Zinskürzung läutet "Endspiel" im Energienetz ein

Roland Berger: Konzernen droht Rentabilitätsverlust von 20 Prozent - Stadtwerke trifft es besonders hart

Zinskürzung läutet "Endspiel" im Energienetz ein

cru Düsseldorf – Erst hat die Energiewende die konventionellen Kraftwerke entwertet. Jetzt wird auch die letzte stabile Gewinnquelle der Energiekonzerne in Frage gestellt – die Erträge aus den Netzen: Die Bundesnetzagentur hat eine Absenkung des regulatorisch zugebilligten Verzinsungsniveaus für Netzbetreiber für die dritte Regulierungsperiode ab 2018 beschlossen. Die Eigenkapitalverzinsung wird demnach von bisher rund 9 % auf jetzt rund 7 % abgesenkt. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat die Folgen in einer aktuellen Studie abgeschätzt, die der Börsen-Zeitung vorliegt.”Dies führt zu einem erheblichen Profitabilitätsdruck auf Netzbetreiber – und das bei steigendem Investitionsbedarf für den Netzausbau. Besonders die Stadtwerke trifft es hart, weil sie anders als die großen Konzerne keine Einnahmen aus der Ökostromerzeugung als Ausgleich haben. Ihnen fehlt so auch das Geld für Investitionen in die lukrativere Ökostromerzeugung”, sagt Torsten Henzelmann, Partner bei Roland Berger und zugleich Fachmann für die Energiebranche. Seinen Berechnungen zufolge müssen 40 % der Energieversorger mit Netzbetrieb auf die Anpassung des Zinsniveaus kurzfristig reagieren, um einem drohenden Rentabilitätsverlust von mehr als 20 % zuvorzukommen. Die Folge könnten Desinvestitionen und Fusionen der Netzbetreiber sein.Die Entscheidung der Netzagentur trifft die Energiekonzerne in einer ohnehin schwierigen Phase. Schon seit Jahren verdienen sie wegen der Ökostromschwemme des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nichts mehr an ihren konventionellen Kraftwerken. Außerdem müssen sie in den kommenden Wochen rund 26 Mrd. Euro in bar für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls an eine öffentlich-rechtliche Stiftung überweisen. Druck auf Innogy und EonEin Beispiel für die Betroffenen sind Eon und die RWE-Netztochter Innogy, die am Freitag an die Börse gegangen ist: Im laufenden Geschäftsjahr macht Innogy laut Prognose einen operativen Gewinn (Ebitda) von ungefähr 4,25 Mrd. Euro Mrd. Euro. Davon stammen rund 2,6 Mrd. Euro aus dem Netzgeschäft. Wird dieses geschmälert, wirkt sich das erheblich aus. Parallel zur Zinskürzung durch die Netzagentur entstehen bei den Netzbetreibern laut Roland Berger durch das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende zusätzliche Kosten für Infrastruktur, Hardware und Software. Kosten für DigitalisierungDas Gesetz, das am 2. September 2016 in Kraft getreten ist, sehe nicht nur den flächendeckenden Einbau von intelligenten Messsystemen (“iMsys”) ab einem Verbrauch von 6 000 Kilowattstunden (kWh) vor, sondern ändert die bisherigen Rollen des Messstellenmanagements und -betriebs deutlich. Die Messsysteme übermitteln unter anderem zukünftig täglich über den “Smart Meter Gateway Administrator” die Netzzustandsdaten. Die teure Technik habe zur Folge, dass viele deutsche Netzbetreiber den Aufbau des “iMsys” aufgrund mangelnder Geschäftsmodelle nicht vorfinanzieren können. “Die Absenkung der Refinanzierungskosten wird für die Messstellenbetreiber zur Pflicht”, sagt Roland-Berger-Partner Henzelmann.Die sinkenden Margen führen zu einem Umdenken bei den Muttergesellschaften der Netzbetreiber. Investitionen in Netzinfrastruktur müssten künftig im internen Wettbewerb um Ressourcen, etwa im Vergleich mit Investitionen in erneuerbare Energien, besser begründet werden. Netzbetreiber müssten Investitionen über Rentabilitätsszenarien im Einzelfall rechtfertigen. “Das ist ein Paradigmenwechsel. Galt doch bisher die Direktive, so viel Investitionen wie möglich in den Netzen zu tätigen”, sagt Henzelmann.Die Analyse, die Roland Berger gemeinsam mit Boehm-Bezing Mayer & Cie. vorlegt, zeigt deutlich, dass vor allem kleinere und mittlere (oftmals kommunale) Energieversorger signifikante Auswirkungen auf Stabilitätskennzahlen und Renditen befürchten müssen. Der von der Bundesnetzagentur regulatorisch erwirkte Margenrückgang, der 40 % der Unternehmen besonders stark betreffen wird, läute ein “Endspiel” im Netz ein. Auch langfristig sei eine Wiederanhebung der regulatorisch zugebilligten Verzinsung nicht zu erwarten. Die Netzagentur legt den Basiszinssatz laut Verordnung auf Grundlage der Umlaufrendite fest, die inländische fest verzinste Wertpapiere in den letzten zehn Jahren durchschnittlich aufwiesen. Zins folgt FinanzmarktDie Eigenkapitalverzinsung läuft der Zinsentwicklung am Finanzmarkt also nach. In den kommenden Regulierungsperioden wird sich das niedrige Zinsumfeld der letzten zehn Jahre laut Roland Berger daher nachhaltig niederschlagen. Selbst wenn es zu einer Zinsanhebung an den Kapitalmärkten komme, würde die Eigenkapitalverzinsung erst mit erheblicher Verzögerung nachziehen, schätzen die Experten.”Energieversorger müssen deshalb Strategien entwickeln, um sich in diesem Marktumfeld mit langfristig niedrigem Margenniveau zu positionieren und den Aufwand des Netzbetriebs systematisch zu senken”, rät Henzelmann. Künftig sei die Fähigkeit, die regulatorisch eingepreisten attraktiven Finanzierungskonditionen auch tatsächlich zu realisieren, ein wichtiger Wettbewerbsvorteil.