Factoring ist mehr als nur ein Instrument der Unternehmensfinanzierung
Factoring ist mehr als nur ein Finanzierungsinstrument
Anteil der Umsätze an der Wirtschaftsleistung nimmt deutlich zu – Besondere Bedeutung für Handelsunternehmen
Vor gut 60 Jahren wurden in Deutschland die ersten Factoring-Gesellschaften gegründet. Aus bescheidenen Anfängen hat sich im Laufe der Zeit ein Finanzierungsinstrument entwickelt, das aus dem Finanzierungsmix vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken ist. Während im Jahre 1980 der Factoring-Umsatz gerade einmal 6,5 Mrd. DM betrug, lag das Umsatzvolumen 2023 – betrachtet man nur die Mitglieder des Deutschen Factoring-Verbandes – bei 384 Mrd. Euro beziehungsweise – die Umsätze der im Bundesverband Factoring für den Mittelstand organisierten sowie der keinem Factoring-Verband angehörenden Factoring-Unternehmen hinzugerechnet – wohl bei mehr als 390 Mrd. Euro. Bemerkenswert ist der hohe Anteil des internationalen Factorings, das mehr als ein Viertel des gesamten Factoring-Umsatzes ausmacht, wobei knapp 95% auf das Export-Factoring, das heißt auf den Verkauf von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an ausländische Kunden, entfallen.
Die Factoring-Umsätze haben nicht nur absolut zugenommen, sondern auch in Relation zur Wirtschaftsleistung. In Deutschland stieg die Factoring-Quote, die den Factoring-Umsatz in Relation zum Bruttoinlandsprodukt angibt, ausgehend von 4% im Jahr 2007 bis 2023 um mehr als das Doppelte auf 9%, liegt damit allerdings immer noch unter dem europäischen Durchschnitt von 12,1%. Frankreich und Italien weisen mit 15,2% bzw. 14,3% , Belgien mit 23,2% deutlich höhere Factoring-Quoten auf.
Abwälzung des Ausfallrisikos
Der Verkauf von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ist nicht nur ein reines Finanzierungsinstrument, sondern mit Factoring kann ein ganzes Bündel an Leistungen verbunden sein, die teilweise oder ganz von dem Factoring-Kunden in Anspruch genommen werden. So wälzt beim echten Factoring der Lieferant das mit den Forderungen verbundene Ausfallrisiko auf den Factor ab, beim Forderungsverkäufer verbleibt nur das Veritätsrisiko, das heißt der Verkäufer haftet dafür, dass überhaupt eine Forderung gegen den Kunden rechtswirksam existiert. In Deutschland dominiert ganz eindeutig der regresslose Forderungsverkauf, weil nur mit Übernahme des Delkredererisikos der Factor das Eigentum an den Forderungen erwerben kann. Im europäischen Vergleich dagegen halten sich die Anteile von Factoring mit und ohne Regress in etwa die Waage. Beim Full-Service-Factoring übernimmt der Factor neben der Finanzierungs- und Delkrederefunkton auch das Debitorenmanagement, das heißt er überwacht den Zahlungseingang und organisiert das Mahnwesen. Beim Fälligkeitsfactoring dagegen übernimmt der Factor nur das Ausfallrisiko, aber keine Finanzierungsfunktion. In Deutschland überwiegt traditionell – mit ca. zwei Dritteln des Factoring-Umsatzes – das Inhouse-Factoring, bei dem das Debitorenmanagement beim Factoring-Kunden verbleibt.
Auftrag des IBF – Institut für Bank- und Finanzgeschichte e.V., das die in loser Reihe erscheinenden Artikel „Banken- und Finanzgeshcichte“ beisteuert, ist die wissenschaftliche Aufarbeitung und Vermittlung der historischen Entwicklung unseres Geld- und Finanzwesens.
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Besondere Bedeutung hat das Factoring seit jeher für Unternehmen aus dem Handelsbereich. Deren Anteil am Factoring-Umsatz beträgt ca. 20%. Dies spiegelt die besondere Bedeutung des Handelskredits für Unternehmen dieser Branche wider. Aufgrund des schnellen Warenumschlags können die Handelskredite weitgehend aus den Umsatzerlösen bedient werden. Weitere Branchen, die Factoring häufig nutzen, sind das Gesundheitswesen, das Ernährungsgewerbe sowie Metallverarbeitung und Maschinenbau. Für den Bausektor eignet sich Factoring dagegen nicht, weil es sich bei Bauleistungen oftmals nicht um abgeschlossene Leistungen handelt und zudem Mängeleinreden häufig vorkommen.
