RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: UWE HARTMANN

Zwingender Forderungsverzicht bei außergerichtlicher Sanierung?

Neuer Gutachten-Standard wirft in der Praxis neue Fragen auf

Zwingender Forderungsverzicht bei außergerichtlicher Sanierung?

– Herr Hartmann, Sanierungsgutachten in der Unternehmenskrise sind üblich. Der Gutachten-Standard IDW S6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer soll verschlankt werden. Was verlangt der BGH?Gläubiger verlangen Sanierungsgutachten wegen aufsichtsrechtlicher Vorgaben, um eigene Haftung zu vermeiden, Zahlungen oder Sicherheiten insolvenzfest zu erlangen oder um steuerliche, insolvenz- oder übernahmerechtliche Sanierungsprivilegien zu begründen. Nach BGH begründet ein Sanierungskonzept Insolvenzfestigkeit, wenn es eine dauerhafte Sanierung zu bewirken vermag. Es sei darzulegen, dass nach durchgeführten Sanierungsmaßnahmen wieder Erfolgsaussichten bestehen und die uneingeschränkte Zahlungsfähigkeit des Unternehmens und die Rentabilität der unternehmerischen Tätigkeit wiederhergestellt werden kann. Insolvenzfestigkeit entstehe selbst dann, wenn der Sanierungsplan nicht formalen Prüfungsstandards (wie IDW S6) genüge, sofern er schlüssig sei, das heißt die wesentlichen Grundlagen des Sanierungskonzeptes abbilde. Dazu gehören gemäß BGH-Tenor “die Ursachen der Insolvenz, die Maßnahmen zu deren Beseitigung und eine positive Fortführungsprognose”.- Wie ändert sich der IDW S6?Der Entwurf IDW ES6 soll im Sommer 2018 verabschiedet werden und kürzer und besser verständlich sein als der derzeitige Standard aus 2012. Obwohl der Entwurf gut gelungen ist, sollen Wirtschaftsprüfer im Sanierungsgutachten nun aber ausdrücklich bestätigen, dass, auf Basis der anwendbaren Rechnungslegungsvorschriften, “. . . die dem Konzept beigefügte integrierte Planung [. . .] zum Ende des Betrachtungszeitraums ein positives bilanzielles Eigenkapital . . .” ausweise. Dieser bilanzielle Ansatz ist im bisherigen IDW S6 so nicht vorgesehen.- Was bewirkt der neue IDW-Standard in der Sanierungspraxis?Die Bedeutung des IDW S6 für die Praxis ist groß. Die Gutachten werden sehr oft von Wirtschaftsprüfern erstellt. Er ist auch bei Gläubigern etabliert. Nach dem bilanziellen Ansatz stellen qualifizierte Rangrücktritte von Darlehen (tiefer Nachrang) kein taugliches Sanierungsmittel dar, obwohl sie wirtschaftlich wie Eigenkapital wirken und, insolvenzrechtlich, eine Überschuldung durch diese Darlehen beseitigen. Demgegenüber sind in der handelsrechtlichen Bilanz (HGB) selbst tief nachrangige Darlehen von Gesellschaftern als Verbindlichkeit auszuweisen. Dort ist zudem die steuerneutrale Hebung stiller Reserven nicht ohne weiteres möglich. Es müssten also zum Beispiel bestehende Verbindlichkeiten in bilanzielles Eigenkapital umgewandelt werden (Debt-to-Equity Swap). Allerdings ist die steuerliche Neutralität von Sanierungsgewinnen, wie sie dabei entstehen, trotz jüngster Steuergesetzgebung nicht gesichert. Diese privilegiert nur bestimmte Formen des Forderungsverzichts und steht zudem unter beihilferechtlichem EU-Vorbehalt. Rangrücktritt und steuerneutraler Ansatz von Vermögen zu Marktwerten sind probate Mittel in der Krise, damit ohne unnötigen Abfluss von Liquidität (zum Beispiel Kosten, Steuern) umzugehen. Diese Möglichkeiten entfielen bei striktem bilanziellem Ansatz gemäß HGB-Vorschriften. – Besteht Gleichlauf zwischen IDW- Entwurf und BGH?Nein, IDW ES6 geht wohl weiter als der BGH. Nicht, dass wir uns missverstehen: Es ist im Wirtschaftsleben sinnvoll und hilfreich, positives bilanzielles Eigenkapital auszuweisen. Dies ist aber keine zwingende Vorgabe des BGH an schlüssige Sanierungskonzepte. Ein bilanzieller Ansatz des IDW droht indes eine normative Kraft im Faktischen zu entfalten, die, formalistisch verwendet, sanierungshinderlich wirken mag. Zur Begründung von Insolvenzfestigkeit gemäß BGH könnte man auch gut auf künftige Ertragskraft oder wirtschaftliches Eigenkapital abstellen. Jedenfalls sind außergerichtliche Sanierungsfälle denkbar, die trotz negativ prognostiziertem bilanziellem Eigenkapital nach IDW-Entwurf diese Vorgaben des BGH erfüllen, so dass im Einzelfall zum Beispiel ein besicherter Kredit zumindest nicht mangels Insolvenzfestigkeit versagt werden müsste.—-Dr. Uwe Hartmann ist Partner von Weil, Gotshal & Manges in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.