BANKENUNION

400 Meter Hürden

In der Leichtathletik gibt es Disziplinen, die besonders viel Ehrfurcht genießen. Stabhochsprung, wegen der atemberaubenden Technik. Zehnkampf, wegen der Vielfalt der Talente. Oder 400 Meter Hürden. Weil die Läufer bis fast zur Erschöpfung volles...

400 Meter Hürden

In der Leichtathletik gibt es Disziplinen, die besonders viel Ehrfurcht genießen. Stabhochsprung, wegen der atemberaubenden Technik. Zehnkampf, wegen der Vielfalt der Talente. Oder 400 Meter Hürden. Weil die Läufer bis fast zur Erschöpfung volles Tempo geben müssen – und zu allem Überfluss Hindernisse im Weg stehen.Europas Finanzminister fühlen sich derzeit wohl ein wenig wie 400-Meter-Hürden-Läufer. Weil das EU-Parlament im Frühjahr auseinanderläuft, haben die Regierungschefs extrem ehrgeizige Fristen für die drei Bausteine der Bankenunion gesetzt – für gemeinsame Aufsicht, einheitlichen Abwicklungsmechanismus und abgestimmte nationale Einlagensicherungssysteme. Deshalb hatten die Minister gestern gar keine Zeit, sich lange damit aufzuhalten, den Abschluss der ersten Teiletappe zu feiern. Ganz im Gegenteil: Sie waren, kaum dass sie ein Thema abgehakt hatten, umgehend beschäftigt, sich heftig über das nächste zu zanken.Kurzum: Alle Beteiligten wollen nach der gemeinsamen Erfahrung der Finanzkrise zwar eine generelle Korrektur des Rechtsrahmens, in dem sich Banken in Europa bewegen. Sie sollen besser kapitalisiert und effektiver beaufsichtigt sein und im Ernstfall schonend entsorgt werden können, ohne Kleinsparer zu enteignen. Aber es gibt eben ganz unterschiedliche Ausgangspunkte und somit widerstreitende Interessen. Der Süden erfindet stets neue Sicherungen, letztlich auf das Risiko des Steuerzahlers, um die Investoren nicht zu verschrecken, die den Staaten des Club Med Kredit gewähren. Diesen potenziellen Rückgriff auf Staatsgeld wiederum versucht der Norden zu verhindern, indem vielmehr Aktionäre, Gläubiger und die Bankbranche zur Kasse gebeten werden sollen. Die aktuellen Debatten – über Auffanglösungen, direkte Kapitalisierung oder ESM-Kreditlinien – spiegeln alle diesen Kampf der Interessen wider.Vieles spricht dafür, dass der regulatorische Dauersprint anstrengend und mühsam bleibt – und die Hürden, zumindest aus Sicht der Athleten, zum Ende hin immer höher werden. Trotzdem beweist der gestrige Tag aber auch, dass das Vorhaben Schritt für Schritt vorankommt. Das lässt die Prognose zu: Die Bankenunion wird am Ende mindestens eine Nummer kleiner ausfallen, als es sich die EU-Kommission vorgestellt hat – gut so. Und sie wird wesentlich komplizierter und mit mehr Ausnahmeregeln versehen sein, als es sich alle gewünscht haben – schlecht so. Aber sie wird, das ist die Botschaft von gestern, wohl tatsächlich kommen.