IM BLICKFELD

5,83 Euro für mehr Finanzmarktstabilität

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 16.3.2017 Am Ende, wenn die Hoffnung fast erloschen ist und auch die Verbände schon längst nicht mehr weiterwissen, bleibt nur noch ein Appell an den zuständigen Minister in Berlin. Oder gleich an die...

5,83 Euro für mehr Finanzmarktstabilität

Von Andreas Heitker, BrüsselAm Ende, wenn die Hoffnung fast erloschen ist und auch die Verbände schon längst nicht mehr weiterwissen, bleibt nur noch ein Appell an den zuständigen Minister in Berlin. Oder gleich an die Kanzlerin. Für Angela Merkel entschied sich im Herbst zum Beispiel der Vorstand einer Raiffeisenbank aus Baden-Württemberg. Bilanzsumme gerade einmal 50 Mill. Euro. Die Heimatgemeinde hat kaum 2 000 Einwohner. “Wenn bestehendes Recht dazu führt, dass Banken nicht mehr überleben können, dann ist das Recht Unrecht”, hieß es frustriert in dem Schreiben an die Bundeskanzlerin, in das die Börsen-Zeitung Einblick hatte. “Regulierungsmaschinerie”Der Regulierungsdruck seit der Finanzkrise führt mittlerweile zu echten Existenzängsten bei kleinen deutschen Instituten – bei Genossenschaftsbanken, bei Sparkassen, die sich für die Krise mit in Geiselhaft genommen sehen. Von einer “Regulierungsmaschinerie, die unaufhörlich Verordnung auf Verordnung produziert und den Banken Beschränkung auf Beschränkung auferlegt”, sprach auf der letzten Generalversammlung sogar der Chef der Bank für Kirche und Caritas, Richard Böger. Bereits heute steht die Regulierung in dem Paderborner Institut für 21 % der Kosten. Tendenz steigend.Laut einer neuen Studie der Beratungsfirma zeb werden die 50 größten Banken Europas bis 2021 regulierungsbedingt (Stichworte: Mifid, MREL, Basel III und IV) noch etwa ein Drittel ihrer Eigenkapitalrendite verlieren. Für die kleinere Konkurrenz bedeutet dies nichts Gutes. Bereits 2015 hat eine Studie des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) deutlich gezeigt, dass durchschnittliche Regulierungskosten bezogen auf die Bilanzsumme bei kleinen Instituten oft um ein Vielfaches höher liegen. Erstmals spiele Größe eine Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg, bestätigen die Sparkassen.Auch Wolfgang Schäuble erhält Briefe. “Lieber Herr Finanzminister, macht das wirklich Sinn?”, fragte etwa vor einiger Zeit der Vorstand einer oberfränkischen Raiffeisenbank und legte gleich ein Beispiel aus dem eigenen Haus dazu, welche Blüten mittlerweile die Bürokratie so treibt: Mit dem Sammeln von Daten für das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz sei eine Mitarbeiterin mehrere Stunden beschäftigt. Es folge der Check durch die Innenrevision und den Prüfungsverbund. Die Bundesanstalt FMSA verschicke dann irgendwann den Jahresbescheid. Höhe der zuletzt verlangten Umlage: 5,83 Euro. Dem stünden gegenüber: Hunderte Euro Personalkosten plus die Kosten der beteiligten Behörden. “Glauben Sie, dass diese Vorgehensweise zur Stabilisierung der Finanzmärkte beiträgt?”, wird Schäuble gefragt.Es sind diese Beispiele, die manchmal arg an Schildbürgerstreiche erinnern, die die Banker zur Verzweiflung treiben und den Glauben an die Notwendigkeit der Finanzmarktregulierung erschüttern. Auch Sven Giegold kennt solche Fälle zur Genüge. Der Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament hatte im Herbst einen Vorstoß für eine stärkere Bündelung der Regulierung angekündigt und die Finanzbranche aufgefordert, ihm mitzuteilen, wo genau der Schuh beim Thema Proportionalität