Aus der KapitalmarktforschungOst- und Westdeutschland

Antikapitalistische Ideologie wirkt lange nach

Menschen in Ostdeutschland haben auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine deutlich negativere Sicht auf die Kapitalmärkte und investieren signifikant weniger am Aktienmarkt. Dieser Effekt variiert je nach persönlicher Erfahrung mit dem Regime in der ehemaligen DDR.

Antikapitalistische Ideologie wirkt lange nach

Antikapitalistische Ideologie wirkt lange nach

Studie über Investitionsverhalten und Kapitalmarkteinstellungen in Ost- und Westdeutschland – Persönliche Erfahrungen und Lebensqualität sind entscheidend

Von Christine Laudenbach, Ulrike Malmendier und Alexandra Niessen-Ruenzi

In den ehemaligen kommunistischen Staaten Europas ist die antikapitalistische Ideologie deutlich stärker verwurzelt als in den westlichen Ländern, doch es gibt auch innerhalb von Osteuropa starke Unterschiede in der Teilnahmequote am Aktienmarkt, der im Gedankengut kommunistischer Staaten oft als „Wurzel allen Übels“ dargestellt wird. Diese Unterschiede in der Anpassung und Akzeptanz von Kapitalmärkten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs werfen Fragen auf: Warum nehmen einige Menschen, die in einem kommunistischen Regime lebten, nach einem Regimewechsel das kapitalistische System zügig an, während andere an den kommunistischen Ideen festhalten?

Die Ergebnisse unserer neuen Studie „The long-lasting effects of experiencing communism on attitudes towards financial markets“ zeigen, dass die dauerhafte Prägung mit antikapitalistischer Ideologie lang anhaltende Auswirkungen auf die Einstellung zu Kapitalmärkten und auf persönliche Investitionsentscheidungen haben kann. Diese langfristigen Einflüsse erklären nicht nur die bis heute ausgeprägten Vermögensunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch Unterschiede innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung. Dabei spielen persönliche Erfahrungen und die Lebensqualität unter dem kommunistischen Regime eine wichtige Rolle.

Ideales Studienobjekt

Unsere Studie konzentriert sich auf Ostdeutschland und die lang anhaltenden Auswirkungen des Lebens unter der antikapitalistischen Doktrin in der DDR. Deutschland bietet sich als Untersuchungsgegenstand an, da es nach dem Zweiten Weltkrieg in einen kapitalistischen West- und einen kommunistischen Ostteil geteilt, aber 1990 wiedervereinigt wurde. Im kapitalistischen Westen wurden erste Börsen 1945 unter amerikanischer Aufsicht wiedereröffnet, während im kommunistischen Osten kein Aktienmarkt existierte und die Bevölkerung stark negativen Ansichten über Kapitalismus im Allgemeinen und den Aktienmarkt im Besonderen ausgesetzt war.

Die Ergebnisse einer Umfrage mit 9.695 Personen aus dem Jahr 2023 zeigen deutlich, dass Ostdeutsche eine höhere Neigung haben, antikapitalistische, gegen den Aktienmarkt gerichtete oder kommunistisch geprägte Einstellungen zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel stimmen nur 39% der Westdeutschen, aber 51% der Ostdeutschen der Aussage zu, dass „der Kapitalismus abgeschafft werden sollte“. Zudem lehnt die Hälfte der Ostdeutschen generell Aktien ab, und mehr Ostdeutsche als Westdeutsche betrachten Investitionen in den Aktienmarkt als unmoralisch. Diese Einstellungen stimmen mit den von der antikapitalistischen Doktrin verbreiteten negativen Sichtweisen auf den Kapitalismus überein.

Literatur prägt

Wladimir Iljitsch Lenin betonte beispielsweise 1919 die „Notwendigkeit eines unerbittlichen Krieges gegen die Kapitalisten“. Friedrich Engels charakterisierte in seiner Ergänzung zum dritten Band von Karl Marx’ „Das Kapital“ die Börse als „den hervorstechendsten Repräsentanten der kapitalistischen Produktion selbst“. Daten einer repräsentativen Befragung von 5.286 Ostdeutschen aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Personen, die im kommunistischen Regime der DDR lebten und dort relativ positive Lebenserfahrungen machten, eher dazu neigen, die antikapitalistische Ideologie des kommunistischen Regimes weiterhin zu unterstützen.

