Aufsicht legt Solvency-II-Reform vor

Deutsche Versicherer fürchten steigende Kapitalanforderungen - Kritik an Behandlung von Staatsanleihen

Aufsicht legt Solvency-II-Reform vor

Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA hat ihre Reformvorschläge für Solvency II vorgestellt. Die deutsche Versicherungswirtschaft fürchtet höhere Kapitalanforderungen, aus dem Europa-Parlament dagegen kommt Kritik, was die Zinsrisiken angeht. Der Ball liegt jetzt bei der EU-Kommission.ak Köln – Die erste große Überarbeitung des Versicherer-Regelwerks Solvency II nimmt Gestalt an. Die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA hat am Donnerstag ihre Änderungsvorschläge für das 2016 in Kraft getretene Aufsichtsregime vorgestellt. So sollen künftig Zinsrisiken stärker berücksichtigt werden. Bisher kommen Negativzinsen im Standardmodell, mit dem die Versicherer ihren Kapitalbedarf ermitteln, nicht vor. Für die deutschen Lebensversicherer mit ihren Vertragsportfolien mit hohen langfristigen Garantien ist besonders die neue Methodik für die Berechnung der langfristigen Zinssätze von Bedeutung. EIOPA will hier Marktsätze von Wertpapieren mit langen Laufzeiten stärker heranziehen und die Zinsstrukturkurve nach 20 Jahren nicht nur einfach wie bisher festschreiben.An diesem Reformvorschlag entzündet sich ganz unterschiedliche Kritik: Dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geht das schon zu weit. Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen bezeichnete das EIOPA-Papier zwar als wichtigen Meilenstein im Reviewprozess von Solvency II, doch das Ergebnis überzeuge nicht. “Auf Dauer müssten die europäischen Versicherer in erheblichem Maße zusätzliches Kapital für langfristige Zins- und Kapitalmarktrisiken aufbauen. Damit jedoch würde der Investitionsbeitrag der europäischen Versicherungswirtschaft zu europäischen Projekten wie Kapitalmarktunion und Green Deal zwangsläufig geringer”, warnte Asmussen.Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europa-Parlament Sven Giegold sprach dagegen von einer anhaltenden Realitätsverweigerung bei Zinsen und Staatsanleihen. Nach den aktuellen Regeln dürften Versicherer teils mit “astronomischen” Zinssätzen kalkulieren. Ein unterstellter langfristiger Zins von 3,75 % mute esoterisch an, wenn gleichzeitig Österreich Milliardenschulden mit 100-jähriger Laufzeit zu 0,88 % aufnehmen könne. Die von EIOPA jetzt vorgeschlagene alternative Methodik für die Zinsstrukturkurve bedeute “nur eine zaghafte Annäherung an die Realität”. “Es ist höchste Zeit, das Schönrechnen radikal zu beenden”, forderte Giegold. Das Geschäftsmodell vieler Versicherer stehe so auf tönernen Füßen.Für einen großen Fehler hält er außerdem, dass weiterhin Staatsanleihen im Standardmodell nicht mit Kapital unterlegt werden müssen.EIOPA-Chef Gabriel Bernadino hält dagegen: “Diese Änderungen stellen sicher, dass Solvency II ein verlässliches und geeignetes Aufsichtsregime bleibt, das Versicherte schützt und zur Marktstabilität auch in Krisenzeiten beiträgt.”Als weitere Änderungen schlägt EIOPA neue Kriterien für die Behandlung von langfristigen Aktienanlagen vor und auch eine Stärkung des Proportionalitätsprinzips. Letzteres wird vom GDV begrüßt: Das spart nicht nur Kosten, sondern setzt wichtige Managementressourcen frei, die bislang durch bürokratische Prozesse ohne Mehrwert gebunden sind”, kommentierte Asmussen. Vorausgegangen war ein fast zweijähriger Konsultationsprozess, der von einer Auswirkungsstudie begleitet wurde. In diesem “Holistic Impact Assessment” testeten die Versicherer die Effekte der möglichen Änderungen auf ihren Kapitalbedarf.Die Reformvorschläge von EIOPA gehen nun an die Europäische Kommission. Damit startet der eigentliche Verhandlungsprozess. Die EU-Kommission will im dritten Quartal kommenden Jahres dann ihren Vorschlag für die Solvency-II-Reform vorstellen, der dann mit dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat abgestimmt werden muss.