IM INTERVIEW: CAROLYN ROGERS

"Arbeit an Basel-III-Reformen abgeschlossen"

Generalsekretärin spricht über Agenda des Baseler Ausschusses und erwartet neue Debatte über Verquickung von Staaten und Banken

"Arbeit an Basel-III-Reformen abgeschlossen"

Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht widmet sich nach dem Ende der Regulierungsreformen infolge der Finanzkrise prioritär Digitalisierung, der Widerstandsfähigkeit von Banken und Nachhaltigkeitsrisiken. Generalsekretärin Carolyn Rogers wendet sich gegen eine regulatorische Bevorzugung grüner Assets. Frau Rogers, die Group of Central Bank Governors and Heads of Supervision, GHOS, hat kürzlich ein “klares Ende” der Basel-III-Politikagenda nach der globalen Finanzkrise ausgerufen. Was bedeutet dieser Wendepunkt für die Zukunft?Das kürzlich stattgefundene Treffen, das Sie ansprechen, fand fast drei Jahre nach dem GHOS-Treffen 2017 statt, an dem die Finalisierung der Basel-III-Reformen verkündet wurde. Und das war fast ein Jahrzehnt nach Beginn der Finanzkrise. Damals, 2017, gab es noch einige wenige ausstehende Details, die finalisiert werden mussten, zum Beispiel die endgültigen Überarbeitungen des Marktrisiko-Rahmenwerks. Auch diese sind nun abgeschlossen worden. Was GHOS jetzt sagt, ist, dass Banken und Gesetzgeber nicht abwarten und weitere Feinabstimmungen oder Rekalibrierungen der Basel-III-Reformen erwarten sollten. Vielmehr beabsichtigt GHOS, die Sicherheit zu bieten, die von ihnen verlangt wird, so dass sie nun ihre Umsetzungspläne vorantreiben können. Was verbleibt dem Baseler Ausschuss zu tun?Die verbleibende Arbeit des Ausschusses im Zusammenhang mit Basel III wird sich auf die Überwachung der Umsetzung und Beständigkeit der Standards durch unser Regulatory Consistency Assessment Programme sowie auf den Abschluss einer evidenzbasierten Bewertung der Wirksamkeit dieser Reformen konzentrieren einschließlich der Lehren, die wir aus der aktuellen Krise ziehen. Und wir haben eine spezielle Task Force eingerichtet, die sich auf diese Arbeit konzentriert. Natürlich werden wir, wie immer, während unserer Evaluierungsarbeit aufgeschlossen bleiben. Wenn wir überzeugende Anzeichen für die Notwendigkeit von Änderungen an den Reformen finden, werden wir natürlich darauf reagieren und als Teil der Evaluierungsarbeit öffentlich konsultieren. Denken Sie also, dass die Regulierung ihren Höhepunkt erreicht hat?Die Botschaft, welche die GHOS sendet, ist, dass wir die Arbeit an den Basel-III-Reformen abgeschlossen haben. Und dass die Banken und die jeweiligen Jurisdiktionen die Basel-III-Reformen in ihre eigenen Regeln im Rahmen ihres gesetzlichen Umfelds umsetzen müssen. Die endgültigen Reformen müssen vollständig und einheitlich innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens umgesetzt werden. Können wir davon ausgehen, dass die aufsichtsrechtlichen Erleichterungen im Zusammenhang mit Corona nur temporärer Natur sind und die Banken sich auf eine Rückkehr zur normalen Regulierung vorbereiten müssen?Ja, wenn man sich die Ankündigungen ansieht, die Aufsichtsbehörden weltweit zu den Anpassungen gemacht haben, dann haben sie diese alle als vorübergehend charakterisiert. Abhängig von der Entwicklung der Pandemie könnte es aber auch sein, dass sich die Finalisierung der Basel-III-Reformen um ein weiteres Jahr verzögert.Wie ich bereits sagte, der Baseler Ausschuss wird natürlich aufgeschlossen bleiben, während wir unsere Evaluierungsarbeit abschließen. Wir haben auch einen sehr strukturierten Ansatz, um die Auswirkungen der Covid-19-Krise auf den Bankensektor zu überwachen. Das Komitee trifft sich regelmäßig. Wir haben also einen regelmäßigen Austausch darüber, wie sich die Dinge entwickeln. Bislang hat der Ausschuss nicht festgestellt, dass weitere Maßnahmen oder weitere Verzögerungen notwendig sind. