Aufsichtsarbitrage mit Hindernissen

Im Zuge des Brexit können Londons Banken aufsichtsrechtliche Schlupflöcher nutzen - Dieser Ansatz birgt aber Risiken

Aufsichtsarbitrage mit Hindernissen

Londoner Institute, die im Zuge einer Ansiedlung in Kontinentaleuropa wegen des Brexit auf Arbitrage abzielen, könnten bald feststellen, dass am besten lacht, wer zuletzt lacht. Aufseher zeigen sich alarmiert.Von Bernd Neubacher, FrankfurtJe konkreter der Brexit wird, desto stärker verzieht sich auch der Qualm, der den Bankenaufsehern zunächst den Durchblick erschwerte. Nachdem die Aufseher zahlreiche Gespräche mit Vertretern von Banken geführt hatten, welche sich infolge des britischen Referendums in der EU ansiedeln wollen, hat Sabine Lautenschläger, Vizevorsitzende der europäischen Bankenaufsicht und EZB-Direktoriumsmitglied, in der vergangenen Woche vor Medienvertretern vor Aufsichtsarbitrage gewarnt. Wie kann diese aussehen?Für Aufseher ist klar: Das Risiko der Arbitrage ist durchaus vorhanden. Nach übereinstimmender Einschätzung aus den entsprechenden Behörden gibt es konkret zwei offene Flanken: Zum einen könnten Banken versuchen, unter dem Radar der europäischen Bankenaufsicht zu fliegen, indem sie in der EU keine Tochter, sondern nur eine Zweigstelle gründen, die unter die nationale Aufsicht des jeweiligen EU-Landes fiele. Und zum Zweiten könnten Gesellschaften als Broker-Dealer einer Beaufsichtigung durch die Europäische Zentralbank (EZB) entgehen. Der Erfolg hat GrenzenVon beiden Konzepten können sich Banken Erfolg versprechen, wenn auch nur begrenzt. Mit Gründung einer Zweigstelle anstatt einer Tochter vermögen Banken auszunutzen, dass die Anforderungen an Filialen hinsichtlich Kapital, Liquidität oder Risikomanagement je nach EU-Mitgliedstaat fröhlich auseinanderdriften. Bass erstaunt hat mancher Aufseher in den vergangenen Wochen feststellen müssen, dass die Beaufsichtigung solcher Zweigstellen durch die EU-Eigenkapitalrichtlinie “überhaupt nicht europaweit harmonisiert ist”.Mehr noch: Tritt eine infolge des Brexit in die EU gezogene Bank in Form einer Zweigstelle an, kann sie theoretisch unbegrenzt wachsen, ohne damit automatisch unter die Fittiche der europäischen Bankenaufsicht genommen zu werden. Denn die entsprechende Schwelle von 30 Mrd. Euro gilt nur für lizenzierte Töchter, über welche die EZB schon unterhalb dieses Grenzwertes indirekt über die nationalen Aufseher wacht, nicht aber für solche Zweigstellen. Der Pferdefuß aus Sicht der Bank: Eine solche Zweigstelle besitzt keinerlei Passporting-Rechte. Unbehelligt wachsenNur in einem Staat des Euroraums darf sie also von der EZB unbehelligt vor sich hin wachsen. Großen Häusern mit Sitz in Großbritannien und den USA dürfte dies kein echtes Schlupfloch bieten, da die Filial-Konstruktion nur Zugang zu einem Land gewährt, nicht aber zur gesamten EU.Theoretisch kann sie zwar in mehreren Ländern Filialen eröffnen. Damit aber würde sie die Vereinigungsmenge der jeweiligen nationalen Regelwerke erfüllen müssen, was rasch komplizierter werden kann, als sich den Regeln der EZB zu unterwerfen. Zudem müsste sich die Bank gut überlegen, in welchem Land der EU sie an den Start geht. In einzelnen EU-Staaten mag der nationale aufsichtsrechtliche Rahmen zwar mit niedrigen Hürden locken. Die Vorteile eines Engagements dort aber sind begrenzt, wenn der jeweilige Markt, auf den das Institut beschränkt ist, wenig Geschäft hergibt.In den großen Märkten ist auch das Volumen der Anforderungen schnell groß. In Deutschland haben Zweigstellen von Instituten mit Sitz in einem sogenannten Drittstaat außerhalb der EU nach § 53 des Gesetzes über das Kreditwesen denselben Anforderungen zu folgen wie eine sogenannte Vollbank. Zumindest hierzulande würde daher auch eine Zweigstelle Kapital sowie zwei Geschäftsleiter benötigen: “In