IM INTERVIEW: MATTHIAS WISSMANN

"Wir wollen eine Gleichbehandlung in China"

VDA-Präsident über E-Autos, das lange Leben des Diesels, synthetische Kraftstoffe, verlorenes Vertrauen und das Vorbild IAA Frankfurt

"Wir wollen eine Gleichbehandlung in China"

– Herr Wissmann, welche Haltung nimmt die deutsche Automobilindustrie in der aktuellen China-Thematik um die Förderung der Elektromobilität ein?Wir setzen auf faire Wettbewerbsbedingungen. Wir wollen eine Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Herstellern, genauso, wie es chinesische Investoren in Europa auch zu Recht einfordern. Das Thema hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei seinem China-Besuch aus gutem Grund angesprochen. Wir sind immer für Reziprozität und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.- Und das wird überzeugen?Die Automobilindustrie plädiert seit jeher für offene Märkte und diskriminierungsfreie Regelungen, so wie sie in Deutschland üblich sind. So ist die Umweltprämie während der Absatzkrise 2009 ebenso wie die in diesem Jahr eingeführte Prämie für den Erwerb von Elektroautos absolut herstellerneutral umgesetzt worden. Von der Umweltprämie haben die internationalen Volumenhersteller damals mindestens genauso profitiert wie die inländischen Anbieter. Gleiches Verhalten erwarten wir von anderen großen Exportnationen.- Bewirkt die Prämie für Elektroautos spürbar etwas?Ich glaube, dass die Prämie in den nächsten Jahren stärker genutzt werden wird, einfach weil die Hersteller noch mehr attraktive Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen werden. Ein großer Schub solcher Fahrzeuge wird 2018 kommen. Spätestens dann erwarte ich eine Sogwirkung, zumal dann auch die Ladeinfrastruktur mit 15 000 bis 20 000 Ladepunkten in Deutschland stark ausgebaut sein wird. Mit schrumpfendem Preisunterschied zu herkömmlichen Fahrzeugen und vereinfachten Lademöglichkeiten kommt der E-Markt ins Rollen.- Wann wird ein E-Auto preislich in die Region herkömmlicher Pkw kommen?Das wird um die Jahrzehntwende der Fall sein. Das ist von Modell zu Modell unterschiedlich. Aber die Batteriezellpreise fallen stark, und die letzte Lücke schließt die Prämie. Unsere Förderung kommt später als in anderen Ländern und ist zudem weniger weitreichend. Das unterscheidet Deutschland etwa von den USA oder Norwegen. Gerade der norwegische Markt zeigt, dass die deutschen Hersteller in der Elektromobilität mithalten können, denn dort haben wir einen Marktanteil von über 50 %.- Welche Erwartungen für die Marktdurchdringung von E-Mobilität in Deutschland hat die Branche?Vor wenigen Jahren noch wurde der Marktanteil von Elektroautos 2025 auf etwa 3 % geschätzt. Heute sind wir der Meinung, wir können dann schon bei 15 bis 25 % liegen. Wir sind also deutlich optimistischer geworden. Das liegt neben den schon geschilderten Entwicklungen auch daran, dass sich der Verbraucher selbst mit dem Thema vertraut gemacht hat.- Kommt der Hochlauf der Elektromobilität schnell genug, um die EU-Emissionsziele von 95 g/km zu erreichen?Wir gehen davon aus, dass wir dieses ambitionierte Ziel schaffen, allerdings ist dabei noch nicht die Elektromobilität ausschlaggebend. Der entscheidende Baustein für die CO2-Ziele 2020 ist eindeutig noch der Diesel, weil er gegenüber dem Benziner mindestens 10 bis 15 % Effizienzvorsprung hat. Bei gleicher Segmentstruktur läge der CO2-Wert der Pkw-Neuzulassungen in Deutschland heute bei rein mit Benzinern ausgerüsteten Fahrzeugen bei rund 134 g. Wären alle diese Fahrzeuge ein Diesel, wären es rund 121 g.