Auf dem Weg in die digitale Kreislaufwirtschaft
Internationale Nachhaltigkeitsstrategien, EU-Energiesparziele oder deutsche Klimapolitik: Mit Blick auf diese Rahmenbedingungen sind auch die Anforderungen von Stakeholdern wie Kunden oder Kapitalgebern an unternehmerisches Handeln in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Gleichzeitig werden die regulatorischen Vorgaben immer umfassender und komplexer. Daher verwundert es nicht, dass Klimaschutz längst zum Wettbewerbsfaktor geworden ist. Der effiziente Umgang mit Ressourcen ist heute Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz von Unternehmen und Geschäftsmodellen – und somit auch für ihre Zukunftsfähigkeit.Die Relevanz des Themas manifestiert sich derzeit etwa an einem breiten öffentlichen Diskurs um Plastikmüll, Elektroschrott oder gestiegene Treibhausgase. Dies rückt zugleich mit großer Wucht das Konzept der Kreislaufwirtschaft (“Circular Economy”) in den Fokus, für deren Umsetzung die Europäische Kommission 2015 gesetzliche Rahmenbedingungen festgelegt hat. Im Gegensatz zum vorherrschenden Ansatz der Linearwirtschaft, die Rohstoffe in Produkten nach der Nutzungsdauer wegzuwerfen und zu entsorgen, geht es bei der Kreislaufwirtschaft darum, diese über die eigentliche Nutzung hinaus wiederzuverwerten und in einen technischen oder biologischen Kreislauf zurückzuführen.Darin steckt ein enormes wirtschaftliches Potenzial mit neuen Geschäftsfeldern, die sich im Bereich Produktverwendung und -wiederverwertung ergeben. Zudem limitiert sich der Begriff “Produkt” in diesem Zusammenhang nicht allein auf Erzeugnisse, sondern bezieht sich immer mehr auf Dienstleistungen. Kurz: Materielle und immaterielle Güter verschmelzen, neue Geschäftsmodelle entstehen.Das Beispiel Philips zeigt, wie sich dies in der Praxis umsetzen lässt: Der Elektronikkonzern bietet dem Flughafen in Amsterdam keine Lampen mehr zum Kauf, sondern Lichtkapazität zur Miete. Als Eigentümer der materiellen Güter ist Philips für die Auswahl geeigneter Lampen sowie deren Funktionalität und Langlebigkeit verantwortlich. In solchen Geschäftsmodellen wird es zwingend nötig, Leuchten so zu designen, dass sie ressourcenschonend und wirtschaftlich sinnvoll repariert und recycelt werden können.Laut Zahlen der Europäischen Kommission können Unternehmen ihre Kosten in der Kreislaufwirtschaft bis zum Jahr 2030 um bis zu 600 Mrd. Euro senken. Dies entspricht rund 8 % ihres jährlichen Umsatzes. Zugleich wird geschätzt, dass mit Umsetzung der Kreislaufwirtschaft bis zu 580 000 neue Arbeitsplätze entstehen und eine Reduktion der Treibhausgase um 450 Mill. Tonnen erfolgt. Langfristig geht es für die europäische Wirtschaft hier um die globale Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Sinne muss Kreislaufwirtschaft auch als Mittel zum Zweck verstanden werden, Abhängigkeiten vom Import fossiler Energieträger und nicht erneuerbarer Ressourcen zu verringern.Gerade für Baden-Württemberg und seine vielen produzierenden Unternehmen wird die Frage, welche Rohstoffe künftig unter wirtschaftsstrategischen Gesichtspunkten eine wichtige Rolle spielen, massiv an Bedeutung gewinnen. Dabei geht es beispielsweise auch um die Frage, welche Rohstoffe in zehn Jahren von welchen Anbietern und zu welchen Preisen zur Verfügung stehen. Derzeit entwickelt etwa der vom Land Baden-Württemberg unterstützte Think Tank “Industrielle Ressourcenstrategien” einen methodischen Ansatz zur Rücknahme, Aufbereitung und Re-Manufacturing, in den monetäre Aspekte einfließen, wodurch eine systematische, betriebswirtschaftliche Bewertung möglich werden soll. Digitale TransformationDas entscheidende Element hin auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft ist jedoch der digitale Wandel der Industrie, der die Grenzen zwischen physischer und digitaler Welt nach und nach auflöst: Erst dies ermöglicht es Unternehmen, den Kreis des Produktlebenszyklus wirtschaftlich zu schließen. Hierzu müssen zwingend alle Daten über die stoffliche Zusammensetzung von Produkten und die mit ihnen verbundenen Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhoben und verarbeitet werden. Die Erstellung von solchen systemischen digitalen Zwillingen erlaubt es zum Beispiel, bereits vorauszuplanen, wie ein Produkt recycelt wird. Gleichzeitig geht es darum, bereits in der Produktdesign-Phase alle eingesetzten Ressourcen, deren Beschaffung und Verarbeitung sowie die Lebensdauer der Materialen mitzuberücksichtigen und etwa den Recyclern zur Verfügung zu stellen.All dies macht deutlich, dass Rückverfolgbarkeit