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir keine Notwendigkeit für weitere Verzögerungen. Wenn die Regulierung nach der Finanzkrise vorbei ist, was ist das nächste Thema – Nachhaltigkeit? Bislang hat die Öffentlichkeit nicht allzu viel vom Baseler Ausschuss zu diesem Thema gehört.Wir haben übrigens eine Task Force zu klimabedingten Finanzrisiken. Das ist einer der bedeutenderen Gründe, weshalb wir die Ankündigung gemacht haben, dass wir die Arbeit an den Basel-III-Reformen beenden werden. Als Governor Hernández de Cos Anfang 2019 seine Rolle als Vorsitzender des Baseler Ausschusses übernahm, initiierte er eine strategische Überprüfung, wie der Ausschuss organisiert war und vor allem, wo der Ausschuss seinen Schwerpunkt und seine Intention sah. Die Ergebnisse dieser Überprüfung waren Teil dessen, was die GHOS nun befürwortet und angekündigt hat. Sie beinhalten die Verlagerung des Fokus auf Themen wie strukturelle Trends im Bankensektor, die fortschreitende Digitalisierung und die Frage nach klimabedingten Finanzrisiken. Zu diesem Thema, insbesondere zur Nachhaltigkeit, hat der Ausschuss eine Task Force für klimabedingte Finanzrisiken eingerichtet. Was bewirkt sie?Wir schauen uns insbesondere die Übertragungskanäle an, also wie sich das Klimarisiko in Finanzrisiken überträgt und – spezifischer – in Risiken für Banken. Wir suchen auch nach Möglichkeiten, diese Risiken zu messen, und nach wirkungsvollen Aufsichtspraktiken, die dazu beitragen, klimabedingte finanzielle Risiken für Banken abzuschwächen. In Europa sind große Banken bereits verpflichtet, ESG-Faktoren in ihre Vergütungspolitik zu integrieren, während der Baseler Ausschuss nur eine Task Force eingerichtet hat und ein wenig hinterherzuhinken scheint. Liegt das daran, dass die Vereinigten Staaten solche Bemühungen in den vergangenen Jahren gedämpft haben, und wird sich das nach der Wahl in den USA ändern?Es freut mich zu hören, dass der gewählte US-Präsident über den Wert der globalen Zusammenarbeit spricht und er sich auf Klimarisiken konzentrieren will. Das ist ermutigend für die Welt. Ich möchte darauf hinweisen, dass die derzeitige Arbeitsgruppe des Ausschusses für klimabedingte Finanzrisiken von Kevin Stiroh von der Federal Reserve Bank of New York geleitet wird, der ein starker und lautstarker Verfechter der Notwendigkeit ist, klimabezogene Risiken anzugehen. Ich denke also nicht, dass der Baseler Ausschuss aufgehalten wird. Ich denke, er tut, was er immer getan hat, nämlich vorsichtig zu sein und nach quantitativen Belegen zu suchen. Die USA waren in den vergangenen Jahren wohl keine treibende Kraft im Baseler Ausschuss. Was erwarten Sie unter einem Präsidenten Joe Biden?Wir haben mit unseren US-Kollegen während der jetzigen Regierung sehr gut zusammengearbeitet, und wir erwarten, dass das so weitergeht. Ich denke, alle Aufseher, egal woher sie kommen, konzentrieren sich darauf, die Finanzstabilität zu bewahren, indem wir unsere Arbeit professionell und in neutraler Weise in allen Zyklen machen: Das gilt für Wirtschaftszyklen, Finanzzyklen und Wahlzyklen. Es spielt also keine Rolle, wer im Weißen Haus sitzt?Unsere US-Kollegen am Baseler Tisch arbeiten sehr professionell und sehr kooperativ mit uns. Unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. Sind Sie der Meinung, dass Aufsichts- und Regulierungsbehörden ethisch handeln sollten? Sollten sie zum Beispiel grüne Finanzierungen mittels niedrigerer Kapitalanforderungen bevorzugen?Dies sind meines Erachtens zwei verschiedene Fragen. Natürlich denke ich, dass Aufseher ethisch handeln sollten. Ich denke, wir sollten alle ethisch handeln, aber Ihre zweite Frage bezieht sich darauf, wie die Aufsichtsbehörden auf das Risiko des Klimawandels reagieren. Und die Aufgabe der Aufsichtsbehörden besteht darin, Risiken zu