RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: THOMAS KLINDT

Wird Ihr eigenes Auto als Kronzeuge gegen Sie aussagen?

Gesetz zum autonomen Fahren kein Rollenmodell für sonstige Industrien

Wird Ihr eigenes Auto als Kronzeuge gegen Sie aussagen?

– Herr Klindt, nach dem Bundestag hat nun auch der Bundesrat dem Änderungsgesetz zugestimmt, mit dem im Straßenverkehrsgesetz (StVG) das autonome Fahren geregelt werden soll. Sie stören sich nicht so sehr an den haftungsrechtlichen Regeln?Nein, auch wenn man darüber viele Debatten führen könnte. Aber es war immer klar, dass sich für die gesellschaftspolitische Akzeptanz des vollautomatisierten Fahrens alle Blicke auf die Haftungsregeln richten werden. Viel versteckter sind die eigenwilligen Regelungen zur Datenspeicherung und zum Datenzugriff. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Telemetrie-Daten des Normalfahrers.- Was stört Sie daran?Erstens einmal eine rein handwerkliche Tatsache: Die in der Gesetzesbegründung genannte Lösung für ein (politisches) Problem behauptet an keiner Stelle, dass es einen Regelungsbedarf gäbe. Die im neuen Paragrafen 63a StVG etwas versteckten datenrechtlichen Regelungen musste man jedenfalls im Zusammenhang mit der Haftungsdebatte nicht erwarten.- Inhaltlich finden Sie die Vorschriften aber auch bedenklich?Nun ja, das Atemberaubende dieser Regelungen wird deutlich, wenn man sich vorstellt, sie wären ein Rollenmodell für alle anderen Produkte, die auf Ingenieurskunst beruhen: vom klassischen Maschinen- und Anlagenbau über Distributionsrobotik bis hin zu Medizinprodukten. In diesen Bereichen ist noch niemand auf die Idee gekommen, nolens volens einen derartigen Umfang an Datenspeicherungs- und Datenübertragungspflichten zu regeln. Das wäre auch äußerst bedenklich.- Welche Bedenken haben Sie denn im Einzelnen?Das Fahrzeug speichert zum Beispiel die durch Satellitennavigation ermittelten Positions- und Zeitangaben, sobald ein Steuerwechsel zwischen Fahrer und autonomem Fahrsystem erfolgt, wenn das System zur Fahrzeugsteuerung den Fahrer zur Übernahme der Steuerung auffordert oder eine technische Störung auftritt. Sind nun diese Daten zur Geltendmachung, Befriedigung oder Abwehr von Ansprüchen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall erforderlich, muss der Fahrzeughalter diese laut Gesetz an Dritte übermitteln. Wird das Auto mit seinen Daten also als Zeuge gegen Sie selbst aussagen? Und welch ein Paradigmenwechsel ist es überhaupt, dass ein Halter solche Daten herausgeben muss, um sich damit zivilrechtlich selbst belasten zu müssen? Soll dies demnächst auch bei medizintechnischen, industriellen oder Robotikunfällen einfach so gelten? Wir brechen hier doch mit uralten, grundsätzlichen Beweislastverteilungen der Zivilprozessordnung. Und die behaupteten Haftungsansprüche müssen – anders als wenigstens noch im Entwurf des Bundestags zuvor – nicht einmal mehr glaubhaft gemacht werden.- Was schlagen Sie stattdessen vor?Diskurs! Man kann doch solche epochalen Einschnitte in die Rechtskultur nicht ohne einen breiten gesellschafts- und auch wirtschaftspolitischen Diskurs vornehmen. Weit über die Automobilindustrie hinaus muss man sich doch fragen, wie Drittzugriffe auf Daten generell regulativ richtig und fair geregelt werden sollten. Wir reden pikanterweise vom Zugriff auf Daten, auf die der Halter rein technisch nicht einmal selbst zugreifen könnte; er weiß auch nichts vom Inhalt der zu übermittelnden Daten. Nach dem Gesetzentwurf soll er es aber “veranlassen” – und man fragt sich schon, wie er dies tun soll, wenn er die Daten noch nicht einmal selbst auslesen kann.- Die von Ihnen angesprochene gesellschaftspolitische Debatte hat noch nicht begonnen?Doch, sie hat begonnen, aber sie steckt noch in den Kinderschuhen. Die von Bundesminister Dobrindt eingesetzte Ethikkommission fängt ja gerade erst an zu arbeiten. Auf europäischer Ebene sind die moralischen wie rechtlichen Implikationen von Event-Data-Recordern noch nicht zu einem EU-Gesetzvorschlag geronnen. Die Ausstrahlwirkung auf andere Industrien und Branchen ist dort möglicherweise noch nicht erkannt worden. Der Diskurs ist also noch nicht weit gediehen und in dieser Situation wird – mindestens übereilt, wenn nicht überflüssig – im StVG ein Pflock in den Boden gerammt.—-Prof. Dr. Thomas Klindt ist Partner der Kanzlei Noerr. Die Fragen stellte Walther Becker.