Deutschland hat es absolut keinen Sinn, mit einer Zweigstelle zu planen”, heißt es. Die deutsche Finanzaufsicht ist ohnehin nicht als Hort eines Light-Touch-Ansatzes bekannt. Streng, aber verlässlichAndererseits kann Aufsicht auch ein Wettbewerbsinstrument sein. Im Rennen um eine Ansiedlung von aus London umziehenden Banken aus den USA, Japan, China, Australien und auch Indien strengen sich neben Frankfurt vor allem Paris, Madrid, Dublin und Amsterdam an. Und aus Madrid, Paris und Luxemburg wird dabei kolportiert, die Aufsicht dort stelle schnelle Genehmigungen in Aussicht.Dabei werden bekannt hohe Anforderungen bei Banken indes nicht von vorneherein als Ausschlusskriterium gewertet. In Südeuropa lasse die Aufsicht in Gesprächen mit ansiedlungswilligen Banken schon einmal erkennen, dass sie im Laufe des Verfahrens auf Hilfe externer Dienstleister angewiesen sei, etwa was die Behandlung interner Modelle angehe, heißt es. Anstatt auf diese Weise die Katze im Sack zu kaufen, tendiere manche Bank dann doch zur deutschen Aufsicht, die zwar als streng gelte, dafür aber auf Sicht mehrerer Jahre Verlässlichkeit verspreche.Eine Alternative könnte es sein, eine Tochter zu gründen und mit deren Aktivitäten unter der Schwelle einer Bilanzsumme von 30 Mrd. Euro zu verharren. Auch dies aber ist keine Garantie, nicht in den Fokus der EZB zu geraten. Schließlich nimmt sie neben den sogenannten bedeutenden Banken mit mehr als 30 Mrd. Euro Bilanzsumme längst auch “High Priority LSI” unter die Lupe, also jene zu den “Less Significant Institutions (LSI)” zählenden Banken, die sich der Marke von 30 Mrd. Euro annähern. Zudem entscheidet über den Zugriff der EZB nicht nur die Bilanzsumme, sondern auch die Bedeutung einer Bank für den nationalen Bankenmarkt, die in kleinen Märkten schnell eine kritische Masse erreicht.Mehr Musik ist da schon im Falle von Broker-Dealern drin. Solche Wertpapierhandelsbanken fallen nicht unter die EZB-Bankenaufsicht, sondern werden gemäß der Finanzmarktrichtlinie Mifid reguliert. In Deutschland etwa gelten für solche Häuser nur Teile des Gesetzes über das Kreditwesen, und die Restriktionen der Liquidity Coverage Ratio etwa greifen nicht. “Über die Broker-Dealer-Thematik wird im Supervisory Board am stärksten diskutiert”, ist aus dem Aufsichtsgremium der europäischen Bankenaufsicht zu hören.Die Frage lautet nun, wann solche Broker-Dealer eine Zulassung als Bank benötigen sollen. Gesellschaften, die mit Hedgefonds handeln und auch Kredite ausreichen, betreiben auch nach der EU-Eigenkapitalrichtlinie CRD IV schnell Bankaktivitäten. Zugleich ködern nationale Aufseher einzelne Firmen dem Vernehmen nach bereits mit dem Versprechen einer Zulassung als gemäß Mifid regulierte Gesellschaft, damit die Gesellschaften auf diesem Wege der EZB-Aufsicht entgehen können. Aus Brokern werden BankenDie EZB jedenfalls ist alarmiert und dringt offenbar auf entsprechende Änderungen des Regelwerks im Zuge der Überarbeitung der EU-Eigenkapitalrichtlinie CRD IV. Im Gespräch ist zum einen die Verpflichtung von Broker-Dealern, Finanz-Holdings zu gründen, die wiederum unter EZB-Aufsicht fielen. Zum anderen wünscht sich die EZB eine ähnliche Befugnis wie die britische Prudential Regulatory Authority, welche befugt ist, Broker-Dealer zu systemrelevanten Einheiten zu erklären und diese in der Folge als Banken zu überwachen. “Das ist genau das, was wir in der Verordnung brauchen”, erklärte Danièle Nouy, Chefin der europäischen Bankenaufsicht, in der vergangenen Woche mit Blick auf die CRR. Fragmentierung durch einen Broker-Dealer-Status oder durch Drittstaaten-Filialen seien ein Anreiz für einen aufsichtlichen Abwertungswettlauf und sollten daher “nicht stattfinden”, sagte sie. Auf Arbitrage abzielende Institute könnten daher bald feststellen, dass am besten lacht, wer zuletzt lacht.