Auf der Suche nach der Aktienkultur

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 2.12.2017 Es gibt schon seltsame Koalitionen. Der Bankier Friedrich von Metzler möchte eine mit Andrea Nahles eingehen. Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag verdiene die Unterstützung der...

Auf der Suche nach der Aktienkultur

Von Bernd Wittkowski, FrankfurtEs gibt schon seltsame Koalitionen. Der Bankier Friedrich von Metzler möchte eine mit Andrea Nahles eingehen. Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag verdiene die Unterstützung der Finanzgemeinde, habe sie doch als Arbeits- und Sozialministerin “etwas ganz Großartiges” geleistet, indem sie mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz die Garantie der eingezahlten Beiträge abgeschafft habe. Damit sei für Arbeitgeber die letzte Bremse gelöst worden, ihren Mitarbeitern zur privaten Altersvorsorge Gehaltsumwandlungen nicht zuletzt in Aktien anzubieten. Hochfinanz Ü 70Das Lob erntete die zum linken SPD-Flügel zählende Politikerin in Abwesenheit ausgerechnet bei einem Spitzentreffen der deutschen Hochfinanz. Um präzise zu sein: schwerpunktmäßig der Generation Ü 70 der Hochfinanz. Rund 300 Gäste hatten sich auf Einladung des Center for Financial Studies (CFS) in der Frankfurter Goethe-Universität eingefunden, um nachträglich den vier Wochen zurückliegenden 80. Geburtstag von “Mr. Finanzplatz” Rolf Breuer zu feiern, der bei weitem nicht nur als langjähriger Vorstandsvorsitzender des auf dem Uni-Gelände angesiedelten CFS zu den größten Förderern der Alma Mater gehört. Vom aktuellen Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bank war übrigens niemand dabei.Im Anschluss an eine Kurzvorlesung, mit der Bernd Rudolph, Prof. emeritus der Ludwig-Maximilians-Universität München und früherer CFS-Direktor, eindrucksvoll die maßgeblich von Breuer mitgestaltete Geschichte des Finanzplatzes Deutschland seit den siebziger Jahren nachzeichnete, hatte sich der Jubilar eine spannende Diskussion über die Entwicklung des hiesigen Kapitalmarktes gewünscht – mit Persönlichkeiten, die das Auf und Ab miterlebt haben und etwas dazu sagen können, “wie man dem Übel abhelfen kann”.In der Analyse war sich die Runde rasch grundsätzlich einig. In den USA laufen bei McDonald’s die Börsenkurse über den Bildschirm, weil sich die Leute, die dort ihren Hamburger verspeisen, anscheinend dafür interessieren. In Deutschland haben derweil 80 % der Bundestagsabgeordneten noch nie in ihrem Leben eine Aktie gekauft, glaubt Koch zu wissen. Mehr Kapitalmarktorientierung bei der Altersvorsorge sei ökonomisch “ziemlich zwingend, nur leider unpopulär”. Um die Popularität der Aktienanlage zu steigern, bräuchten die Banken die Hilfe der Politik. Doch mit der Förderung von Banken sind keine Wählerstimmen zu gewinnen. Also müsse sich die Branche an die eigene Nase fassen und erst mal so weit Ansehen zurückgewinnen, dass die Politik es wieder attraktiv finden könne, den Banken zu helfen.Als ein Übeltäter, der eine breitere Wertpapieranlage verhindert, wurde der Verbraucherschutz identifiziert. Treibe man die Rigidität hier so weit, dass das Geschäft den Banken (kommerziell) keinen Spaß mehr mache, werde der private Investor der Leidtragende sein, warnte Fitschen. Individuelle Lösungen könnten nur noch ausgewählten Kunden angeboten werden. Zudem seien Ausweichreaktionen in weniger regulierte Bereiche absehbar.Für Koch stellt sich die Frage, wer eigentlich noch Zugang zu Aktien habe. Immer höhere Schutzwälle versperrten den Menschen den Blick auf das Geschehen. Eine durchschnittliche Sparkasse müsse es heute als Drohung empfinden, wenn ein Kunde allen Ernstes Aktien kaufen wolle. “Herr Koch, Sie müssen nach Berlin”, rief von Metzler unter dem Beifall des Publikums dem vormaligen CDU-Politiker zu, der für die Beteiligung aller Bundesbürger am Kapitalvermögen plädiert hatte.Kann der Staat der Aktienkultur auf die Beine helfen? Raettig zweifelt daran. Temporär könnten staatliche Anreize zu einem aktienfreundlicheren Klima beitragen. Doch sei eine nachhaltige Änderung so nicht zu bewirken. Raettig warnte indes davor, am Finanzplatz Deutschland allzu sehr Trübsal zu blasen. “Was wir haben, ist ja durchaus vorzeigenswert.” Nicht von ungefähr seien alle Dax-Unternehmen begehrte Anlageziele ausländischer Investoren. Zahlreiche Familienunternehmen stellten Wachstumsfinanzierungen über den Kapitalmarkt dar. Und überhaupt sei eine mangelhafte Aktienkultur nicht gleichzusetzen mit dem Fehlen jeglicher Kapitalmarktkultur. Mit Dummheit zum ErfolgUm die Institution Deutsche Börse ging es bei der “Reflektion zur Kapitalmarktentwicklung in Deutschland” natürlich auch. Kochs Urteil, dass hier bei allen Irrungen und Wirrungen eine Erfolgsstory geschrieben wurde und wird (“Es gibt keinen Grund, sich wahnsinnig zu beschweren”), schien im Saal mehrheitsfähig zu sein. Von Metzler trauerte noch ein wenig der 2012 gescheiterten Fusion mit der Nyse Euronext hinterher und bedankte sich zugleich bei der hessischen Börsenaufsicht, die geholfen habe, “dass wir uns nicht an London verkauft haben”. Berlin habe sich dafür nicht interessiert.Mit Trost in Sachen unterentwickelter Aktienkultur, die auch etwas mit fehlendem Wissen zu tun haben soll, wartete CFS-Direktor Jan Pieter Krahnen auf: Das Schöne an effizienten Kapitalmärkten sei doch, dass hier auch der Dumme sehr erfolgreich sein könne. Und dass die Kapitalmärkte seit den Siebzigern nicht zuletzt dank der Beiträge Breuers viel vollkommener und effizienter geworden sind, hatte Prof. Rudolph ja zuvor überzeugend dargelegt. ——–Mit einer Reflektion zum Kapitalmarkt feiert der Finanzplatz Rolf Breuers 80. Geburtstag.——-