich, absehbar auch wieder in Richtung einer höheren Profitabilität zu kommen. Wir wollen 2023 auch viele Restrukturierungsthemen abschließen, zum Beispiel die Verschlankung des Lkw-Produktionsnetzwerks von drei auf zwei Werke.
Das Interview führte