bewerten. Ich werde häufig gefragt, warum wir diese Frage des klimabezogenen Risikos für Banken nicht einfach dadurch lösen, dass wir unser Risikogewichte-System anpassen, indem braune Vermögenswerte bestraft und die Kapitalanforderungen für grüne Vermögenswerte gesenkt werden. Meiner Meinung nach wäre es bedauerlich, unsere Antwort auf die wichtige Frage des Klimarisikos auf eine einfache Anpassung der Risikogewichte zu beschränken. Und warum?Hierfür gibt es zwei Gründe. Der erste ist, dass eine solche Lösung eine weltweit vereinbarte Definition von grünen und braunen Vermögenswerten erfordern würde, und so weit sind wir noch nicht. Es gibt eine Menge guter Arbeit, auch hier in Europa, zu dieser Idee der Taxonomie und der Offenlegung, aber es ist noch ein weiter Weg, bis wir eine klare Definition haben, was ein grüner Vermögenswert und was ein brauner Vermögenswert ist. Zweitens, und das ist noch wichtiger, der Grund, weshalb ich denke, Risikogewichte anzupassen, ist nicht unbedingt der richtige Weg, um eine Lösung für das Klimarisiko zu finden, sondern ist der, dass Risikogewichte aus historischen Verlusten abgeleitet werden. Sie sind also ein rückwärtsgewandter Risikoindikator. Was schlagen Sie vor?Wenn wir über Klimarisiken nachdenken, ist es wichtiger, nach vorne zu schauen. Werkzeuge wie Stresstests sind zumindest im aktuellen Umfeld effektiver. Und in der Tat ist dies das Instrument, das die meisten Banken und Aufsichtsbehörden in Bezug auf das Klimarisiko derzeit einsetzen. Der Baseler Ausschuss fokussiert sich zunächst darauf, die Übertragungskanäle zu analysieren und wie sich das Klimarisiko in Risiken für Banken überträgt. Die Frage, was grüne und was braune Vermögenswerte sind, ist keine Frage, die sich idealerweise für den Baseler Ausschuss stellt. Es gibt viele andere internationale Gruppen, die sich darauf konzentrieren, eine klare Taxonomie für das Thema Klimarisiko und Vermögenswerte zu entwickeln. Wir würden diese Arbeit unterstützen. Wir denken, dass dies nicht nur für die Risikomessung notwendig ist, sondern vor allem für die Offenlegung. Wir sind also froh, dass diese Arbeit im Gange ist. Aber der Baseler Ausschuss wird sich weiterhin auf die Bereiche konzentrieren, die ich genannt habe. Während der Corona-Pandemie haben Cyberrisiken zugenommen. Ergibt sich daraus Handlungsbedarf für den Baseler Ausschuss?Cyberrisiken stehen seit Jahren ganz oben auf der Sorgenliste sowohl der Banken als auch ihrer Aufsichtsbehörden, schon lange vor der Pandemie. Aber es ist wahr, dass wir während der Pandemie einen Anstieg der Cybervorfälle gesehen haben. Cyber ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, wo eine globale und sektorübergreifende Koordination von entscheidender Bedeutung ist. Die potenziellen Ansteckungseffekte, die innerhalb von Grenzen oder über Grenzen hinweg auftreten können, unterstreichen die Bedeutung von internationaler Koordination und Zusammenarbeit. Es gibt viele Entwicklungen im Bankensektor wie Cloud Services, Robotic Process Automation, Blockchain, Artificial Intellligence. Können Sie uns die Prioritäten Ihrer Agenda nennen? Welche beschäftigen Sie mehr, und welche sind aus Ihrer Sicht weniger wichtig?Hier werden eine Menge Schlagwörter genannt. Wir machen uns viele Gedanken über diese Themen, über die verstärkte Digitalisierung und deren Auswirkung auf Banken und Finanzstabilität. Das sind wiederum Themen, die ein hohes Maß an globaler Zusammenarbeit erfordern. Zu vielen dieser Bereiche haben wir Publikationen veröffentlicht. Eine wichtige Veröffentlichung, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte, ist unser “Report on open banking and application programming interfaces (APIs)”, der im November 2019 erschienen ist. Erzählen Sie uns mehr.Open Banking und die gemeinsame Nutzung und das Hebeln von