Aus öffentlichem Raum muss Identifikationsraum werden

Visitenkarte des Quartiers - Es bedarf mehr Mutes für mehr Freiraum

Aus öffentlichem Raum muss Identifikationsraum werden

In Zeiten mangelnder Flächenverfügbarkeiten und der damit einhergehenden notwendigen Verdichtung, sowohl in Metropolen als auch in aufstrebenden Mittel- und Großstädten, liegt der Fokus der Projektentwickler und auch der Städte häufig in erster Linie auf einer effizienten Planung und Gestaltung der vorhandenen Räume. Im Umkehrschluss bedeutet das zumeist, den Anteil “nicht genutzter” Fläche auf ein Minimum zu reduzieren. Dabei werden die Rolle des öffentlichen Raumes und damit auch die Verantwortung für ebendiesen häufig unterschätzt. Es ist Zeit, eine Lanze für den Freiraum zu brechen und dessen Bedeutung in den Köpfen der Gestalter zu verankern. Denn der öffentliche Raum ist Spiegel der Anziehungskraft und Funktionalität eines Quartiers.Aus wirtschaftlicher Sicht könnte man sich die Frage stellen: Warum eine Fläche unbebaut lassen, auf der Einzelhandel, Wohnungen oder Büros entstehen könnten? Warum einen zusätzlichen Wettbewerber im Ringen um die Flächen ins Boot holen? Die Antwort ist simpel: Öffentlicher Raum mit einem Gesamtkonzept spiegelt die Qualität und Attraktivität eines Quartiers wider. In der Folge beeinflusst dieser Vermietungsquoten, Verkaufszahlen und ist die Visitenkarte der Unternehmen. Besonders in Anbetracht einer immer stärkeren Verdichtung in den Top-Metropolen können Frei-räume und ein attraktives Umfeld die Verweildauer erhöhen und Ausgleichszonen bieten. Gesamtpaket muss stimmenFür den Einzelhandel und auch die Gastronomie bedeutet eine erhöhte Passantenfrequenz nicht automatisch höhere Umsätze, entscheidend ist die Aufenthaltsqualität. Umgangssprachlich ließe sich sagen: Das Gesamtpaket muss stimmen. Der schönste und modernste Shop lockt keine Kunden, wenn der Weg dorthin nicht zum Ambiente passt.Für Unternehmen kann ein urbanes Umfeld mit Freizeitflächen entscheidend im War for Talents sein. Insbesondere in Zeiten, in denen sich die Generationen Y und Z verstärkt mit dem Job und dessen Umfeld identifizieren. Wo können potenzielle Arbeitnehmer ihre Mittagspause verbringen? Entsprechen das Quartier und die Eingangssituation dem Image des Unternehmens und dessen Kultur?Das Einmaleins der Projektentwicklung und für ein gut funktionierendes innerstädtisches Quartier er-scheint in seinen Grundzügen klar definiert: Durchmischung. Sei es in Bezug auf die Bauweise, die Grundrisse, die Nutzungen oder die soziale Komponente. Das Credo lautet: je urbaner und durchmischter, desto lebendiger das Quartier. Aus der städtebaulichen Historie haben wir gelernt, dass Homogenität nicht zur gewünschten Belebung führt. Damit liegt das Ziel darin, allen Bedürfnissen des Alltags der Bewohner und Besucher, Unternehmen und Mieter gerecht zu werden: Diversifizierter Einzelhandel, flexible und moderne Büroflächen, Wohnraum für verschiedenste Zielgruppen.Der öffentliche Raum scheint jedoch häufig nur eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Dabei sollte dieser die “Visitenkarte” des Quartiers und DER Ort der Begegnungen sein. Vorausgesetzt: Aus “öffentlichem Raum” wird “Identifikationsraum”. Jeder noch so anmutend geplante Platz kann die Verweildauer nur begrenzt beeinflussen. Der öffentliche Raum schafft lediglich die Rahmenbedingung und Projektentwickler können nur die Impulse geben für einen Freiraum, der genutzt werden will.Ausschlaggebend ist aber die regelmäßige Bespielung des Ortes. Diese kann jedoch nicht grundlegend vorgegeben werden, anhand einer konzipierten Struktur erhalten die Bewohner und Besucher die Grundlage für eine “spontane” Nutzung. Wichtig ist dabei, diesen die Möglichkeit der Mitgestaltung zu geben, sei es für temporäre Inszenierungen wie zum Beispiel Wohnzimmerkonzerte, Freilichttheater, Kunstausstellungen oder auch Wochenmärkte. Nur so wird es ein lebendiger Ort.Doch wie Anreize geben, um Freiflächen noch bewusster in den Prozess der Konzeption zu integrieren? Bisher gibt es bei Quartiersentwicklungen keine Orientierungswerte für Projektentwickler, Architekten und Stadtplaner, die aufzeigen, wie viel öffentliche Fläche an dem jeweiligen Standort realisiert werden sollte. Das sollte sich ändern. Freiräume sind kein notwendiges Übel, sondern ein Muss.Die Qualität der Quartiere definiert sich nicht unerheblich über die Freiflächen, und dennoch ist dieser Teil der Projektentwicklung aus meiner Sicht noch nicht genügend professionalisiert. Dabei sind die Kompetenzen mit freiraumplanerischen Experten für die Umsetzung vorhanden. In der Folge beinhalten Wettbewerbe für die Neuentwicklungen von Quartieren zusätzliche Angaben und Anforderungen an den Entwurf, und es wird ein “städtebaulich freiraumplanerischer Wettbewerb” ausgelobt. Auch hier gilt es, wie in einem Quartier Synergien zwischen den Komponenten zu schaffen.Im Fokus sollte die Bedeutung des öffentlichen Raums stehen. Dieser dient unter anderem der Vernetzung der verschiedenen Nutzergruppen an diesem Ort und somit der Schaffung eines Platzes, an dem sich jeder wohlfühlt und wiederfindet. Bei einem Quartier mit Wohn-, Büro-, und Einzelhandelsflächen müssen die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen in Einklang gebracht werden und fordern eine große Empathie, um den öffentlichen Raum zu einer Begegnungsstätte zu machen und ihm eine individuelle Aura zu geben.Die möglichen Formen sind vielfältig. Sei es nun ein klassischer Platz im Zentrum des Quartiers, ein Urban Gardening für Anwohner und Interessierte, ein Rooftop, der Ausgleichsflächen in der Vertikalen schafft. Zusammengefasst: Es bedarf mehr Mutes für mehr Freiraum. Die Zufriedenheit der Nutzer und Besucher sind der Lohn: Nachhaltigkeit.—-Lothar Schubert, Geschäftsführender Gesellschafter von DC Developments