Jetzt geht es rund!
Soll man überhaupt noch die klassischen Ertragsfelder deutscher Banken thematisieren, die verstärkt bedroht sind? Oder muss man sich nicht eher schon auf die Liste jener Gebiete konzentrieren, die den Instituten noch bleiben dürften? Fest steht: Diese wären auf jeden Fall rascher aufgezählt. War jahrelang vor allem von Geldpolitik, Regulierung und Digitalisierung die Rede, wenn es um die Ertragserosion etablierter Banken ging, so zeigen sich im Megatrend ESG und mit der Pandemie längst weitere Umwälzungen. Beide werden die Spaltung im Land vertiefen. Beide werden Deutschlands Bankenmarkt aufteilen in jene, die den Bruch meistern, und jene, die den Anschluss verlieren.
Parallel dazu greifen allerorten Neuerungen Raum: Im Massenmarkt gewinnen Plattformen Marktanteile, im Wholesale-Geschäft hält der Vormarsch ausländischer Konkurrenten, im kundenfernen Betrieb jener der ausnahmslos US-amerikanischen Cloud-Dienstleister an, während im Verwahrgeschäft die Distributed-Ledger-Technik die bisherigen Anbieter bedroht. Im Zahlungsverkehr werkeln die weltweit Größten der Branche bereits an Modellen für eine synchronisierte Abwicklung, während ihre Exponenten in Europa der Übermacht von Visa, Mastercard und Paypal eine European Payments Initative (EPI) entgegensetzen wollen. „Wer den Zahlungsverkehr hat, hat den Kunden.“ Sollte diese vor Jahren von altgedienten Bankern gerne gepredigte Weisheit noch gelten, dann haben Deutschlands Kreditinstitute gewiss schlechte Karten. Und all dies vollzieht sich in einem großen Schatten, den die nächsten Innovationen durch künstliche Intelligenz und Quantencomputing vorauswerfen. Kein Zweifel – wer schon bisher Mühe hatte, den Überblick zu behalten, für den heißt es bald: Jetzt geht es rund!
Bedingt real
Die Folgen der bisherigen Erschütterungen des Sektors lassen sich im Monatsbericht September der Deutschen Bundesbank studieren: In den vergangenen 15 Jahren ist die Eigenkapitalrendite der deutschen Bankengruppen vor Steuern von gut 12% auf nurmehr 2,7% im Jahr 2020 zusammengeklappt. Das ist nur noch die Hälfte des langfristigen Mittelwerts. Was Wunder, dass man in der Branche inzwischen fast jede Gelegenheit ergreift, die Kunden mehr oder minder lauter, jedenfalls so lange es die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vereitelt, zur Kasse zu bitten. Wie attraktiv aber wirken denn die Marken gleich welcher Säule der Kreditwirtschaft im Vergleich etwa zu Lifestyle-Unternehmen wie Apple, die sich mit Embedded-Finance-Angeboten zunehmend zwischen Bank und Kunde drängen? Dabei ist dieses Bild vom Marktumfeld allenfalls bedingt real und in jedem Fall mit Weichzeichner angefertigt. Denn während die Notenbank schon seit Jahren die Märkte administriert, plündert der deutsche Staat in seiner Hilflosigkeit angesichts der Pandemie in bisher nie dagewesenem Maße den Staatssäckel, um die Lage von Bürgern, Unternehmen und nicht zuletzt der Kreditwirtschaft zu stabilisieren.