Auch der Sport hat Einfluss

Dies gilt auch für Personen, die mittlerweile in Westdeutschland leben. Sie lehnen Kapitalmärkte und Aktieninvestitionen stärker ab, selbst wenn ihre positiven Erfahrungen nicht direkt mit wirtschaftlichen oder finanziellen Ergebnissen zusammenhängen, sondern z.B. mit sportlichen Erfolgen der DDR im Rahmen von Olympischen Spielen. Im Gegensatz dazu sind Personen, deren Leben negativ vom kommunistischen Regime der DDR beeinflusst wurde, signifikant eher bereit, das marktbasierte System anzunehmen und persönlich in den Aktienmarkt zu investieren.

Welche Rolle spielt aber nun die Konfrontation mit antikapitalistischer Ideologie bei der Erklärung der Aktienmarktteilnahme?

Zurückhaltend bei Investments

Neben den Daten dieser repräsentativen Umfrage umfassen unsere Analysen auch umfangreiche Bankdaten und den Datensatz eines Online-Brokers, in denen wir uns die individuellen Aktienmarktinvestitionen anschauen können. Es zeigt sich, dass Ostdeutsche immer noch zögerlicher sind, in den Aktienmarkt zu investieren, als Westdeutsche. Trotz mehr als 30 Jahren Leben im wiedervereinigten Deutschland, mit Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten und demselben rechtlichen und regulatorischen Rahmenwerk beträgt die Lücke in der Beteiligung am Aktienmarkt zwischen Ost- und Westdeutschen, je nach Datensatz, zwischen 25,2% und 27,7%.

Für die Investoren, die teilnehmen, unterscheidet sich dann auch das Portfolio erheblich: Aktien von Unternehmen aus ehemals kommunistischen Ländern ziehen signifikant mehr ostdeutsche Investoren an, während Aktien amerikanischer Unternehmen und der Finanzindustrie, die man als „kapitalismusnäher“ bezeichnen könnte, signifikant weniger ostdeutsche Investoren anziehen.

Individuelle Erfahrungen mit der antikapitalistischen Ideologie der DDR sind hierbei maßgeblich. Positive Erinnerungen an die DDR sind mit einer geringeren Beteiligung am Aktienmarkt unter Ostdeutschen heute verbunden. Ostdeutsche, die das Leben in der DDR negativer erlebten, sind weniger empfänglich für die antikapitalistische Doktrin und investieren heute mehr.

Dies lässt sich anhand geografiebasierter Unterschiede in Erfahrungen untermauern. So führt beispielsweise die hohe Umweltverschmutzung in der damaligen DDR dazu, dass Ostdeutsche, die in stark von Umweltverschmutzung betroffenen Gebieten lebten, heute weniger aktienmarktavers sind. Der Zugang zum westdeutschen Fernsehen und das Leben in sogenannten „Schaufensterstädten“ der DDR wie Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) sind weitere untersuchte Faktoren, die die Einstellung zum Kapitalismus und die Beteiligung am Aktienmarkt beeinflussten.

Teure Konsequenz

Zusammenfassend bestätigt die Studie, dass ideologische Prägung und persönliche Erfahrungen unter dem Kommunismus weiterhin signifikante Auswirkungen auf die finanziellen Investitionsentscheidungen in Ostdeutschland haben. Darüber hinaus zeigt sie, dass die anhaltenden Unterschiede in den finanziellen Investitionen für Ostdeutsche kostspielig sind, da ihre Portfolios weniger diversifiziert sind, geringere Renditen erzielen und ein höherer Anteil ihrer liquiden Mittel in teurere bankeigene Produkte investiert wird.

Menschen in Ostdeutschland haben auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine deutlich negativere Sicht auf die Kapitalmärkte und investieren signifikant weniger am Aktienmarkt. Dieser Effekt variiert je nach persönlicher Erfahrung mit dem Regime in der ehemaligen DDR, wobei er besonders stark bei Personen ausgeprägt ist, die das Leben in der DDR positiv in Erinnerung haben.

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