Um die Gründe für die Nutzung von Factoring zu verstehen, ist es zunächst wichtig, zu erklären, warum Unternehmen Lieferantenkredite gewähren, denn ohne die Existenz von Handelskrediten gäbe es keinen Bedarf für Factoring. Immerhin machten 2021 Handelskredite 8% der Bilanzsumme aller Unternehmen aus und stellten nach den konzerninternen Verbindlichkeiten die zweitwichtigste Finanzierungsquelle im kurzfristigen Bereich dar. Umgekehrt dürfte auch die Möglichkeit des Verkaufs der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen die Gewährung von Handelskrediten erleichtern. Die weit verbreitete Praxis, dass Unternehmen Handelskredite gewähren, verwundert, da eigentlich Banken auf die Kreditvergabe spezialisiert sind und im Allgemeinen auch über günstigere Refinanzierungsmöglichkeiten verfügen.
Lieferanten wissen mehr
Vorteile eines Handelskredits gegenüber einer Kreditfinanzierung durch Banken können mit Hilfe der Transaktionskostentheorie erklärt werden. Transaktionskosten in Finanzierungsbeziehungen entstehen vor allem durch eine ungleiche Informationsverteilung zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer. Der Kapitalgeber kann typischerweise die Kreditwürdigkeit des Kapitalnehmers nur unzureichend beurteilen, und er kann nur unvollständig die Verwendung des zur Verfügung gestellten Kapitals kontrollieren und ist damit dem Risiko ausgesetzt, dass Maßnahmen finanziert werden, die im Interesse des Kreditnehmers liegen, für den Kreditgeber aber nachteilig sind. Besteht eine intensive Lieferbeziehung, so kann der Lieferant aus Veränderungen im Bestell- und Bezahlverhalten relativ frühzeitig eine Bonitätsverschlechterung erkennen. Zudem weiß der Lieferant, wofür der Kredit verwendet wird. Wird unter Eigentumsvorbehalt geliefert, so hat der Lieferant im Insolvenzfall des Kunden oftmals eine bessere Stellung als eine Bank. Sofern der Eigentumsvorbehalt wirksam ist, steht dem Lieferanten ein Aussonderungsrecht und damit ein schneller Zugriff auf die gelieferte Ware zu. Auch hinsichtlich der Verwertung der Ware als Sicherheit hat der Lieferant Vorteile, da er die Absatzmöglichkeiten seiner Produkte kennt. Voraussetzung ist natürlich, dass die gelieferte Ware haltbar ist und eine Zweitverwertung problemlos möglich ist. Diese Voraussetzungen sind bei Unternehmen aus dem Handelssektor typischerweise erfüllt. Daneben werden Handelskredite auch gewährt, weil der Kunde dies zur Voraussetzung für eine Geschäftsbeziehung macht und der Kunde eine starke Stellung hat, weil auf ihn ein beträchtlicher Teil des Umsatzes des Lieferanten entfällt. Weitere Motive für die Gewährung von Handelskrediten sind die Absatzförderung, eine verdeckte Preisdiskriminierung durch die Gewährung unterschiedlicher Zahlungsziele sowie die Nutzung als Qualitätssignal bei Produkten, deren Qualität nicht unmittelbar offensichtlich ist.
Sicherung der Liquidität als Motiv
Durch die Gewährung von Handelskrediten entsteht beim Lieferanten ein erheblicher Kapitalbedarf. Um diesen zu decken, kommt neben der Finanzierung durch Bankkredite der Forderungsverkauf durch Factoring in Frage. Auch die Finanzierungsbeziehung zwischen Kapitalgeber und Lieferant ist durch eine ungleiche Informationsverteilung gekennzeichnet. Die Wahl von Factoring als Instrument zur Refinanzierung kann wiederum mit dem Bemühen, Transaktionskosten zu minimieren, begründet werden. Bei einem regresslosen Forderungsverkauf erwirbt der Factor das Eigentum an den Forderungen und kann diese bei Insolvenz des Factoring-Kunden selbständig verwerten. Die Fähigkeit des Kapitalgebers, seine Ansprüche bei Insolvenz des Kapitalnehmers durchzusetzen, ist vor allem dann wichtig, wenn die Bonität des Kapitalnehmers nur schwer beurteilt werden kann. Dies betrifft insbesondere mittelständische Unternehmen, die geringeren Publizitätsvorschriften unterliegen. Kleine und mittelständische Unternehmen sind daher oft Finanzierungsbeschränkungen unterworfen und sehen in der Nutzung von Factoring eine Möglichkeit, ihren Finanzierungsspielraum zu erweitern. Bei Umfragen unter den Factoring-Nutzern zu den Gründen für die Nutzung von Factoring wird die Sicherung der Liquidität sowie die Verbreiterung der Finanzierungsbasis stets als das wichtigste Motiv genannt.
