Digitalisierung

Finanzwirtschaft und Digitalisierung – was zu tun ist

Digitale Produkte und Prozesse sind besonders dann wertschaffend, wenn Kunden und Unternehmenskultur konsequent einbezogen werden

Finanzwirtschaft und Digitalisierung – was zu tun ist

Niemand wird bestreiten, dass die Digitalisierung auch in der Zukunft Finanzdienstleistern enorme Potenziale bietet. Sie ist eine große Chance für alle an den Wertschöpfungsketten der Finanzwirtschaft Beteiligten: Kundinnen und Kunden, Unternehmen, Produktentwickler und -lieferanten, Berater, Makler und viele mehr. Allerdings, und das ist zunehmend zu beobachten, wird sie nicht selten als Chance zu einer Art Automatisierung der Kundenbeziehungen missverstanden. Diese vor allem technologiegetriebene Perspektive ist nicht zielführend. Denn alles, was nicht den Kundinnen und Kunden dient, wird sich als Irrweg erweisen. Digitalisierung ist dann eine große Chance, wenn die Verantwortlichen niemals vergessen, wem sie zu dienen hat.

Die Erfahrungen aus der vor mehr als vier Jahren gestarteten digitalen Transformation der W&W-Gruppe zeigen, dass gerade aus der Kombination digitaler Produkte und Prozesse mit gewachsenen Eigenschaften wie Beratungsqualität, Sicherheit und Empathie zukunftsfähige Geschäftsmodelle entstehen. Eine wichtige Regel lautet dabei: Der Faktor Mensch muss weiter das Zentrum bilden. Digitalisierung muss dies unterstützen. Und schon gar nicht soll sie die Beratung durch kompetente und vertrauenswürdige Ge­sprächs­partner ersetzen, wenn es um komplexere Fragen geht.

So sehr die digitale Transformation von Finanzdienstleistern in vollem Gang ist, so sehr suchen die Marktteilnehmer nach wie vor nach ihrem Königsweg. „Banken setzen auf eine ambitionierte digitale Transformation, bremsen sich aber teilweise selbst aus, denn es mangelt an Umsetzungsgeschwindigkeit und Fokussierung“, resümierte eine Ende 2020 publizierte, breit angelegte Studie der Unternehmensberatung zeb.

Klar ist, dass die Coronavirus-Pandemie den Veränderungsdruck hin zu digitalen Prozessen, Produkten und Arbeitsweisen noch einmal deutlich verstärkt hat. Klar ist aber auch: Wer diese Themen erst aufgrund der Pandemie angepackt hat, ist spät dran, vielleicht zu spät.

Eine digitale Transformation ist gerade in einer strukturell langfristig ausgerichteten Branche wie den Finanzdienstleistern ein jahrelanger, letztlich nie abgeschlossener technologischer und kultureller Prozess, der alle Ebenen eines Unternehmens einschließt und verändert. Die W&W-Gruppe, die im Jahr 1999 durch den Zusammenschluss der Traditionsunternehmen Wüstenrot und Württembergische entstanden ist, hat ihren Aufbruch in eine digitale Zukunft – Stichwort Fokussierung – von Beginn an auf festen Grundsätzen und Zielen gegründet und mit einem dynamisch anzupassenden Maßnahmenplan unterlegt.

Der wichtigste Grundsatz dabei lautet: Digitalisierung hilft dort am meisten, wo sie direkt oder indirekt den Kundinnen und Kunden nutzt. Es steht außer Frage, dass Finanzdienstleister der stetig wachsenden online-affinen Zielgruppe von be­stehenden und künftigen Kunden ein überzeugendes Produkt- und Serviceangebot machen müssen, das ihren Ansprüchen an Flexibilität, Kosten und Convenience entspricht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es gerade im finanziellen Vorsorgegeschäft Kundinnen und Kunden gibt und auch weiterhin geben wird, für die der persönliche Kontakt zu ihren Beratern nach wie vor Priorität hat.

Dies gilt umso mehr in Situationen, in denen der direkte Ansprechpartner essenziell ist, zum Beispiel bei der Schadenregulierung. Ein kleiner Haftpflichtschaden lässt sich pro­blemlos online regulieren. Für Elementarschäden, die nicht selten die wirtschaftliche Existenz von Menschen bedrohen oder vernichten, braucht es den persönlichen Kontakt, am besten vor Ort. Die Flutkatastrophe des vergangenen Jahres hat diese Erkenntnis wie kein anderes Ereignis vor Augen geführt.

Vertrauen wichtig

Neue Wettbewerber aus der Fintech- und Insurtech-Szene, die gerne als disruptiv gefeiert werden, lernen gerade, dass ein digitales Geschäftsmodell allein nicht ausreicht, sondern dass in unserer Branche stabile und sichere Prozesse, Service für und Kommunikation mit den Kunden und auch Erfahrung und Qualität die Voraussetzungen für nachhaltige und damit langfristige Geschäfte sind. Vermögensaufbau und Vorsorge in ihrer ganzen Komplexität werden immer Themen sein, die auf Vertrauen basieren und für die es mehr braucht als eine digitale Plattform.

