GASTBEITRAG

America First - auch für Gläubiger von Großbanken?

Börsen-Zeitung, 19.10.2019 Um Banken krisenfester zu machen, wird auch in Europa über Ring-Fencing (Abschirmung) diskutiert. Dabei unterscheidet man vermeintlich "stabiles beziehungsweise risikoarmes" Geschäft von "volatilen beziehungsweise...

America First - auch für Gläubiger von Großbanken?

Um Banken krisenfester zu machen, wird auch in Europa über Ring-Fencing (Abschirmung) diskutiert. Dabei unterscheidet man vermeintlich “stabiles beziehungsweise risikoarmes” Geschäft von “volatilen beziehungsweise riskanten” Aktivitäten einer Bank. Als schützenswert gilt gemeinhin das Kredit- und Einlagengeschäft im Massenmarkt mit Privatkunden sowie kleinen und mittleren Unternehmen. Als risikoträchtig gilt das Kapitalmarktgeschäft. Der risikoarme Teil des Konzerns wird rechtlich, organisatorisch und operational abgeschirmt, falls anderweitig im Konzern Probleme auftreten.Solch ein Ring-Fencing wurde in Europa nur in der Schweiz und Großbritannien umgesetzt. Für Gläubiger großer europäischer Banken droht aber ein problematischeres Ring-Fencing. Dieses wird nicht als solches plakatiert und im jeweiligen europäischen Heimatland gesetzlich beschlossen. Es schneidet aber die Gläubiger etwa einer Deutschen Bank oder Barclays in einer Krise effektiv von im Konzern vorhandenen Reserven ab.Denn in den USA verlangen Federal Reserve Board und Federal Deposit Insurance, die US-Intermediary Holding Companies (IHCs) und US-Tochterbanken ausländischer Bankgruppen in vollem Umfang selbst zu regulieren und zu überwachen. Ob ihr Leistungsausweis als Bankenaufsicht genügt, diesen Anspruch zu rechtfertigen, können wir nicht sagen. Die IHCs müssen jedenfalls jederzeit komfortabel mit eigenem Kapital, eigener Refinanzierung, eigener Liquidität und eigenem Sanierungsplan ausgestattet sein. Mehr Ressourcen gefordertDie Sanierungspläne der IHCs sehen vor, dass eine IHC unabhängig vom Rest des Konzerns abwickelbar sein muss. Sie müssen daher ausreichend Ressourcen für die Gläubiger der US-Rechtseinheit zur Verfügung stellen. Ebenso vorsichtig wie mächtig fordern die US-Behörden für die IHCs Kapitalressourcen, die proportional erheblich größer sind als im Rest des Konzerns oder als für heimische US-Banken.Für gleiche Risiken wird bei IHCs mehr Kapital hinterlegt als bei der Muttergesellschaft. Extremes Beispiel ist Credit Suisse, die 43 % ihres harten Kernkapitals in den USA parken muss, dort aber nur 22 % ihrer risikogewichteten Aktiva hält. Ihre harte Kernkapitalquote in den USA ist fast doppelt so hoch wie die im Konzern. Die IHC der Deutschen Bank bindet fast ein Viertel ihres harten Kernkapitals. Das ist faktisches Ring-Fencing – zulasten des restlichen Konzerns und seiner Gläubiger und im Widerspruch zum im Heimatland festgelegten Abwicklungsansatz.Europäische Banken wie Barclays, Deutsche Bank, BNP Paribas, Credit Suisse und UBS haben sich mit ihrer nationalen Aufsicht auf Abwicklungspläne für Bail-ins über “Single Point of Entry” (SPE) verständigt. SPE funktioniert in der Theorie so, dass die Bankenaufsicht über Sanierungs- und Abwicklungsmaßnahmen entscheidet und die Sanierung etwa auf Ebene der Deutschen Bank in Deutschland, der BNP Paribas in Frankreich bzw. der Gruppenholdinggesellschaften für Großbanken aus der Schweiz oder Großbritannien stattfindet.Solche Maßnahmen träfen jedoch allein die Muttergesellschaft sowie deren Aktionäre und nachrangigen Gläubiger – unabhängig davon, welches Konzernunternehmen