Durch den regresslosen Verkauf der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen entstehen allerdings neue Transaktionskosten. Überwälzt der Lieferant das Ausfallrisiko auf den Factor, hat er einen verminderten Anreiz, den Ausfall seiner Forderungen zu verhindern. Der Lieferant wird vor Gewährung eines Zahlungsziels weniger intensiv die Bonität seiner Kunden überprüfen und weniger Mühe darauf verwenden, die Bonitätsentwicklung seiner Kunden zu überwachen. Um nicht ein erhöhtes Ausfallrisiko aufgebürdet zu bekommen, wird daher der Factor die Prüfung der Kreditwürdigkeit der Lieferanten übernehmen. In der Praxis prüfen Factoring-Unternehmen auch die Bonität der Factoring-Kunden, nicht zuletzt deshalb, weil die Bonität der Debitoren oft positiv mit der Bonität der Lieferanten korreliert.
Relevanz der Überwachungskosten
Betrachtet man die Transaktionskosten, die mit dem Lieferantenkredit und der Refinanzierung durch Factoring entstehen, gemeinsam, so lohnt sich Factoring aus Sicht der Transaktionskostentheorie nur dann, wenn die Überwachungskosten des Factors nicht die Vorteile einer Gewährung von Handelskrediten durch den Lieferanten ausgleichen. Inwieweit dies gegeben ist, hängt unter anderem auch von der Kundenstruktur des Lieferanten ab. Als Beispiel sei der Fall betrachtet, dass es eine Gruppe von Lieferanten gibt, die einen hohen Anteil an gemeinsamen Kunden beliefern. Die Anzahl an Überwachungsvorgängen und damit die Höhe der Überwachungskosten können reduziert werden, indem nicht jeder Lieferant jeden Kunden überprüft, sondern diese Aufgabe an einen Factor, der zugleich die Refinanzierung der Handelskredite übernimmt, delegiert wird. Gibt es dagegen eine enge Kundenbeziehung mit regelmäßigen Kundenkontakten, so kann der Factor keine Vorteile hinsichtlich der Kreditüberwachung erzielen. Aus Sicht der Transaktionskostentheorie würde sich damit, wenn man andere Aspekte wie die Rechtsstellung im Insolvenzfall vernachlässigt, ein Forderungsverkauf mit Regress anbieten. Hierbei übernimmt der Factor nur die Finanzierungsfunktion, nicht aber auch das Ausfallrisiko, so dass die Bonitätsprüfung der Kunden beim Lieferanten verbleibt. Ist das Unternehmen umgekehrt nicht finanzierungsbeschränkt, ist aber eine Absicherung des Ausfallrisikos sinnvoll, so kommt das Fälligkeitsfactoring in Frage.
Viele Auslagerungs-Optionen
Die Beispiele machen deutlich, dass Factoring als eine von mehreren Möglichkeiten angesehen werden kann, bestimmte Funktionen, die mit dem Management von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen verbunden sind, auszulagern. Diese Funktionen umfassen die Prüfung der Kreditwürdigkeit des Debitors, die Entscheidung über die Gewährung eines Lieferantenkredits, die Überwachung des Zahlungseingangs, die Refinanzierung des Forderungsbestandes und die Übernahme des Ausfallrisikos. An einem Ende des Spektrums ist der Verzicht auf jegliche Auslagerung dieser Funktionen anzusiedeln, am anderen Ende steht das regresslose Full-Service-Factoring, bei dem alle Funktionen einschließlich des Debitorenmanagements auf den Factor ausgelagert werden. Das Full-Service Factoring bietet sich insbesondere für kleinere Unternehmen an, die die Skalenvorteile eines effizienten Debitorenmanagements nicht nutzen können. Zwischen den beiden Endpolen Full-Service Factoring einerseits und keine Auslagerung von Funktionen des Forderungsmanagements andererseits sind das Inhouse-Factoring und das Fälligkeitsfactoring, aber auch Alternativen zum Factoring wie zum Beispiel die Kreditversicherung, die Nutzung von Kreditbüros oder die Refinanzierung über Asset-Backed-Transaktionen einzuordnen. Die Entscheidung darüber, in welchem Umfang die Aufgaben, die im Zusammenhang mit dem Management der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen anfallen, ausgelagert werden, kann stets als Ergebnis des Bemühens, die Transaktionskosten zu minimieren, angesehen werden.
Mit Factoring kann ein ganzes Bündel an Leistungen verbunden sein: die Abwälzung des Ausfallrisikos des Lieferanten, die Übernahme der Delkrederefunktion durch den Factor oder – beim Full-Service-Factoring – auch die Überwachung des Zahlungseingangs und der Organisation des Mahnwesens.