70 Jahre kritischer Begleiter der Versicherungswirtschaft
Der wirtschaftliche Aufschwung nach dem verlorenen Krieg deutete sich bereits an, als am 1. Februar 1952 die erste Ausgabe der Börsen-Zeitung erschien. Auch bei der Konkurrenz gab man sich optimistisch: „Westdeutschlands Börsen zeigen eine Stimmung wie in ihren Glanzzeiten“, berichtete das damals noch junge Magazin „Der Spiegel“. In Asien tobte noch der Koreakrieg. Die USA demonstrierten mit der Zündung der ersten Wasserstoffbombe ihre militärische Stärke gegenüber dem Ostblock. In Deutschland standen vier Jahre nach Einführung der D-Mark die Zeichen jedoch wieder auf Wachstum.
Sieben Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Jahrzehnte, in denen nicht nur die deutsche Wirtschaft sich immer wieder verändern und neu erfinden musste, sondern auch die Versicherungswirtschaft. Die Geschichte der Börsen-Zeitung ist deshalb auch eine Geschichte der deutschen Wirtschaft.
Wirtschaftswunderjahre
Die 1950er und 1960er Jahre waren im Rückblick „Wirtschaftswunderjahre“. Die junge Bundesrepublik Deutschland krempelte die Ärmel hoch und baute aus den Trümmern des Krieges die Wirtschaft wieder auf. Dabei setzte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard auf das von ihm mitentwickelte Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Unter dem Slogan „Wohlstand für alle“ sollten Wettbewerb, Privateigentum und Gewinnorientierung mit sozialem Ausgleich verbunden werden. 1955 war die deutsche Wirtschaft bereits wieder so stark, dass erstmals Arbeitskräfte aus dem Ausland als sogenannte „Gastarbeiter“ ins Land geholt wurden.
Auch für die Versicherer, die durch die deutsche Teilung ein Drittel ihres Prämienvolumens eingebüßt hatten, waren dies Aufbaujahre. Fast alle in Ostdeutschland ansässigen Versicherer hatten ihren Betriebssitz in den Westen verlegt, um der Verstaatlichung in der DDR zu entgehen. Mit dem Wirtschaftsboom wuchs auch die Versicherungswirtschaft. In den sechs Jahren von 1949 bis 1955 stieg die Zahl der Lebensversicherungen in Westdeutschland von 24 auf 33 Millionen. 1955 verließ der millionste VW-Käfer das Fließband in Wolfsburg, und mit der massenhaften Motorisierung stieg auch das Geschäft der Kfz-Versicherung. 1965 trat das neue Pflichtversicherungsgesetz für die Kfz-Haftpflichtversicherung in Kraft.
Von der Ölkrise bis Mauerfall
Mit den 1970er Jahren folgte eine Ära der Krisen, Umbrüche und Veränderungen. Auf den Ölpreisschock 1973 reagierte man mit autofreien Sonntagen und einer sechsmonatigen generellen Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Straßen. Spätestens Mitte der 1970er Jahre war das Wirtschaftswunder vorbei, es kam zu einer „Stagflation“ – niedriges Wirtschaftswachstum und hohe Inflation. Trotz verschiedener Konjunkturprogramme stieg die Arbeitslosigkeit. In den 1980er Jahren verbesserte sich die wirtschaftliche Lage wieder, auch weil die konservative Regierung in Bonn die privatwirtschaftlichen Marktkräfte stärkte. Bis zum Ende des Jahrzehntes nahm die Staatsverschuldung deutlich zu.
Für die Versicherungswirtschaft waren dies Jahrzehnte der Modernisierung. Die Unternehmen setzten auf moderne Großcomputer, die Angebotspalette für die Kundinnen und Kunden wurde erweitert. Ein Boom bei der privaten Krankenversicherung sorgte für die Gründung zahlreicher neuer Gesellschaften. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 1986 führte zu einer weiteren Öffnung des Marktes, weil nun auch ausländische Gesellschaften Versicherungsgeschäfte betreiben durften, ohne in Deutschland niedergelassen zu sein.
Die 1990er Jahre standen im Zeichen der Wiedervereinigung und des Wiederaufbaus der ostdeutschen Wirtschaft. Eingeleitet wurde die wirtschaftliche Wiedervereinigung 1990 durch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Zwar sorgte die Einführung der D-Mark in den neuen Ländern für ein breites Konsumangebot. Das führte jedoch für die ostdeutschen Unternehmen zu einem hohen Anpassungsdruck. Um Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und Zahlungsschwierigkeiten in den Ostländern zu begegnen, wurde 1991 das Förderprogramm „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ aufgelegt. Trotz großer Investitionen und der Einführung des Solidaritätszuschlags sollte es Jahrzehnte dauern, bis die Lebensbedingungen in Ost und West weitgehend angeglichen waren. Die Einführung des europäischen Binnenmarktes und des Euro als gemeinsame Währung setzten den Rahmen für die weitere Entwicklung.
Für die deutsche Versicherungswirtschaft war der Fall der Mauer eine Bewährungsprobe. Millionen ehemalige DDR-Bürger mussten abgesichert werden, was für die westdeutschen Versicherer enorme Chancen bot, aber auch viele organisatorische und rechtliche Probleme aufwarf. Rückblickend lässt sich sagen, dass die Versicherungswirtschaft in den Wendejahren einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilität und zum Erfolg der Wiedervereinigung leistete.
Weitere Internationalisierung
Die Einführung des europäischen Binnenmarktes brachte eine weitere Internationalisierung im Versicherungswesen. Es kam zu zahlreichen Übernahmen und Expansionen in neue Märkte. 1999 schlossen sich die Dortmunder Signal Versicherungen und die Hamburger Iduna Nova Gruppe zusammen und es entstand die heutige Signal Iduna, zu der später auch die Krankenversicherung von Deutscher Ring hinzukam.
Nach der Jahrtausendwende erlebte die deutsche Wirtschaft erneut eine Wachstumsphase, die – immer wieder unterbrochen durch Krisen – bis heute anhält. Durch die starke industrielle Basis, hochwertige Produkte und Dienstleistungen und das funktionierende Zusammenspiel aus Unternehmen und Gewerkschaften ist Deutschland besser durch die Krisen der vergangenen Jahre gekommen als die meisten anderen Länder. Drei große Veränderungsprozesse waren dabei für die deutsche Wirtschaft prägend: neue Technologien, Globalisierung und demografischer Wandel. Dabei sorgt die Digitalisierung für einen anhaltenden Transformationsprozess, der auch zu einem Umbruch in der Versicherungsbranche und zu Innovation und neuen, kundenzentrierten Produkten und Services führt. Gleichzeitig arbeitet die Branche intensiv daran, durch Nachhaltigkeit einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel zu leisten.
Teil der Wirtschaftsgeschichte
Die Börsen-Zeitung hat wie kaum ein anderes Wirtschaftsmedium die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und der Versicherungsbranche begleitet. Durch die kritische und stets fachlich fundierte Einordnung der Ereignisse, Märkte und Unternehmen ist sie nicht nur ein Spiegel der deutschen Wirtschaftsgeschichte, sondern längst selbst ein Teil davon. Und wenn ich das mit der Bescheidenheit eines Unternehmens sagen darf, das selbst vor mehr als einem Jahrhundert gegründet wurde: Herzlichen Glückwunsch, liebe Börsen-Zeitung, und alles Gute für die nächsten 70 Jahre – auch von einem treuen Leser!