Wo der VW-Skandal Randthema ist

Im Silicon Valley wird die Autozukunft erforscht - Autonomes Fahren soll neue Geschäftsmodelle eröffnen

Wo der VW-Skandal Randthema ist

In Deutschland kennt die Automobilindustrie derzeit fast nur ein Thema: den Abgasskandal von VW und dessen Auswirkungen. Etwas mehr als 9 000 Kilometer südwestlich von Wolfsburg machen sich die Technologiefirmen im Silicon Valley ebenfalls Gedanken über die automobile Zukunft. Um Diesel- oder Benzinmotoren geht es dabei aber nur am Rande.Von Sebastian Schmid, New YorkDer von Volkswagen eingeräumte Betrug bei Abgastests ist zwar auch im kalifornischen Silicon Valley Gesprächsthema. Allerdings wird der ganze Themenkomplex dort weit weniger dramatisch diskutiert, obwohl die Automobilindustrie auch im Technologie-Mekka immer bedeutender wird. Das hat zweierlei Gründe: Zum einen machen Antriebstechnologien nur einen Teil der Vielzahl von Zukunftsthemen aus, die hier in Verbindung mit der Automobilindustrie adressiert werden. Zum anderen gilt in den USA im Allgemeinen und im Silicon Valley im Besonderen noch immer das Motto der zweiten Chance. Wer im wahrsten Sinne des Wortes Mist gebaut hat, darf sich bemühen, es in Zukunft besser zu machen. Fehlschläge und Tricksereien verzeihen gehört zum Alltag.Zudem steht die automobile Gegenwart in Orten wie Palo Alto oder Sunnyvale längst nicht still, nur weil VW gerade eine Krise durchläuft. Allein am Dienstag der vergangenen Woche hatten drei Konzerne zu automobilen Neuigkeiten ins Silicon Valley eingeladen. Google stellte den aktuellen Stand der Entwicklung ihrer autonom fahrenden Autos vor. Der Elektroautobauer Tesla zelebrierte den Verkaufsstart des Premiumgeländewagens “Model X” mit neuen Fahrassistenzeigenschaften und Mercedes-Benz das 20-jährige Bestehen des ältesten Forschungs- und Entwicklungszentrums eines deutschen Autobauers im Valley. Diesem kommt aus Sicht des Stuttgarter Autobauers eine immer größere Bedeutung zu. “Die digitale Transformation ist bei uns in vollem Gange. Mercedes-Benz wandelt sich vom Automobilhersteller zum vernetzten Mobilitätsanbieter”, hat Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der Automobilmesse IAA in Frankfurt erklärt.In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Daimler in Nordkalifornien bereits mit diversen Technologiefirmen zusammengearbeitet: Apple, Google, Tesla und Uber werden zwar auch immer mehr als Rivalen wahrgenommen – nicht zuletzt im Kampf um Talente -, wie ein Mercedes-Manager in Sunnyvale (Kalifornien) einräumt. Eine Zusammenarbeit schließe das aber nicht aus. Laut Axel Gern, der sich im Forschungszentrum um autonomes Fahren kümmert, wird es zwar immer Bereiche geben, in denen sich Google nicht in die Karten schauen lässt. Dies gelte umgekehrt aber auch für Daimler.Dennoch: Der firmenübergreifende Austausch sei das Geheimnis des Silicon-Valley-Erfolgs, befindet Mercedes-Manager Eric Larsen. Der Leiter der Society & Technology Research Group ist überzeugt, dass der freie Informationsfluss entscheidend dafür ist, dass im Technologie-Mekka stets neue Trends entdeckt werden. “Sie können sich hier in einem Radius von 30 Meilen mit allen wichtigen Leuten der Branche treffen. Das ist weltweit einzigartig.” Laut Larsen war der globale Einfluss des Silicon Valley nie größer, da praktisch alle Branchen von den digitalen Veränderungen erfasst werden.Die Debatte um autonomes Fahren rankt sich im Valley längst nicht mehr um die Machbarkeit. Firmen wie Google, Tesla oder Mercedes verfeinern ihre Entwicklungen bereits dahingehend, dass die Autos “menschlicher” steuern und damit für die Passagiere wesentlich angenehmere Fahrten bereithalten. Welche Verkehrsregeln sind etwa zu 100 % einzuhalten, und welche müssen in Ausnahmefällen bei entsprechendem Risikoausschluss umgangen werden? Ein Beispiel wäre das Überholen eines in zweiter Reihe geparkten Autos über die Gegenfahrbahn. Um den Autos der Zukunft ein gesellschaftlich akzeptiertes Fahrverhalten einzuimpfen, wird auch mit Philosophen zusammengearbeitet. Langfristig werde es darum gehen, dass selbstfahrende Autos für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Fahrstile bereithalten, glaubt Selina Pan vom Department of Mechanical Engineering an der Stanford University. Carsharing im VorortWährend in Deutschland bezogen auf das selbstfahrende Auto oft die fehlenden rechtlichen Grundlagen angeführt werden, wird in Kalifornien erst einmal entwickelt. Wenn es funktioniert, werde sich der Rest schon regeln, ist man überzeugt. So gehen die Firmen im Valley meist vor – egal ob Google, Apple, Uber oder Amazon. Mit dem selbstfahrenden Auto würden sich ganz neue Geschäftsmodelle auftun. So wird etwa Carsharing in den Vororten plötzlich attraktiv, wenn das Auto vor die eigene Haustür geordert werden kann. Momentan ist Daimlers Carsharing-Dienst Car2Go noch vor allem für Metropolen gedacht. Larsen glaubt indes, dass Großstadtlösungen auch für Autobauer langfristig weitaus unattraktiver sind. Über 90 % des Bevölkerungswachstums in den USA finde außerhalb großer Städte statt. Zudem gebe es in Metropolen oft eine Konkurrenz zum öffentlichen Nahverkehr, den es so in den Vororten nie geben werde.Statt Pkw-Verkäufer könnten Autobauer so künftig, wie Daimler-Chef Zetsche auf der IAA erklärt hat, vor allem Mobilitätsdienstleister sein. In der Zukunft der Automobilindustrie geht es daher längst mehr um Geschäftsmodelle als um Diesel-, Benzin- oder Elektromotor. Und viele dieser Geschäftsmodelle könnten im Silicon Valley ihren Anfang nehmen. Auch deshalb sind Daimler und die anderen Autobauer dort vertreten. Welche Auswirkungen auf den Markt Entwicklungen wie das autonom fahrende Auto haben können, zeigt sich bereits heute – Jahre vor der Marktreife. Der Fahrdienstleister Uber hat angekündigt, Tesla eine Jahresproduktion an Fahrzeugen abzukaufen, sobald diese autonom fahren können. Daimler sieht dies durchaus als Ansporn. Mercedes-Benz ist seit Jahrzehnten die führende Taximarke in Deutschland. Und im Wettlauf um autonomes Fahren sieht sich der Konzern mit dem Stern ebenfalls ganz vorn dabei.