Angriff aufs Rating-Oligopol fällt aus
Von Bernd Neubacher, FrankfurtWird im Zuge des grünen Wandels gelingen, was selbst die säkulare Finanzkrise nicht geschafft hat: das Oligopol der großen Ratingagenturen aufzubrechen? Die epochalen Erschütterungen der Finanzkrise samt anschließender Staatsschuldenkrise in Europa, die Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch mit Persilscheinen für zweifelhafte Subprime-Papiere im vergangenen Jahrzehnt befeuert hatten, haben die drei Rating-Giganten unbeschadet überstanden. Nun sind ihnen neue Konkurrenten auf einem Spielfeld entstanden, das ihnen bisher fremd gewesen ist: nicht Bonitäts-, sondern Nachhaltigkeitsrisiken sollen nun bewertet sein.Immerhin sind Spieler wie Oekom, Sustainalytics, CDP oder Imug von der Vergangenheit unbelastet auf den Plan getreten, ohne großen Kostenapparat, aber mit einem Vorsprung in Sachen Nachhaltigkeit gegenüber den Platzhirschen. “Die drei großen Ratingagenturen haben den Trend zur Nachhaltigkeit verschlafen”, lautet die Einschätzung bei einem größeren Emittenten aus der Finanzdienstleistungsbranche. “Die waren in ihrer US-Blase gefangen und haben lange nicht mitbekommen, was in Europa geschah.”Wie sich Nachhaltigkeitsrisiken auswirken können, hat spätestens die Pleite von Pacific Gas and Electric (PG&E) gezeigt. Nach den Waldbränden in Kalifornien, ausgelöst durch einen defekten Strommast von PG&E, musste der US-Energieversorger Ende Januar angesichts potenzieller Schadenersatzforderungen von rund 30 Mrd. Dollar Gläubigerschutz beantragen – zu Beginn des abgelaufenen Jahres hatte die Gesellschaft noch mit Investment-Grade-Bonitätsnoten aller drei Rating-Riesen geglänzt. Der Markt wächst raschTatsächlich ist der Angriff aufs Rating-Oligopol abgeblasen, bevor er so recht begonnen hat. Denn die Großen reagieren, wie man es von Marktführern, die angesichts eines neuen Trends nicht mehr auf der Höhe sind, erwarten darf: Sie kaufen sich die neuen Wettbewerber. So zählt die Ratingagentur Scope in einer Aufstellung für die Börsen-Zeitung elf Übernahmen von Nachhaltigkeitsratingagenturen und verwandter Dienstleister in den zurückliegenden zehn Jahren (s. Tabelle).Bei Marktbeobachtern wird prophezeit, dass sich die Konzentration im Segment Environment Social Governance (ESG), also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, fortsetzen wird. Der Markt wächst rasch: Die Ausgaben für ESG-Daten, entsprechende Informationen und Indizes wird laut Schätzung des Research-Hauses Opimas von 505 Mill. Dollar im Jahre 2018 bis 2020 auf 745 Mill. Dollar zulegen. Zum Vergleich: Moody’s nahm 2018 mit ihren Ratings 2,7 Mrd. Dollar ein.Kurioser Effekt der Übernahmewelle: Die Dominanz der angelsächsischen Ratingagenturen wird zementiert. Zwar haben alle ESG-Datenanbieter am deutschen Markt “nach unserer Kenntnis ihren Ursprung in Europa”, wie Scope konstatiert. “Im Zuge der Konsolidierung befindet sich heute jedoch bereits der Großteil der Anbieter in US-amerikanischer Hand.” Die schweizerischen Anbieter Reprisk und Inrate sowie Frankreichs Qivalio bestätigen als Ausnahmen die Regel.Etwaige Hoffnungen, im Zuge des grünen Wandels könnten sich europäische Häuser als Rating-Anbieter etablieren, sind damit, sechs Jahre nach Ende der kurzlebigen Europäischen Ratingagentur ERA, abermals zerstoben. Was von entsprechenden Bemühungen bleibt, ist neben der Neusser Creditreform Rating die seit 2012 am Markt für Kredit-Ratings präsente Scope-Gruppe. Diese schreibt gleichwohl noch rote Zahlen und kämpft um eine Anerkennung ihrer Ratings durch die Europäische Zentralbank. Derzeit bescheinigt die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA Scope einen Marktanteil von 0,49 % nach 0,28 % 2018.Auf welchen Marktanteil die Nachhaltigkeitsratings verteilenden Gesellschaften kommen, bleibt derweil diffus. Die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA verweist auf Anfrage auf die in Paris ansässige European Association of Credit Rating Agencies (EACRA), die sich indes in Schweigen hüllt. Ein Problem: Die neuen Anbieter agieren noch vollkommen unreguliert. Unter den 45 bei der EU-Wertpapieraufsichtsbehörde European Securities and Markets Association (ESMA) für die EU registrierten Bonitätsunternehmen findet sich mit Qivalio nur eine Nachhaltigkeits-Ratingagentur. Der kürzlich von