und Transparenz in Materialströmen und Lieferketten die Basis bilden, sobald eine nachhaltige Versorgung mit Ressourcen in den Fokus rückt. Bislang erheben jedoch nicht alle Unternehmen diese Daten zu ökologischen Aspekten der verwendeten Rohstoffe in standardisierter Form. Eine aktuelle Studie der unabhängigen Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) zeigt etwa den Nachholbedarf von Investitionsgüterunternehmen auf, wenn es um die Erfassung, Offenlegung und Verarbeitung von Daten zur Emission von Treibhausgasen in der Lieferkette geht.Solche Aufgaben können intelligente Software-Lösungen erfüllen, die nicht nur vollständige Transparenz in die unternehmenseigenen Daten bringen, sondern auch für ein Verständnis dieser Daten sorgen, indem sie Beziehungen und Abhängigkeiten in komplexen organisatorischen Strukturen, Prozessen und globalen Lieferkettenbeziehungen in Echtzeit visualisieren. Dies wiederum schafft die Grundlage, um über Regionen, unterschiedlichste Lieferanten und verschiedene Abteilungen Muster zu identifizieren und schneller bessere unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Wie vielschichtig und mehrstufig sich Lieferketten und dahinterliegende Prozesse gestalten, zeigt die Automobilindustrie: Eine Lieferkette in diesem Bereich hat normalerweise zwischen 7 bis 12 oder 13 Ebenen bis zur Materialquelle als letztes Glied. Heute werden teilweise bis zu sechs Monate benötigt, um die vollständigen Daten aus der Lieferkette zu generieren. Kommt es zu einer Veränderung in der Lieferkette, zum Beispiel die Verwendung eines neuen Materials, dauert dies wieder entsprechend lange, bis sie über die verschiedenen Ebenen berichtet worden ist. Ein Zustand, der in immer kürzer werdenden Produkt- und Marktzyklen unternehmenskritisch werden kann. Frage der Datensicherheit Geradezu zwingend ist jedoch mit Blick auf das Sammeln und die Verarbeitung von Informationen, dass für Unternehmen die drängende Frage nach der Datensicherheit beantwortet wird – nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass es sich hierbei um unternehmensrelevante Daten handelt und der Schutz vertraulicher Information zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein muss. In diesem Kontext wird Blockchain die wahrscheinlich wichtigste Technologie sein, wenn es um die nötige Digitalisierung von Wertschöpfungsnetz-werken geht.Als Datenbank, die über viele Knotenpunkte in einem verteilten Peer-to-Peer-Netzwerk zur Verfügung steht, ist sie geeignet, für eine bessere Rückverfolgbarkeit und mehr Transparenz, Sicherheit und Vertrauen in der Lieferkette zu sorgen: Die in einer Blockchain aufgezeichneten Daten lassen sich sofort überprüfen und sind resistent, was Änderungen betrifft. Jede Transaktion wird registriert und der vorangegangenen hinzugefügt. Dies hat eine kontinuierlich wachsende Kette von Informationen zur Folge, wodurch die Nutzer in die Lage versetzt werden, den Weg von der Rohmaterialgewinnung bis zum Verkauf an den Endkunden lückenlos zu überprüfen. Nur mit wirklich sicheren Daten lassen sich vollautomatische Prozesse steuern, wodurch auch Geschwindigkeit und signifikante Einsparungen in der Kommunikation möglich werden.Entscheidend ist es, dass diejenigen, die die Daten erzeugen auch diejenigen sind, die in der Blockchain die Zugangsrechte zu diesen Daten unkompromittierbar vergeben können. Das heißt, die Erzeuger von Daten erlangen auch wieder die Datenhoheit. Dabei können Organisationen den Grad der Transparenz in Abhängigkeit von den Bedürfnissen ihrer Stakeholder definieren. So kann etwa ein bestimmter Partner in der Lieferkette den für ihn nötigen Zugang zu einer entsprechenden Information erhalten; zum Beispiel über die CO2-Emission. In Abhängigkeit der definierten Sichtbarkeit der Datenpakete hätten andere wiederum Zugang für die Identifikation von möglichen Schadstoffen in Produkten, was im Hinblick auf Compliance-Prozesse relevant ist. Hand in Hand gehenWas bei all dem deutlich wird, ist dass Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft Hand in Hand gehen müssen und künftig eine zentrale Rolle spielen auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der Organisationen Produkte ressourcenschonend und nachhaltig herstellen, nutzen und wiederverwenden. Für die Wirtschaft birgt dies gewaltige Entwicklungspotenziale – gerade auch für das Land Baden-Württemberg, das sich als führender Markt für ressourceneffiziente Technologien und als eine der ressourceneffizientesten Regionen positioniert hat.—-Jörg Walden, CEO von iPoint