- Sieht man das in der Politik auch so?Was in der Politik nicht immer wahrgenommen wird, ist, dass CO2-Reduzierung einerseits und Minderung von Luftschadstoffen, zum Beispiel Stickoxiden, andererseits ein technischer Zielkonflikt ist. Beides zugleich zu erreichen ist enorm schwierig. Das ist aber bei den neuesten Euro-6-Dieseln gelungen – im Labor und auf der Straße. Bisher lag der Fokus vor allem auf CO2. Die aktuelle Debatte um den Diesel hat die Stickoxide und die Luftqualität ins Zentrum gerückt. Obwohl hier in den vergangenen 20 Jahren durch aufwendige Abgasnachbehandlung schon viel erreicht wurde, muss es hier vor allem in den Städten noch weitere Fortschritte geben.- Es gibt ja Stimmen, die sagen, moderne Benziner stehen dem Diesel in der Effizienz kaum noch nach?Wir sind hier sicherlich auf gutem Weg, doch noch lange nicht am Ziel. Den Vorsprung des Diesels wirklich wettzumachen ist für den Benziner noch eine große Herausforderung. Der Effizienzvorteil mag bei einigen Modellen kleiner geworden sein, aber er ist immer noch signifikant.- Wäre nicht auch etwas mit klimaneutralen Spritanteilen wie beim bei Autofahrern unbeliebtem E 10 zu machen?Gegen E 10 liefen ja regelrechte Kampagnen. Aber natürlich ist für die Zukunft des Verbrennungsmotors von entscheidender Bedeutung, welches Potenzial zur CO2-Senkung noch in den eingesetzten Kraftstoffen steckt. Da ist an den Ausbau der Biokraftstoffe der zweiten und dritten Generation zu denken. Vielleicht eines Tages auch ein Kraftstoff E 20. Und dann gibt es die Option CO2-freier synthetischer Kraftstoffe. Wenn die aktuellen Forschungen dazu erfolgreich sind und diese “E-Fuels” bezahlbar werden, würde sich die Zukunft der Verbrennungsmotoren in einem neuen Licht zeigen. Da ist die Messe noch nicht gelesen.- Besteht da eine realistische Chance gegen reinen Batterieantrieb?Das hängt auch davon ab, wie schnell wir von den heutigen Lithium-Ionen-Akkus zu einer neuen Zellgeneration kommen. Für die Zeit zwischen 2020 und 2030 sehe ich ein Rennen um die Frage: Wird es eine neue Batteriegeneration mit deutlich höherer Reichweite und niedrigeren Kosten geben, und/oder werden die synthetischen Kraftstoffe faktisch klimaneutral sein und damit dem Verbrennungsmotor einen neuen Frühling bescheren? Das kann man heute noch nicht seriös beantworten.- Wobei in der Elektromobilität die Klimafreundlichkeit auch davon abhängt, wie der Strom erzeugt wird.In der Tat ist die gesamte Klimabilanz der verschiedenen Antriebsarten vom Rohstoff über die Fertigung der Komponenten bis hin zum Betrieb und der späteren Verwertung relevant. Klimapolitisch ist das Elektroauto besonders interessant, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Im Gesamtbild – also bei dem derzeitig hohen Anteil an Kohlestrom -, so zeigen Untersuchungen, kann der Diesel besser abschneiden als ein Elektroauto.- Wo sollen eigentlich die Akkus herkommen? Gibt es für den erwarteten Boom überhaupt weltweit genügend Fertigung?Da muss man genau hinschauen. Das eine sind die Lithium-Ionen-Zellen, die in vielen elektronischen Geräten und auch im Auto eingesetzt werden. Die kommen im Wesentlichen aus Asien. Die meisten unserer Hersteller sind der Ansicht, dass dies eine in scharfen Preiskämpfen zur Verfügung stehende Commodity ist. Das andere ist alles, was mit dem gesamten System der Batterie zusammenhängt. Da geht es etwa um das Know-how für das Packaging oder das Thermomanagement. Hier sind alle großen Fahrzeughersteller stark engagiert.- Und wenn es zu einer neuen Zellgeneration kommt?Sollten einige unserer Hersteller oder Zulieferer diesen technologischen Entwicklungssprung hinbekommen, dann kann es durchaus sein, dass auch eine Zellproduktion für die Erfinder eine Produktion in Europa oder anderswo lohnend machen würde.