Die W&W-Gruppe hat im Zuge ihrer Transformation bewusst neue digitale Aktivitäten in einer eigenen Geschäftseinheit, der W&W brandpool GmbH, zusammengefasst. Es ist eine Art Brutkasten für innovative Geschäftsmodelle und ein Experimentierfeld für gezielte Investitionen in aussichtsreiche Unternehmen. Seitdem hat sich eine Reihe von Aktivitäten erfolgreich weiterentwickelt und ist mittlerweile fester Bestandteil des Leistungsangebots der Gruppe. Damit einher geht auch eine kulturelle Veränderung, die erfreulich und gewünscht ist.

So arbeitet die Württembergische Versicherung mittlerweile vermehrt mit digitalen Beratungstools. Zudem wurde die digitale Kommunikation mit den Beraterinnen und Beratern in den zurückliegenden Jahren ausgebaut, was besonders während der Corona-Pandemie dafür gesorgt hat, dass der Kontakt zu den Kundinnen und Kunden weiter aufrechterhalten bleiben konnte. Wüstenrot bietet mit der Wohnwelt ein innovatives digitales Medium zur Kundeninteraktion. Und mit der App und Webanwendung FinanzGuide haben Kundinnen und Kunden der W&W-Gruppe komfortabel volle Kontrolle über alle Finanzen und Versicherungen.

Digitalmarke Adam Riese

Die im Oktober 2017 gestartete Digitalmarke Adam Riese, über die Basis-Versicherungsprodukte direkt online abgeschlossen werden können, hat bis Ende 2021 schon mehr als 220 000 Kundinnen und Kunden gewonnen und ist von der Fachwelt mehrfach als echte Innovation ausgezeichnet worden. Nach dem erfolgreichen Aufbau wurde Adam Riese vergangenes Jahr in den Vertrieb der Württembergischen Versicherung AG integriert, womit die digitale Expertise des Sachversicherers weiter gestärkt wurde.

Die Entwicklung von Adam Riese ist ein gutes Beispiel für den Prüfkatalog, der sich für jeden Anbieter empfiehlt: Welche Angebote bieten Kundinnen und Kunden einen echten Mehrwert? Mit welchen Produkten lassen sich online-affine Zielgruppen wirklich erreichen? Erfüllt eine neue digitale Lösung die Ansprüche an Sicherheit und Seriosität, bei denen keine Abstriche gemacht werden dürfen?

Ohnehin stehen in der Diskussion über die Digitalisierung oft zu stark Produkte und Lösungen im Vordergrund und weniger die enormen Potenziale, die in den internen Prozessen der Unternehmen liegen. Digitalisierte Strukturen und Prozesse, die die Vorgänge beschleunigen, die Fehler minimieren und Kapazitäten freisetzen, sind die Voraussetzung für höhere Effizienz und Produktivität. Auch hierbei gilt es, konsequent die Kundenperspektive einzunehmen.

Beschleunigte Prozesse, etwa bei der Vertragsabwicklung oder Schadenregulierung, sind erst dann vorteilhaft, wenn sie Kosten sparen und zugleich auf die Kundenzufriedenheit einzahlen. Interner Bürokratieabbau durch automatisierte Back-­ Office-Prozesse, durch den gezielten Einsatz von Automatisierung bis hin zu Robotik-Lösungen bietet die Chance, dass Beraterinnen und Berater von Routineaufgaben entlastet werden. Sie haben in der Folge mehr Zeit für die Betreuung der Kundinnen und Kunden und stärken damit den Aspekt des „people’s business“, der bei der Vorsorge ab einem gewissen Komplexitätsgrad immer eine Rolle spielen wird.

Solche Transformationen erfordern nachhaltige Investitionen in signifikanter Höhe, vor allem in eine leistungsfähige IT sowie in die Rekrutierung und Qualifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der digitale Aufbruch kann nur gelingen in einer Unternehmenskultur, die veränderungsbereit und agil ist und die eine positive Fehlerkultur akzeptiert – nicht weil Veränderung Selbstzweck ist, sondern weil sich in einer digitalisierten Welt nur auf diese Weise und mit dieser Einstellung Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern und stärken lässt. Gerade dieser „change of mindset“ ist eine enorme Herausforderung, die nicht per Umlegen eines Schalters, sondern nur auf der Zeitschiene gelingen kann.

Was erforderlich ist

Die Digitalisierung ist somit Treiber und Katalysator der Transformation, die für Finanzdienstleister unabdingbar ist. Sie ist aber für sich genommen nicht ausreichend. Erst aus der Verbindung mit hohen Investitionen in neue Geschäftsideen, in die Qualifizierung der Belegschaft, in die Stärkung der persönlichen Kommunikation mit den Kundinnen und Kunden sowie in eine kreative und agile Firmenkultur ist Digitalisierung wertschöpfend. Erst das Ineinandergreifen all dieser Entwicklungen führt zu einer wirklichen Transformation. Die W&W-Gruppe hat in den vergangenen Jahren nicht ganz ohne Erfolg gezeigt, dass dieser Weg möglich und zukunftsweisend ist.

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