Was Anleger über Inflation wissen sollten
Was Anleger über Inflation wissen sollten
Interessanter Gegensatz zwischen Vorstellung und Realität über den Einfluss der Teuerung auf Aktien
Von Andreas Hackethal
Inflation ist ein wesentlicher Risikofaktor bei der Geldanlage. Wie genau die Inflation auf einzelne Anlageklassen wirkt und was daraus für die optimale Vermögensstruktur folgt, ist vielen Anlegern nicht bewusst. Unser Team aus dem House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt und der Deutschen Bank hat eine Studie unter Bankkunden durchgeführt, um zu erkunden, wo noch Wissenslücken existieren und was Anleger konkret tun können, um sich besser für Zeiten mit stark schwankender Inflation aufzustellen. Auch für die Anlageberatung sind die Fragen relevant, denn eine ihrer zentralen Aufgaben besteht darin, gemeinsam mit den Kunden die Finanzrisiken im Depot zu steuern.
Forschung zeigt das Gegenteil
In der Studie konzentrieren wir uns auf die Anlageklasse Aktien, da es hier einen interessanten Gegensatz zwischen weit verbreiteten Anlegermeinungen und der empirischen Evidenz gibt. Viele Menschen gehen nämlich davon aus, dass Aktienkurse nicht unter einem Anstieg der Inflation leiden. Weil Aktien Ansprüche auf reale Vermögenswerte verbriefen, deren Werte durch Inflation kaum beeinträchtigt würden und weil die Unternehmen inflationsbedingte Kostensteigerungen an ihre Kunden durchreichen könnten, böten Aktien einen effektiven Schutz gegen Inflation. Tatsächlich dokumentiert die empirische Finanzforschung ein anderes Muster: Steigt die Inflation in einem Land stark an, dann reagieren dessen Aktienmärkte fast immer mit negativen realen Renditen. Dies konnte man auch in der jüngsten Episode hoher Inflation sehen.
Die Wissenschaft hat über die Zeit mehrere Theorien zu diesem negativen Zusammenhang entwickelt. Diese knüpfen entweder daran an, dass eine steigende Inflation oftmals Vorbote einer Konjunkturabschwächung ist oder dass die Zentralbank in Reaktion auf den Anstieg des Preisniveaus ihre Geldpolitik straffen wird. Beides schlägt sich in geringeren Unternehmenswerten nieder. Gleiches gilt für den Umstand, dass viele Firmen die durch Inflation gestiegenen Kosten eben doch nicht eins zu eins an ihre Kunden weitergeben können.
Ansatzpunkte für Finanzbranche
Angesichts dieses überraschenden empirischen Befundes hat unser Team aus dem House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt und der Deutschen Bank ein gemeinsames Forschungsprojekt durchgeführt. Die Datenbasis bilden anonymisierte Depotdaten und eine Online-Befragung, die Anfang 2022 und damit in einer Phase stark ansteigender Inflation unter Bankkunden durchgeführt wurde. Konkret möchten wir mit dem Projekt die folgenden Fragen beantworten: Wie denken Anleger über Inflation und deren Auswirkungen auf das eigene Vermögen nach? Wie übersetzt sich dies in zukünftige Renditeerwartungen und wie schließlich in reale Anlageentscheidungen? Antworten auf diese Fragen sind nicht nur für die Forschung relevant, sondern bieten auch Ansatzpunkte für die Finanzbranche, Kundenvermögen besser gegen schwankende Inflation aufzustellen.
Umfrage in drei Teilen
Herzstück der gemeinsam durchgeführten Studie ist ein umfragebasiertes Experiment. Die Deutsche Bank sendete per E-Mail eine Teilnahmeeinladung an eine repräsentative Auswahl von Kunden, die in der Regel eigenständig ihre Wertpapieranlagen tätigen. Wir konzentrieren uns auf diese Gruppe, weil wir den Einfluss von Beratungsempfehlungen ausklammern und ein Mindestmaß an eigenständiger Anlageerfahrung voraussetzen wollen. Mehr als 2.800 Anleger nahmen an der Umfrage teil. Diese bestand aus drei Teilen. Zunächst sollten die Anleger die aktuelle Inflationsrate angeben und dann die Frage beantworten, wie sich verschiedene Anlageklassen ihrer Meinung nach in vergangenen Episoden hoher Inflation geschlagen haben.
Für das eigentliche Experiment teilten wir die Kunden nun zufällig in drei Zielgruppen und eine Kontrollgruppe ein. Investoren in der Kontrollgruppe erhielten keine weiteren Informationen. Den Zielgruppen 1 und 3 wurden Informationen zur tatsächlichen aktuellen Inflation zur Verfügung gestellt, mit dem Ziel, die Inflationserwartungen neu zu kalibrieren. Anleger in den Gruppen 2 und 3 erhielten Auskunft über die tatsächlichen Renditen verschiedener Anlageklassen während vergangener Inflationsperioden in Deutschland. Sie erfuhren also, dass inländische Aktien in jenen Phasen schlechter abschnitten als z.B. internationale Aktien, Rohstoffe und Gold. Anleger in der Gruppe 3 erhielten zusätzlich zu den Daten noch ökonomische Erklärungsansätze zu den möglichen Ursachen der Renditedifferenzen zwischen den Anlageklassen.
Suche nach optimalem Depot
Nach dem Experiment erhoben wir erneut die Einschätzungen und Renditeerwartungen der Teilnehmer und ließen alle eine hypothetische Anlageentscheidung treffen. Die Umfrageteilnehmer sollten ihre Inflations- und Renditeerwartungen für die nächsten Monate angeben, und gegebenenfalls aktualisierte Einschätzungen zu Wechselwirkungen zwischen Inflation und Anlagerenditen skizzieren. Wir fragten auch nach möglichen Erklärungen für die unterstellten Wechselwirkungen. Schließlich sollten die Teilnehmer ein aus ihrer Sicht optimales Depot aus den zuvor abgefragten Anlageklassen zusammenstellen.