- Ein anderes großes Branchenthema ist das autonome Fahren. Was bleibt von der Freude am Fahren?Die wird niemandem genommen. Der Prozess zum automatisierten Fahren erfolgt schrittweise. Schon heute gibt es gerade im Premiumbereich viele teilautomatisierte Systeme, die das Fahren leichter und sicherer machen, zum Beispiel Part- oder Lenkassistenten. Die nächste Stufe werden wir in Parkhäusern sehen, wo wir gegen 2020 das Auto automatisch per Smartphone einparken lassen und zugleich mehr Parkplatzkapazität generieren. Dann wird es auf der rechten Autobahnspur zunehmend das Platooning mehrerer Lkw im Verbund geben. Das spart Sprit und damit CO2. Und irgendwann wird es in einigen Städten auch Testfelder für das automatisierte Fahren geben. Die Kunst für die Branche wird sein, dies mit dem Wunsch zu verbinden, auf freien Strecken selber noch fahren zu können. Staufahrten will keiner, aber über Land macht es oft genug Spaß.- Das laufende Jahr ist fast zu Ende. Können Sie schon eine vorläufige Bilanz ziehen?Für den deutschen Markt erwarten wir ein Wachstum von 3 % auf etwa 3,3 Millionen verkaufte Pkw. In Westeuropa wird der Absatz um 5 % auf 13,8 Millionen Neuzulassungen steigen. In den USA rechnen wir mit einem leichten Rückgang. In China sehen wir ein sattes Plus von 10 % auf 22,1 Millionen Pkw. Das Jahr 2016 ist alles in allem ein recht gutes Jahr, der Pkw-Weltmarkt wächst.- Und was erwarten Sie für 2017?Das hängt natürlich ganz wesentlich von der weiteren Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Ich gehe zum Beispiel davon aus, dass das Wachstum im China nicht mehr so rasant sein wird.- Die Rasanz hängst ja nun auch von der Dauer der momentan gezahlten Kaufprämie ab.Sicher. Aber auch bei einer konservativen Prognose steht fest: 2017 wird es in China ein Plus geben. Aber erneut 10 % halte ich für unwahrscheinlich. In den USA sehen wir eine stabile Entwicklung, ebenso wie in Westeuropa.- Das gilt auch für den deutschen Markt?Ja, des jetzige Niveau ist ja recht hoch.- Wie sehen Sie die europäischen Hersteller in den USA aufgestellt?In der weltgrößten Volkswirtschaft findet eine anhaltende Strukturverschiebung statt, die auch mit den niedrigen Ölpreisen zu tun hat. Pick-ups- und SUVs boomen, das klassische Passenger Car, wie wir es in Europa fahren, hat seine Schwierigkeiten – und das hat dann auch Auswirkungen auf den einen oder anderen deutschen Hersteller.- Was heißt das konkret?Das Light-Truck-Segment, das die Pick-ups und SUVs umfasst, wächst seit Jahren und hat derzeit einen Anteil am Gesamtmarkt von 60 %. Die deutschen Hersteller hingegen sind stark im Passenger-Car-Segment vertreten, über 60 % ihres US-Absatzes entfällt darauf. Bei den Light Trucks gibt es noch Nachholbedarf, doch erfreulich ist, dass wir in diesem Bereich im laufenden Jahr deutlich schneller gewachsen sind als der Light-Truck-Markt insgesamt. Dennoch – unterm Strich müssen wir in diesem Jahr mit einem Rückgang im Light-Vehicle-Markt rechnen, der beide Segmente umfasst.- Sie, Herr Wissmann, waren als Cheflobbyist in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich. Diese extrem gute Vernetzung wird Ihnen jetzt zum Vorwurf gemacht, und der Politik wird angekreidet, VDA-hörig zu sein. Wie gehen Sie damit um?Natürlich hat der Manipulationsskandal Vertrauen gekostet, und das geht auch über ein Unternehmen hinaus. Das weiß die Branche, und daraus werden wir lernen. Klar ist auch, dass das die Gegner der Automobilindustrie beflügelt hat. Dem müssen wir uns stellen. Es gibt ein leicht emotionalisierbares Potenzial in manchen Medien und in der Bevölkerung, wie man auch im Umgang mit den Freihandelsabkommen sehen kann. Globalisierungskritische, freihandelskritische und automobilkritische Kreise kommen wie in einem Schmelztiegel zusammen. Aber: In den meisten Weltmärkten ist das Vertrauen in die deutschen Automobilmarken ungebrochen.