drücke. Fehlende ProportionalitätMehr als 300 Hinweise zu Vorschriften und zur Aufsichtspraxis hat er erhalten. Viele seien “absolut hanebüchen”, sagt der Finanzexperte und verweist auf ein Foto mit einem 600-Seiten-Papierstapel. Es zeigt den bürokratischen Aufwand einer einfachen Baufinanzierung über mehrere KfW-Darlehen. “Anstatt die Banken mit unnötiger Bürokratie zu gängeln, müssen wir das Finanzsystem stabiler machen.”Fehlende Vorbereitungszeit, Dopplungen, schlechte Abstimmung zwischen den Behörden – es sind immer wieder die gleichen Klagen, die Giegold zu hören bekam. Beispiel Liquiditätsmeldungen: Die Banken müssen hier mittlerweile die ALMM (Additional Liquidity Monitoring Metrics), die LiqV (Liquiditätsverordnung), die LCR (Liquidity Coverage Ratio) und den NSFR (Net Stable Funding Ratio) beachten. 2016 mussten sie zeitweise drei verschiedene Liquiditätskennzahlen überwachen, wie eine rheinische Sparkasse monierte. Andere verweisen darauf, dass die Aufsicht gültige LCR-Meldeformulare erst mit einem Jahr Verspätung bereitgestellt hat. Die bis Ende September monatlich gemeldeten Zahlen stimmten eigentlich nicht. Gemeldet wurde trotzdem.Etablierung eines Liquiditätskostenverrechnungssystems, wie es der Bankenverband EBA fordert? Für kleine Häuser ohne Zugang zum Geld- und Kapitalmarkt “überflüssig”. Um die LCR-Quote erfüllen zu können, müssten zudem Papiere vorgehalten werden, die faktisch keine oder sogar eine negative Rendite aufwiesen, heißt es in den Antworten. Die Rede ist auch von einer “Selbstbefriedigung” der Behörden.Es ist nicht nur das ausufernde Meldewesen – in dem die Liquiditätsberichte ja nur einer von vielen Punkten sind -, das zunehmend für Ärger sorgt, sondern es sind die Eingriffe in fast alle operativen Bereiche. Allein die EBA hat in den vergangenen fünf Jahren 125 neue technische Standards und 60 Guidelines veröffentlicht. Die Folgen sind zum Teil trivial: Es müssen neue, teure Telefonanlagen angeschafft werden. Zutritte zum Handelsraum müssen protokolliert, gespeichert, archiviert werden – damit sich in der Sparkasse oder der Volksbank um die Ecke nicht der gleiche Betrugsskandal ereignet wie bei einer Großbank in Frankreich oder Frankfurt.Die Klagen über fehlende Proportionalität scheinen in der Politik aber mittlerweile angekommen zu sein. Forderungen nach einer “small and simple banking box” erhalten quer durch die Parteienlandschaft Beifall. Auch die EU-Kommission hatte sich das Thema bei der im November präsentierten Neufassung der Kapitalrichtlinie auf die Fahnen geschrieben und entschärfte Vorschriften unter anderem beim Reporting und den Vergütungsregeln angekündigt. Nächste Ausfahrt G 20Das Problem: Für Brüssel ist eine “kleine Bank” eine mit einer Bilanzsumme von unter 1,5 Mrd. Euro. Die durchschnittliche Bilanzsumme deutscher Sparkassen ist aber mehr als doppelt so groß. “Die Kommission springt zu kurz mit ihren Vorschlägen, lediglich die Frequenz und den Detailgrad des Bankmeldewesens für kleine Institute zu reduzieren”, kritisiert auch Giegold, der ein EU-einheitliches konsolidiertes Meldeverfahren fordert – “ohne Duplizierungen, Überschneidungen und nationale Sonderabfragen”.Finanzminister Schäuble sieht bei dem neuen Regulierungspaket ebenfalls noch Nachbesserungsbedarf. Er will dem Thema Proportionalität in der Regulierung jetzt auch auf internationaler Ebene mehr Gewicht geben – vor allem im Zuge der aktuellen G 20-Präsidentschaft. Beim anstehenden Gipfel in Baden-Baden wäre eine gute Gelegenheit dazu.