letztlich das Problem verursacht hätte. Die Tochterbanken blieben im Wesentlichen unberührt, so die Vorstellung. Ihre Sanierung würde, falls nötig, gruppenintern seitens der Konzernmutter durch Kapitalerhöhungen oder die Gewährung von Liquidität und nachrangigen Darlehen bewerkstelligt. Im Gegenzug hätte die Mutter entsprechende Abschreibungen auf Goodwill, Beteiligungsbuchwerte und Darlehen vorzunehmen. Blick auf Konzern ist zu engEntscheidend für Investoren in europäischen Großbanken und für uns als unabhängige Kreditanalysten ist jedoch: Hohe Beträge an Kapital und Liquidität des Bankkonzerns stecken in den US-Töchtern dieser Konzerne fest. Gibt es jetzt andernorts Probleme, stehen ebendiese nicht zur Verfügung, sondern nur die nichtamerikanischen Teile des Konzernkapitals und der Konzernliquidität. Nur sie können dann für interne wie für von der Aufsicht auferlegte Sanierungsmaßnahmen herangezogen werden. Der SPE-Abwicklungsansatz wäre durch diese bei global aktiven Großbanken häufig anzutreffende Konstellation hinfällig.Damit ist klar: Der Blick auf die Konzernzahlen reicht aus Gläubigersicht nicht mehr aus, um ein verlässliches Bild von Risiko und Bonität einer Bankengruppe zu gewinnen. Auch der mitunter ernüchternde Blick in die Einzelabschlüsse der Konzernmuttergesellschaft und der wichtigsten operativen Beteiligungen ist unabdingbar, nicht nur für AT1-Instrumente, sondern auch für Tier 2 und Senior-Non-Preferred-Anleihen. Nur so lässt sich abschätzen, was wirklich an Ressourcen verfügbar ist, wenn es einmal hart auf hart kommt.Die großen Ratingagenturen ficht das nicht an. Ungerührt unterstellen sie stabile Passiva-Strukturen der Bilanz und berechnen unverzagt über diese Hindernisse hinweg künftige Sanierungsabläufe. Unterschiedliche Aufsichts- und Abwicklungsbehörden, deren nationale Autonomie sowie faktisches Ring-Fencing werden ignoriert. Das Resultat sind hohe Ratings für unbesicherte Verbindlichkeiten, weit über dem, was die fundamentale Kreditwürdigkeit der betroffenen Bank rechtfertigen würde. Veteranen im Ratinggeschäft erinnert diese Ratingmechanik an das “AAA” isländischer Banken vor der Finanzkrise.Ohne große Fantasie: Faktisches Ring-Fencing kann von den USA schnell auch auf andere große Finanzzentren übergreifen, so etwa London nach dem Brexit. Wer wird die Verantwortung für übergeordnete Interessen bei Bankengruppen wahrnehmen, die große Teile ihres Geschäfts in Dublin, Frankfurt, London, Singapur oder New York verbuchen? Wer wird vor Ort verfügbares Kapital und Liquidität in den gemeinsamen SPE-Topf geben, sofern damit Verluste für lokale Geldmarkt-, Derivate- oder Clearing-Gegenparteien und Anleihegläubiger verbunden sind? Wer kann als nationale oder supranationale Aufsichtsinstanz vertrauenswürdig beanspruchen, der Aufgabe einer möglichen Abwicklung gewachsen zu sein und Partikularinteressen zu widerstehen?So ernüchternd es ist: Neben makroökonomischen und bankspezifischen Risiken stellen regulatorische Unwägbarkeiten – arbiträre Anwendungspraxis, ein Übermaß an Komplexität und Ambition, aber auch weiter zu beobachtende Nonchalance – für Anleger in Bankschuldverschreibungen inzwischen ein erhebliches Risiko dar. Die faktische Schlechterstellung der Gläubiger macht eine sorgfältige Analyse unabdingbar, sollen böse Überraschungen ausbleiben und Risiken adäquat entschädigt werden. Michael Dawson-Kropf, Senior Credit Analyst Independent Credit View und Guido Versondert, Senior Credit Analyst Independent Credit View