freigegebenen Kundendaten von Banken mit Drittentwicklern bringen viele Vorteile mit sich, sowohl aus Sicht der Verbraucher als auch aus Sicht des Wettbewerbs. Aber es bringt auch einige interessante und neue Herausforderungen mit sich, wie z.B. Risiken für Geschäftsmodelle, Disintermediation von Bankgeschäften, Reputationsrisiken und Fragen des Datenschutzes, der Cybersicherheit und des Risikomanagements bezüglich Drittanbietern. Dies sind die Arten von Risiken, denen sich der Ausschuss zuzuwenden beabsichtigt. Ein wichtiger Teil der Arbeit soll sich auf die operative Widerstandsfähigkeit der Banken und diejenigen Aufsichtspraktiken konzentrieren, welche diese Art von Widerstandsfähigkeit unterstützen. Werden diese Berichte eines Tages zu einem Rahmenwerk oder zu Richtlinien für die Aufsichtsbehörden führen?Ein sehr gutes Beispiel dafür sind die Principles for operational resilience, die wir in diesem Jahr veröffentlicht haben. In dieses Dokument sind einige der Erkenntnisse eingeflossen, die wir in anderen Studien gewonnen haben, die sich mehr auf Fintech oder Open Banking oder Cyber konzentrieren. Ich würde die Principles for operational resilience als ein Schlussstein-Dokument betrachten, das Überlegungen zu einer Vielzahl dieser Bereiche zusammenfasst. Gibt es auch eine Regelung für Kapitalanforderungen in Bezug auf Cyberrisiken?Das bestehende Baseler Rahmenwerk hat eine Methode zur Berechnung des Kapitals, die sich auf das operationelle Risiko bezieht. Die Aufsichtsbehörden haben bei der Finalisierung des Rahmenwerks von Basel III im Dezember 2017 nicht beschlossen, Staatsanleihen mit einem Risikogewicht zu versehen. Als Folge der Staatshilfen in der Covid-19-Krise wird der Banken-Staat-Nexus verstärkt. Was ist Ihre Vermutung: Wann wird es Risikogewichte für Staatsanleihen geben?Der Ausschuss ist der Ansicht, dass alle Forderungen an Staaten mit gewissen Risiken verbunden sind. Es gibt eine lange Geschichte von Staatspleiten, und Bankenkrisen waren oft staatlichen Notlagen vorausgegangen, gingen mit ihnen einher oder folgten ihnen. Der Ausschuss erkennt die umfassende Rolle an, die das Exposure gegenüber Staaten für das Liquiditätsmanagement der Banken, Geldpolitik und Fiskalpolitik spielt. Und nochmal, hier haben die vergangenen Monate gezeigt, wie wichtig diese Rolle ist. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass in vielen Ländern die Banken die Hauptinvestoren in Staatsanleihen sind. Die Frage ist also, wie man das prudentielle Risiko gegenüber diesen ganzheitlichen Überlegungen ausbalanciert. Was gedenken Sie zu tun?In unserem Diskussionspapier aus dem Jahr 2017 haben wir eine Reihe von Ideen vorgestellt, darunter die Festlegung positiver Risikogewichte für alle Forderungen gegenüber Staaten oder die Einführung marginaler Risikogewicht-Zuschläge, abhängig von der Konzentration solcher Exposures einer Bank. Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Konsens, Änderungen an der bestehenden regulatorischen Vorgehensweise vorzunehmen. Aber der Ausschuss hat sich darauf geeinigt, dass er dieses Thema im Laufe der Zeit erneut aufgreifen muss. Wir sammeln mehr Informationen, und ich rechne damit, dass die Covid-19-Krise eine weitere Diskussion auslösen wird. Der Ausschuss hat sich darauf geeinigt, dass dieses Thema spätestens Anfang 2022 wieder auf den Tisch kommen sollte. Besteht angesichts der Pandemie kein Handlungsbedarf vor 2022?Wir werden sehen. Der Ausschuss hat sich verpflichtet, dieses Thema spätestens Anfang 2022 wieder aufzugreifen. Wie mit allen Themen, sobald wichtige Änderungen oder Informationen auftauchen, die den Ausschuss veranlassen, darüber nachzudenken und zu entscheiden, dass er sich früher damit befassen muss, wird er die Möglichkeit haben, das zu tun. Das Interview führten Bernd Neubacher und Tobias Fischer.