Moody’s übernommene ESG-Dienstleistungs- und Datenanbieter Vigeo Eiris hat sich seinen Nachhaltigkeitsratingprozess gleichwohl nach ISO 9001 zertifizieren lassen. Kraut und RübenDie inzwischen von ISS aufgekaufte Oekom plant keine Zulassung durch die ESMA, wie die nun unter “ISS ESG” firmierende Gesellschaft auf Anfrage mitteilt. Argument: Die ESMA selbst habe jüngst eine Überarbeitung der auf die Agenturen gemünzten EU-Verordnung, der zufolge ESG-Kriterien in Kredit-Ratings einfließen müssten, abgelehnt. Sustainalytics wiederum schaut sich in dieser Angelegenheit “noch alle Komponenten an”, wie es dort heißt.Die Abwesenheit von Regulierung hat, neben einer uneinheitlichen Datenlage, unterdessen dazu geführt, dass im Feld der nachhaltigen Ratingagenturen Kraut und Rüben herrschen. Dies hat jüngst das Flossbach von Storch Research Institute mit einem Vergleich der ESG-Bewertungen durch die Rating-Anbieter MSCI ESG Ratings, Sustainalytics und RobecoSAM anschaulich zutage gefördert: “Während die Volkswagen AG beim Rating-Anbieter MSCI ESG auf 0 Punkte und bei Sustainalytics zuletzt nur auf etwa 19 Punkte kam (wobei 100 Punkte den bestmöglichen Punktwert darstellen), bewertete RobecoSAM die ESG-Performance von Volkswagen mit 65 Punkten”, heißt es darin etwa. Insgesamt betrügen die Korrelationskoeffizienten zwischen den Bewertungen von MSCI ESG und den Einschätzungen von Sustainalytics sowie RobecoSAM gerade einmal 0,54 bzw. 0,46.Für Nutzer von Ratings sei eine solche Vielfalt grundsätzlich positiv, da sie sich somit die für sie passende Agentur aussuchen könnten, heißt es bei einem Emittenten. So dürften kirchliche Stiftungen auf Ratings der entsprechende Werte akzentuierenden früheren Oekom zurückgreifen. Auch dürften sie sich auf eine Agentur festlegen, um deren Bewertungen möglichst automatisiert in ihre Prozesse einfließen lassen zu können.Zugleich liegt allerdings auf der Hand, dass ein buntes Durcheinander von Nachhaltigkeitseinstufungen aus Sicht der Regulierer auf Dauer kein Zustand sein kann, wenn Investoren ihre Anlageentscheidungen künftig stärker an diesen Ratings ausrichten sollen. Zu einer Pflicht zur Registrierung etwa bei der ESMA muss es dabei nicht unbedingt kommen. Normative, auf Prinzipien und Grundsätzen beruhende Rahmenwerke wie ISO-Standards oder OECD-Richtlinien werden per EU-Richtlinie bereits für Unternehmen als “Best Practice” für die Berichterstattung zu Nachhaltigkeit anerkannt, wie Martina Macpherson, Senior Vice President Strategic Partnerships & Engagement ESG bei Moody’s, der Börsen-Zeitung sagt: “Aller Voraussicht nach werden wir ein ähnliches EU-Mandat für auf Nachhaltigkeit spezialisierte Ratingagenturen erleben – im Hinblick auf die Einhaltung normativer bzw. regulatorischer Standards”, prognostiziert sie. Im Falle der Kredit-Ratingagenturen arbeitet die ESMA im Zuge des EU-Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen schon an ESG-Vorgaben. Die Hürden erhöhen sichWie S&P will auch Moody’s ihre Nachhaltigkeits-Ratings einstweilen von herkömmlichen Bonitätsbewertungen trennen, auch wenn etwa bei Moody’s ESG-Kriterien in die Noten einfließen sollen, soweit diese bonitätsrelevant sind: Zum einen locken auf diese Weise höhere Erträge als im Falle einer Kombination beider Ratings. Zum anderen hat es Sinn, dürfte eine Zusammenführung der Bewertungen die Bonitätswächter doch leicht vor Probleme stellen, wie das Beispiel des Automobilherstellers Tesla zeigt: In ökologischer Hinsicht schneidet das Unternehmen sicher blendend ab – mit Blick auf die operative Ertragskraft und den Cash-flow hingegen dürften risikoscheue Investoren Reißaus nehmen.Eine Kombination beider Ratings würde zudem der Datenlage kaum gerecht. “Auch die EU-Taxonomie kann nicht das Informationsproblem lösen, vor dem die Finanzwirtschaft steht”, gibt Scope zu bedenken: “Wie messen wir in Zukunft nachhaltiges Wirtschaften?” Informationen zu den Kosten nicht-nachhaltigen Wirtschaftens seien “derzeit noch nicht vollständig messbar”.Fest steht: Jede Regulierung kommt vor allem den Platzhirschen zugute, da sie kleinen Wettbewerbern überproportional hohe Kosten aufbürden und die Markteintrittshürden erhöhen wird. “Regulierte juristische Personen” hätten unter Umständen einen Vorsprung, meint Moody’s-Managerin Macpherson denn auch. Es bleibt beim Oligopol.