SERIE: DER AUTONOME TRUCK (6)

Zulieferer gestalten die Zukunft von Nutzfahrzeugen

Führend in der Entwicklung alternativer Antriebe - Partner bei digitalen Diensten - Vom Teilelieferanten zum Wettbewerber der Fahrzeughersteller

Zulieferer gestalten die Zukunft von Nutzfahrzeugen

Um autonome und emissionsarme Nutzfahrzeuge zu entwickeln, setzen die Hersteller auch auf die Zulieferindustrie. Wie im Pkw-Geschäft sind Zulieferkonzerne in vielen Bereichen treibende Kraft hinter Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen – und treten damit in direkte Konkurrenz zu ihren Kunden.Von Isabel Gomez, StuttgartDer weltweite Markt für Nutzfahrzeuge wird weiter wachsen. Die Analysten der LBBW rechnen bis 2024 weltweit mit einer jährlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von 1,3 %, getrieben vom südamerikanischen und gebremst vom chinesischen Markt, der nach jahrelangem starkem Wachstum nun konsolidiere. Hinter der Nachfrage stünden strengere Vorschriften für Lärm- und Schadstoffemissionen und das Ziel, Personal- und Treibstoffkosten über zunehmend autonome Nutzfahrzeuge mit alternativen, emissionsärmeren Antrieben zu senken.Um solche Fahrzeuge zu entwickeln, setzen die Hersteller auf Kooperationen mit der Zulieferindustrie, die befeuert von der Digitalisierung in vielen technologischen Bereichen und auf Produktebene zunehmend zum direkten Wettbewerber wird.Große Zulieferkonzerne haben sich in den vergangenen Jahren im Nutzfahrzeugbereich teilweise neu aufgestellt. Bosch bündelte etwa Mitte 2016 den Bereich Commercial Vehicles and Off-Road (CVO) innerhalb der Kfz-Sparte, die nun Mobility Solutions heißt. Der Bereichsumsatz soll sich bis 2025 auf 11 Mrd. Euro verdoppeln. Der entsprechende Markt – ohne die Lkw-Produktion – habe dann ein Volumen von bis zu 50 Mrd. Euro, schätzt Bosch. 2017 erlöste Mobility Solutions bei einem Konzernumsatz von 78 Mrd. Euro rund 47 Mrd. Euro. Detailliertere Zahlen gibt der Stiftungskonzern nicht bekannt. Dass Bosch den Rückgang bei Diesel-Technik im europäischen Pkw-Geschäft 2017 nur durch die hohe Nachfrage im Nutzfahrzeugbereich in China ausgleichen konnte, zeigt jedoch, wie relevant die Nutzfahrzeugindustrie für den Konzern ist (vgl. BZ vom 26. April).ZF Friedrichshafen steckte vor genau zwei Jahren mitten im Übernahmekampf um den schwedischen Hersteller von Lkw-Bremsen Haldex, für den auch Knorr-Bremse bot (vgl. BZ vom 22.9.2016). Letztlich scheiterten beide Zulieferer. ZF hat aber weiter zum Ziel, im Nutzfahrzeuggeschäft die gleiche Produktpalette anzubieten wie im Pkw-Geschäft. Dazu fehlt dem Konzern die Bremse, die speziell bei der Entwicklung autonomer Trucks eine elementare Rolle spielt. Nachdem auch eine Übernahme des neben Haldex und Knorr-Bremse dritten Herstellers von Lkw-Bremsen, Wabco, am Aufsichtsrat scheiterte (vgl. BZ vom 23. März), geht ZF in diesem Bereich vor wie bisher: Zugekaufte Bremsen werden vernetzt und so Teil des ZF-Systems aus Antrieb und Lenkung. Regulierung treibt den MarktDie EU-Kommission hat für Lkw eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 30 % von 2019 bis 2030 vorgeschlagen. Effizientere Dieselmotoren, etwa durch eine bessere Abgasnachbehandlung, und die Entwicklung alternativer Antriebe stehen daher bei Herstellern und Zulieferern derzeit im Fokus. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman erwartet, dass 2030 bereits 25 % der Lkw in Deutschland mit alternativen Antrieben verkauft werden.Bosch, Continental, Schaeffler und ZF haben in den vergangenen Monaten elektrische Antriebssysteme (E-Achse) auf den Markt gebracht oder angekündigt. Mit den Produkten von Bosch und ZF können auch kleine Nutzfahrzeuge, etwa für den innerstädtischen Verkehr, angetrieben werden. Für die Langstrecke setzt die Branche auf die Brennstoffzelle. Bosch entwickelt mit dem US-Start-up Nikola Motor einen elektrischen Antrieb für schwere Lkw, kombiniert mit einer Brennstoffzelle als Energieerzeuger und Speicher. 