- Der Verbraucher hier sieht aber die eigene Autobranche wegen der Vorgänge in den USA und den Folgen durchaus skeptischer.Der US-Vorgang mit der Softwaremanipulation wird bei manchen vermischt mit dem, was man glaubt selbst erfahren zu haben, nämlich dass das eigene Autos im Alltag andere Verbrauchswerte erreicht, als offiziell ausgewiesen sind. Das hat aber nichts mit Manipulation zu tun, sondern mit dem veralteten Testverfahren, das die heutige Realität nicht mehr adäquat widerspiegelt. Deswegen plädieren wir auf EU-Ebene seit langem für einen realistischeren Labortest. Zudem sind Messungen auf der Straße nötig. Die werden ab 2017 neben die Laborwerte gestellt. Damit hoffe ich, dass wir wieder in eine für den Bürger nachvollziehbare Situation kommen. Und natürlich werden wir auch mit zusätzlichen Informationen versuchen, Vertrauen zurückzugewinnen.- Das Verhältnis zwischen Herstellern und Zulieferern war schon immer schwierig. Viele traditionelle Geschäftskonzepte werden sich mit der Elektromobilität massiv verändern. Was ist zu tun?Die deutschen Zulieferer stellen sich diesen Herausforderungen und verändern sich – und das nicht erst seit gestern. Da gibt es schon herausragende Beispiele – und der Prozess wird weitergehen. Betrachten Sie Mahle als klassischen Kolbenhersteller, der sich neu und viel stärker elektronisch aufgestellt hat und damit vom Kolben unabhängig wurde. Oder ZF, die sich mit TRW zu einem globalen Fertiger entwickelt hat, der nur noch einen Teil seines Geschäfts mit Getrieben macht. Der Umbruch der Zulieferer, die rund 70 % der Wertschöpfung eines Autos verantworten, ist voll im Gang. Und die gegenseitige Angewiesenheit von Herstellern und Zulieferern wird eher noch größer, als sie in der Vergangenheit schon war.- Hersteller sind inzwischen viel internationaler aufgestellt denn je. Kommen da die Zulieferer mit?Früher wurden in Deutschland 4 Millionen Autos im Jahr produziert und 1 Million im Ausland. In diesem Jahr dürften hierzulande etwa 5,7 Millionen Autos gefertigt werden und knapp 9,8 Millionen im Ausland. Und da Hersteller und Zulieferer immer stärker aufeinander angewiesen sind, “internationalisieren” die Autokonzerne ihre Vorlieferanten. Die guten Zulieferer – und da haben wir viele Mittelständler – haben sich durch ihre großen Innovationsleistungen auch ein Stück Unabhängigkeit erarbeitet.- Und was bedeutet das für den VDA?Unsere Aufgabe ist es, bei der Clusterbildung in der internationalen Wertschöpfungskette mitzuhelfen. Im VDA sind ja auch die großen französischen und italienischen Zulieferer stark vertreten, von Faurecia bis Brembo. Die sehen uns als die wichtigste Verbandsplattform in Europa. In Frankreich zum Beispiel gibt es keinen gemeinsamen Verband von Herstellern und Zulieferern.- Auf verschiedenen Automessen der jüngeren Vergangenheit – ob Detroit oder Paris – war zu beobachten, dass bestimmte Hersteller nur noch selektiv präsent sind. Der VDA ist Veranstalter der weltweit wichtigen IAA. Was erwarten Sie 2017?Wir sind für Frankfurt ausgesprochen optimistisch. Alle bisherigen Daten sprechen dafür, dass wir wieder eine ganz starke Hersteller- und Zuliefererbeteiligung haben werden. Die Messe wird die Automobilindustrie noch enger mit der IT-Thematik verbinden. Wir wollen in Deutschland anders aufgestellt sein als die USA, wo eine Woche vor der Detroit Motor Show die Consumer-Electronics-Messe in Las Vegas die automobilen IT-Themen präsentiert. Frankfurt ist die Messe mit der größten Integration von Start-ups, IT und Automation einerseits und klassischer moderner Autowelt andererseits. Wir nennen das New Mobility World und machen Las Vegas und Detroit damit zu einer Einheit, bei der spannende Events immer wichtiger werden. Hier sind wir weltweit Trendsetter.—-Das Interview führten Ulli Gericke und Peter Olsen.