Der Vergleich aller Antworten und Entscheidungen zwischen den vier Gruppen erlaubt uns, die konkreten Effekte der Informationsbereitstellung auf die jeweiligen Renditeerwartungen und auf das hypothetische Anlageverhalten herauszuarbeiten. Zusätzlich betrachten wir die anonymisierten, tatsächlichen, in den Wochen rund um das Experiment herum getroffenen Anlageentscheidungen der Teilnehmer und können so untersuchen, ob die Informationsbereitstellung auch das tatsächliche Anlageverhalten beeinflusst hat.
Unterschiedliche Sicht auf die Auswirkungen
Unsere Studie liefert drei Ergebnisse. Erstens: Obwohl die Mehrheit der Anleger bei der aktuellen Inflationsrate richtig liegt, herrscht überhaupt kein Konsens darüber, wie sich steigende Inflationsraten auf die Renditen verschiedener Anlageklassen und insbesondere die von deutschen Aktien auswirkten. Die Schätzungen streuen immens und insgesamt sind die Schätzungen der Aktienrenditen während vergangener Inflationsperioden deutlich zu positiv. Zusätzlich ist vielen Anlegern nicht bewusst, dass internationale Diversifikation und Investitionen in Rohstoffe bessere Strategien zur Absicherung gegen Inflation darstellen.
Experiment wirkt sich aus
Zweitens zeigen die experimentellen Interventionen deutliche Wirkung. Je nachdem, ob Informationen bereitgestellt wurden, passten die Anleger ihre Renditeerwartungen kaum oder aber signifikant an. Insbesondere die Präsentation von Datenpunkten zu den niedrigen Aktienrenditen deutscher Unternehmen während vergangener Inflationsperioden sorgte dafür, dass die betroffenen Teilnehmer ihre Erwartungen zu deutschen Aktienrenditen über die kommenden zwölf Monate nach unten schraubten. Dieser Effekt ist noch stärker für die Gruppe 3, die neben den Datenpunkten auch noch die Erklärungsansätze zu möglichen ökonomischen Ursachen der niedrigen Renditen erhielt. Wir können mittels weiterer Bausteine in der Befragung nachweisen, dass insbesondere das Narrativ, steigende Inflation habe sich als Vorbotin volkswirtschaftlicher Schwächeperioden herausgestellt, zur Anpassung der subjektiven Renditeerwartung für deutsche Aktien führte.
Drittens hat die Aufklärung zu historischen Anlagerenditen in Phasen steigender Inflation Auswirkungen sowohl auf hypothetische und als auch auf reale Anlageentscheidungen. In der Umfrage selbst erhöhen die Teilnehmer aus den Zielgruppen 2 und 3 den Depotanteil von internationalen Aktien und von Gold auf Kosten des Anteils deutscher Unternehmen. Noch wichtiger: Auch in den realen Depotdaten zeigt sich ein solcher Effekt. Anleger aus den Zielgruppen 2 und 3 schichteten in den Folgemonaten ihr Depot stärker um. Für jeden Prozentpunkt an selbst bekundeter, reduzierter Renditeerwartung reduzieren sich die Nettokäufe deutscher Aktien im Schnitt um etwa ein Drittel für die sechs Monate nach der umfragebasierten Intervention.
Zeitpunkt ist entscheidend
Für die Forschung rund um Anlegerverhalten folgt aus den Ergebnissen, dass Finanzbildung besonders gut funktioniert, wenn sie in einem sogenannten „teachable moment“ erfolgt und mit konkreten Handlungsimplikationen verbunden ist. Aus früheren eigenen Studien wissen wir, dass dies nicht nur im Kontext der Wertpapieranlage gilt, sondern auch für die langfristige Finanzplanung und auch für das kurzfristige Konsumverhalten.
Banken sollten aus diesen Studien folgern, dass Ratschläge zum Umgang mit Risiken und zur Erreichung persönlicher Ziele sehr wirksam sein können, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt an die passende Zielgruppe adressiert werden und zudem klare Handlungsimpulse geben. Im Umgang mit Inflationsrisiken kann eine professionelle Anlageberatung folglich zusätzlichen Kundennutzen stiften, wenn sie die betreffenden Kunden über die Anfälligkeit ihres Portfolios informiert, sie über die Zusammenhänge aufklärt und sie schließlich dabei unterstützt, Inflationsrisiken durch eine geeignete Portfoliostruktur zu reduzieren, zum Beispiel über die Beimischung von internationalen Titeln, Rohstoffen und Edelmetallen. Und um die passende Zielgruppe für solche Ratschläge zu identifizieren und dann bedarfsgerecht ansprechen zu können, sollten Banken die Risikoprofile ihrer Kundendepots regelmäßig auf entsprechende Ansatzpunkte hin analysieren. Im Zielfoto schaffen Banken mit dem Dreiklang aus tiefer Datenanalyse, vorausschauendem Risikomanagement und vertrauensvollem Kundendialog messbaren Zusatznutzen für ihre Kunden und damit nachhaltige Wettbewerbsvorteile.
Vielen Anlegern ist nicht bewusst, wie sich die Inflation auf einzelne Anlageklassen auswirkt. Vor allem bei Aktien fallen Vorstellung und Realität weit auseinander. Das House of Finance und die Deutsche Bank haben in einer Studie nach den Wissenslücken und passenden Handlungsempfehlungen gesucht.