Abschied von der Jobbeschreibung

Ein neues Tarifsystem soll die Volks- und Raiffeisenbanken fit machen für die Digitalisierung

Abschied von der Jobbeschreibung

Die Kreditgenossen versuchen die Weichen für künftigen Wandel zu stellen. Statt kleinteiliger Tätigkeitsbeschreibungen sind künftig Qualifikation, Entscheidungsspielraum und Verantwortung maßgeblich für die tarifliche Eingruppierung. Wer mehr als 76 500 Euro im Jahr verdient, fällt aus dem Tarifvertrag. Von Anna Sleegers, FrankfurtMit dem jüngsten Tarifabschluss haben die 850 Volks- und Raiffeisenbanken sich auch ein neues Tarifsystem gegeben, das vom 1. Januar 2020 für alle Neueinstellungen gilt. Der Modernisierung sind die bislang für die tarifliche Eingruppierung maßgeblichen Tätigkeitsbeschreibungen zum Opfer gefallen – sie stammten aus den 1960er und 1970er Jahren und hätten mit der heutigen Arbeitswelt nicht mehr viel zu tun gehabt, heißt es von Arbeitgeberseite.Künftig sollen für die Eingruppierung die drei Kriterien Ausbildung und Qualifikation, Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum sowie Verantwortung maßgeblich sein. Angesichts des rasanten Wandels der Arbeitswelt durch die Digitalisierung sei es ein Anliegen der Arbeitgeber gewesen, die Eingruppierungsmerkmale zu modernisieren und zukunftsfest zu machen, sagte Ralph Kaufhold vom Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (AVR).Das bisherige System, das noch aus den Zeiten der Tarifgemeinschaft mit den privaten Banken stammt, trägt eine hierarchische Handschrift, indem es etwa der Zahl der Berufsjahre großen Stellenwert einräumt. Führung wird hier als Teil der tariflichen Eingruppierung verstanden und war unmittelbar mit dem Aufstieg in die Tarifgruppe 5 (von insgesamt 9) verknüpft. Das neue System basiert dagegen auf den Kategorien A,B und C. Sie sind in je drei Vergütungsgruppen unterteilt und orientieren sich an der Berufserfahrung, der Qualifikation und der Verantwortung. Führungsaufgaben sind in allen drei Kategorien vorgesehen. Kategorie A umfasst laut neuer Vergütungsordnung “vorgabeorientiertes Arbeiten”. Darunter werden Tätigkeiten verstanden, die keine branchenspezifische Qualifikation brauchen und daher besonders leicht ausgelagert oder automatisiert werden können. Der Konflikt um den tariflichen Schutz dieser Arbeitnehmer gegen die Folgen der Digitalisierung war einer der Gründe dafür, dass sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit dem AVR derart überwarf, dass sie bei den Verhandlungen um den jüngsten Abschluss und das neue Tarifsystem nicht mit am Tisch saß, obwohl sie insbesondere bei der DZ Bank viele Mitglieder hat.Kategorie B der mit den Konkurrenzgewerkschaften DBV und DHV ausgehandelten Vergütungsordnung bezeichnet “Arbeiten auf Grundlage von Aufgaben und Standardprozessen mit beschränktem Entscheidungsspielraum”. Karrieren also, die üblicherweise mit einer Banklehre beginnen. Die Kategorie C umfassen die sogenannten Fachkarrieren, die in der Regel Akademikern vorbehalten sind.Zusätzlich wurde ein Zulagensystem vereinbart, das auch für Beschäftigte nach dem alten Tarifsystem gilt. “Die neuen Zulagen für fachliche Leitung und Führung können nun in allen Vergütungsgruppe zum Tragen kommen”, erläutert Kaufhold. Die Zulage für die fachliche Leitung liegt je nach Aufgabe und Eingruppierung zwischen 107 und 181 Euro im Monat. Für Führungsaufgaben gibt es bis zu 363 Euro im Monat extra. Experten mit Führungsaufgaben erhalten bis zu 453 Euro zusätzlich.Eine weitere Neuerung ist die Einführung einer Obergrenze für den Geltungsbereich des Tarifvertrags. Beschäftigte, die mehr als 20 % der höchsten Gehaltsstufe verdienen, fallen künftig aus dem Tarifvertrag. Nach AVR-Angaben gehören damit alle Beschäftigten mit einem Jahresgehalt von mehr als 76 500 Euro dem außertariflichen Bereich an.Selbst die nicht gerade als schärfster Gegner der Arbeitgeber geltende Gewerkschaft DHV bezeichnet diese Regelung als “Zugeständnis”. Auf Gewerkschaftsseite wird gerne behauptet, dass der Aufstieg in den außertariflichen Bereich mit dem Verlust von tariflichen Errungenschaften einhergeht, zum Beispiel bei der in den meisten Tarifverträgen über den gesetzlichen Bestimmungen liegenden Zahl der Urlaubstage. Wie häufig das der Fall ist und wie oft womöglich noch arbeitnehmerfreundlichere Regelungen individuell vereinbart werden, ist naturgemäß nicht dokumentiert.