2021 sollen die ersten Trucks auf den Markt kommen und eine Reichweite von bis zu 1 900 Kilometern erreichen. Tesla will ab 2019 mit der Auslieferung des batterieelektrischen Tesla Semi beginnen, der bis zu 800 Kilometer Reichweite haben soll. Der Freightliner eCascadia von Daimler, der derzeit in Kundentests ist, wird mit einer Reichweite von bis zu 400 Kilometern beworben. Auch Mahle entwickelt derzeit aus dem bestehenden Komponentenangebot ein modulares Brennstoffzellensystem.Selbst der auf Dachsysteme und Thermomanagement spezialisierte Zulieferer Webasto will mit E-Mobilität wachsen und entwickelt seit 2017 Hochvolt-Batteriesysteme. Im April 2018 erhielt Webasto nach eigenen Angaben “den ersten Serienauftrag für ein Build-to-print Projekt eines europäischen Nutzfahrzeugherstellers”. Das System sei modular, flexibel und skalierbar und grundsätzlich für sämtliche Formate von Batteriezellen geeignet. Mit Samsung SDI will Webasto ein passendes Batteriemodul entwickeln und den Herstellern neben Entwicklung, Produktion und Lieferung auch Wartungsservices anbieten. Vorstandschef Holger Engelmann sieht durch das Batteriegeschäft in den nächsten Jahren ein Umsatzpotenzial von bis zu 1 Mrd. Euro, da auch erste Anfragen von Pkw-Herstellern vorlägen. 2017 erlöste die Gruppe insgesamt rund 3,5 Mrd. Euro.Auch bei der Vernetzung von Nutzfahrzeugen spielen die Zulieferer eine wichtige Rolle: egal ob bei der Überwachung von Fracht, in der vorausschauenden Wartung, im Flottenmanagement, bei zusätzlichen Services wie Parkplatzbuchungen oder auf dem Weg zu autonom fahrenden Trucks und Bussen. Autonome Nutzfahrzeuge, da ist sich die Branche einig, werden aufgrund der bislang fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen zunächst auf Betriebshöfen, Flughäfen oder in Häfen Anwendung finden.Produkte und Technologien, die den Weg hin zum autonom fahrenden Nutzfahrzeug im Straßenverkehr skizzieren, wird es auf der am 20. September beginnenden Branchenmesse IAA Nutzfahrzeuge von nahezu jedem Zulieferer geben. Etwa eine elektrifizierte Achse für Lkw-Anhänger von Bosch, durch die Trailer künftig selbständig rangieren können. ZF hat den Prototyp einer Art Gehör für Lkw im Gepäck, das Geräusche im Verkehr, etwa Sirenen, frühzeitig erkennen soll. Die vor rund einem Jahr von Mitarbeitern eingebrachte Idee wird mit Forschungseinrichtungen entwickelt und dürfte erst mittelfristig marktreif sein.Anders als das Kamerasystem von Bosch, das Bilder von Videosensoren an der Fahrzeugkabine auf Displays in die Kabine überträgt. Der Wegfall der Außenspiegel verbessere die Sicht nach vorn, reduziere den Luftwiderstand und damit den Kraftstoffverbrauch um bis zu 2 % und sorge für einen Rundumblick, wodurch etwa das Tote-Winkel-Problem gelöst werde. Die Technologie ist bereits im Markt und bildet die Grundlage für die Kamera-Spiegel des Mercedes Actros, dessen neue Version Daimler jüngst vorstellte.Allein Daimler hat vier Telematik-Dienste sowie Vernetzungs- und Serviceplattformen für verschiedene Regionen und Marken im Angebot. Auch hier gibt es markenneutrale Konkurrenz. Etwa durch Continental, die auf der IAA erstmals das Flottenmanagement-System DTCO 4.0 vorstellt. Zudem wurde ContiConnect, ein System zur Überwachung von Reifendaten in Nutzfahrzeugflotten, weiterentwickelt. Es kann künftig direkt in die vorhandenen Flottenmanagement-Systeme der Kunden eingebaut werden.Auch Knorr-Bremse stellt ein modulares Telematiksystem vor, das unter anderem aus Anwendungen zum Flottenmanagement, zur Fahrzeugauslastung, zur Dokumentation der Ladung, Sicherheitssystemen und vorausschauender Wartung besteht. Die Module ließen sich individuell anpassen und seien für Zugmaschinen und Trailer geeignet.—-Zuletzt erschienen:- Chinas Lkw-Bauer schwimmen auf einer Erfolgswelle (12.9.)- Für Paccar und Navistar läuft es derzeit wie von selbst (11.9.)