Ausgezehrt
Es ist ebendieser ausgezehrte Sektor, der nun ungeachtet der Pandemie aufgerufen ist, mit der grünen und digitalen Transformation der Wirtschaft eine Jahrhundertaufgabe zu stemmen. Auf EU-Ebene will die Kommission dazu bekanntlich Investitionen und Reformen mit insgesamt bis zu 560 Mrd. Euro fördern, von denen 310 Mrd. Euro auf direkte Finanzhilfen und bis zu 250 Mrd. Euro auf Darlehen entfallen sollen. Die Bundesrepublik hat dabei besonders Nachholbedarf: Laut KfW Research müssten etwa die jährlichen IT-Investitionen von zuletzt 49 Mrd. Euro auf das Doppelte bis Dreifache zulegen, soll Deutschland nur gleichziehen mit vergleichbaren Wirtschaftsnationen wie Frankreich, Japan oder Großbritannien. Am Eigenkapital soll es nicht scheitern: So macht die Finanzaufsicht in Deutschlands Bankensektor bei aller Unbill derzeit ein Überschusskapital von rund 165 Mrd. Euro aus. Mit diesen Eigenmitteln ließen sich gewiss in großem Stil Kredite für die Transformationsfinanzierung unterlegen – wenn die Banken dazu nur im Stande wären. Doch Jahre der Reregulierung und Sicherheitsdenken in Banken ebenso wie in der Aufsicht haben zur Folge, dass Deutschlands Kreditwirtschaft „noch nicht“ dafür gerüstet ist, den zu erwartenden Finanzierungsbedarf zu decken, wie Bundesbank-Vorstandsmitglied Joachim Wuermeling jüngst erklärte. Künftig ist nun einmal nicht die Firmenfinanzierung von der Stange mit ein bis vier Jahren Laufzeit gefragt, bei deren Konditionen sich Banken schon seit Jahren gegenseitig unterbieten, sondern vermehrt längerfristige, risikoreichere Darlehen oder eigenkapitalähnliche Finanzierungen – all das also, was der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht der Branche seit der Finanzkrise zunehmend ausgetrieben hat. In den Vorstandsetagen ist nun deshalb Köpfchen gefragt: Findige Institute werden sich darauf verstehen, nachhaltig arbeitenden Firmen nicht nur Geld zu leihen, sondern für diese auch ESG-konforme Schuldverschreibungen zu arrangieren, sie womöglich an die Börse zu begleiten sowie Unternehmen, für die weder das eine noch das andere in Frage kommt, mit anderen Geldgebern zusammenzubringen.
In der Folge dürften die größten Risiken weiterhin in den Schattenbankensektor abwandern, und mit ihnen die entsprechenden Renditen: Debt-Fonds, nicht Hausbanken sichern sich derzeit die lukrativen Tranchen von Immobilienfinanzierungen. Überhaupt kommen Traumrenditen ja schon seit längerem überall dort zustande, wo der regulierte Bankensektor nicht ist: bei Cloud-Dienstleistern, bei Kreditkartengesellschaften, in Prüf- und Beratungsgesellschaften, bei Ratingagenturen und bei Kryptowährungshandelsplätzen. Zyniker könnten sagen: Die Transformation der Wirtschaft wird auf jeden Fall finanziert, nur nicht notwendigerweise durch deutsche Banken.
Stimmt aber die These von der großen Transformation der Wirtschaft, dann müssten sich etliche vermeintlich sichere Finanzierungen der Old Economy ohnehin zu einem Pendant der Staatsanleihen nach der Finanzkrise wandeln: überbewertet und dabei nicht einmal sicher. Die Zukunft wird dagegen solchen Schuldnern gehören, welche die Zeichen der Zeit früher als die breite Masse erkannt haben – und den sie finanzierenden Banken. Ob Deutschlands Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken zu ihnen zählen werden? Ihnen fordert der Wandel nicht nur eine Überarbeitung der Produktpalette, sondern sicher auch andere Anreizstrukturen ab. Auf das dazu benötigte Personal werden nicht alle Institute dieselbe Anziehungskraft ausüben.
Diese Umwälzung bringt auch die Aufsicht in eine neue Situation: Sie muss sich lösen von ihrer Nulltoleranzpolitik gegenüber Risiken in Bankbilanzen. Zugleich aber muss sie, nachdem die Reregulierung des Bankensektors mit Abschluss des Regelwerks Basel III als abgeschlossen gilt, schwer aufpassen, nicht wie schon vor 20 Jahren mit Basel II gerade dann in eine Deregulierung einzuschwenken, wenn sich die Risiken schon wieder bedrohlich aufgetürmt haben.
Von Bernd Neubacher, Frankfurt