Zweiklassengesellschaft in der Schweizer Industrie

Branchenverband Swissmem sieht zwar Aufschwung - Kleine Zulieferbetriebe bleiben aber zurück

Zweiklassengesellschaft in der Schweizer Industrie

Von Daniel Zulauf, ZürichZweieinhalb Jahre nach der schockartigen Aufhebung der Wechselkursuntergrenze für den Euro verdichten sich in der Schweizer Industrie die Zeichen des Aufschwungs. Der Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) meldet für seine über 1 000 Mitgliedsfirmen den zweistärksten Umsatzzuwachs im ersten Halbjahr seit der Finanzkrise vor knapp zehn Jahren. Die Branche generiert jährlich einen Umsatz von rund 80 Mrd. sfr, wovon über 80 % im Export erwirtschaftet werden. Von den 680 000 in der verarbeitenden Industrie tätigen Personen in der Schweiz ist knapp die Hälfte bei Swissmem-Firmen tätig.Diese sind nach Einschätzung ihres Präsidenten Hans Hess endlich am sehnlichst erwarteten “Wendepunkt” angelangt. “Erstmals seit 2008 stehen fast sämtliche Ampeln wieder auf Grün”, erklärte Hess am Montag in Zürich. Zwar gingen die Bestellungen im Berichtssemester “ein wenig enttäuschend” um 3,4 % zurück, ausgehend allerdings von einem sehr hohen Bestellungswachstum im ersten Semester 2016. Die Exporte stiegen in der Sechsmonatsperiode um 2,3 % mit dem größten Plus in den USA (6,8 %) vor der EU (2,7 %) und Asien (0,2 %). Gemäß einer aktuellen Befragung erwarten 51 % der Swissmem-Mitgliedsfirmen in den nächsten 12 Monaten mehr Aufträge aus dem Ausland. Nur 8 % rechnen mit einem Rückgang. Neben den guten weltweiten Konjunkturaussichten “ist uns sogar der Euro wieder freundlicher gesinnt”, freute sich Hess. Der Euro ist die mit Abstand wichtigste Währung. Die Mem-Firmen liefern 60 % ihrer Ausfuhren in den EU-Raum – zwei Drittel davon zu unmittelbaren Nachbarn.Die Aufgabe der Euro-Wechselkursuntergrenze durch die Schweizerische Nationalbank im Januar 2015 bedeutete für die Schweizer Industrie den dritten “Nachenschlag” in einem sehr schwierigen Jahrzehnt, sagte Hess. Die Hälfte der 30 000 Arbeitsplätze, die in der Mem-Industrie seit 2008 verloren gingen, fielen nach der Euro-Entkopplung weg. Mit einem aktuellen Euro-Kurs von 1,14 sfr sei die helvetische Valuta zwar noch deutlich überbewertet, wie Hess meint. Der schwächere Franken eröffne den Mem-Firmen aber endlich wieder die Chance, Geld zu verdienen und in die Zukunft zu investieren. Zwar werde wohl auch 2017 eine zweistellige Prozentzahl von Mem-Firmen rote Zahlen schreiben, befürchtet Hess, doch es sollten deutlich weniger sein als in den vergangenen Jahren, als es teilweise ein Drittel traf.Über den Berg sei die Schweizer Industrie noch nicht. Vor allem die kleinen industriellen und gewerblichen Betriebe, die den exportorientierten Mem-Firmen zuliefern, kämpfen vielfach um ihre Existenz. Swissmechnic, der Schwesterverband von Swissmem, in dem 1 400 solcher Kleinbetriebe organisiert sind, klagt seit langem, dass die Firmen von den Banken kaum Kredite erhielten und ihre nötigen Investitionen in die Zukunft nicht mehr stemmen könnten. Hess zeigte sich auffallend solidarisch mit den Kleinfirmen und sprach den Banken ins Gewissen, sie sollten sich an ihre volkswirtschaftliche Funktion als Kreditvermittler erinnern. Einem staatlich mitzutragenden Finanzierungsmodell für Industrie-KMU, wie es Swissmechanic fordert, erteilte Swissmem gestern unter Bezugnahme auf ordnungspolitische Argumente eine Absage. Gleichzeitig aber warnte Hess davor, dass sich der Staat einseitig für die Finanzierung von Jungunternehmen (Start-ups) starkmache, wie es Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann mit der Übernahme einer Schirmherrschaft für einen privaten Fonds unlängst vorgemacht hatte.