"Banken beschweren sich so oder so"

Bundesbankvorstand Nagel will Effekte der Regulierung beobachten - Abstufungen bei Leverage Ratio möglich

"Banken beschweren sich so oder so"

tl Frankfurt – Bankhistorische Forschung – das klingt im ersten Moment nicht sehr prickelnd und schon gar nicht aktuell relevant. Doch das Thema des 20. Wissenschaftlichen Kolloquiums des Instituts für bankhistorische Forschung war hochaktuell: die Refinanzierung der Banken. Schon in seiner Begrüßung war Jens Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des einladenden Verbands deutscher Pfandbriefbanken (VDP), ganz im Hier und Jetzt. Er beklagte, dass die Refinanzierung in der Diskussion über Bail-in-Regeln und das neue Versicherungsaufsichtsregime Solvency II zu kurz komme. Fragmentierter BankenmarktNach Ausbruch der Finanzkrise habe sich der Bankenmarkt im Euroraum fragmentiert, stellte Joachim Nagel, im Vorstand der Deutschen Bundesbank unter anderem für Märkte zuständig, in seinem Vortrag zur Bankenrefinanzierung aus Sicht einer Zentralbank fest. Ursache war der Verlust des Vertrauens (Credit) insbesondere in die Banken der südlichen Länder. Für Nagel wird es “nun spannend sein zu sehen, wie die Liquiditätspolitik des Eurosystems im fragmentierten Euro-Bankensystem wirken wird”. Den Banken, die ohne Zentralbankrefinanzierung nicht über die Runden kämen, könne diese Langfristfinanzierung helfen, ihre Bilanzen und Geschäftsmodelle zu restrukturieren.Nagel warnte aber davor, dass “unsere One-size-fits-all-Zentralbankrefinanzierung die Fragmentierung, also die Renationalisierung und Clubbildung, eher noch verfestigt statt löst”. Von zentraler Bedeutung sei, dass der “Credit” als allgemeines Vertrauen wiederkehre. Am Ende des Prozesses müssten drei Dinge erreicht werden. Erstens müssten die kriseninduzierten großen Unterschiede insbesondere bei den Zinsaufschlägen einzelner Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen reduziert werden. Solidität gestärktNagel forderte aber nicht die Rückkehr einer so starken Konvergenz, wie sie vor der Finanzkrise geherrscht hat. Zweitens müsse sich der Geld- und Interbankenmarkt wiederbeleben, und drittens müssten die Target-2-Salden wieder sinken, so der Bundesbankvorstand weiter.Die Solidität des europäischen Finanzsektors sieht Nagel durch die einheitliche Bankenaufsicht und den Bankenabwicklungsmechanismus gestärkt. “Die Mindestliquiditätsquote LCR und die strukturelle Liquiditätsquote NSFR zielen letztlich auf eine Renaissance des Bankenkerngeschäfts: Sie werten die Bedeutung von Privatkundeneinlagen auf, und eine nachhaltige Fristenstruktur kommt wieder en vogue.” Nagel gab zu, dass das “Eurosystem mit seinen Krisenmaßnahmen bis in den Grenzbereich seines Mandats gegangen” sei. Es dürfe aber keine dauerhafte Abhängigkeit von der Zentralbankfinanzierung geben, schrieb er den Marktakteuren ins Stammbuch. Mit den langfristigen Refinanzierungsangeboten habe das Eurosystem selbst einen Teil des grenzüberschreitenden Geschäfts gefördert. “Das darf und wird nur temporär sein.” Aufgaben sind offenFür den Bundesbankvorstand ist offen, welche Aufgaben Banken künftig erfüllen sollen. Und: “Welchen Anteil an der volkswirtschaftlichen Liquiditätsversorgung werden sie haben?” Banken strukturierten ihre Geschäftsfelder um, Bankbilanzen schrumpften, und der Geldmarkt sehe ganz anders aus als vor der Krise. So seien jetzt über 90 % aller Transaktionen besichert. “Großvolumige unbesicherte Transaktionen scheinen nun und für die Zukunft nicht mehr denkbar.”Der Bundesbankvorstand hofft für die Notenbanken auf die Rückkehr des Liquiditätsdefizits, also auf geldpolitische Normalität, ließ aber offen, wann dies der Fall sein könne. “Ich hoffe, dass ich es bei der Bundesbank erleben werde, dass es statt eines Mengentenders wieder einen Zinstender gibt.” Fehlallokationen drohenIn der anschließenden Podiumsdiskussion unterstrich Nagel, dass die aktuellen Maßnahmen des Eurosystems wie die Ankaufprogramme nicht von Dauer sein könnten. Denn es drohten Fehlallokationen von Kapital. “Die Banken sollen vorbereitet sein, dass wir uns aus dem System der überreichlichen Liquidität herausbewegen.” Nagel brach zugleich eine Lanze für den Pfandbrief: “Es gäbe besser mehr Produkte, die so verständlich wie der Pfandbrief sind.” Der Pfandbrief ist für die Institute der vier Mitdiskutanten ein wichtiges, teilweise sogar zentrales Refinanzierungsmittel.Christian Bonnen, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Köln, beklagte den Trend zu immer langfristigeren Krediten, denen immer kurzfristigere Einlagen gegenüberstünden. “60 bis 70 % unserer Einlagen sind täglich fällig.” Bei der Commerzbank hat sich hingegen die Duration der Aktivseite von fünf bis sechs auf drei bis vier Jahre verkürzt, sagte ihr Vorstandsmitglied Michael Reuther. “Auf der Passivseite setzen wir auf erstrangige Schuldverschreibungen, Pfandbriefe und Privateinlagen.” Unbesicherte Schuldverschreibungen und Geldmarktpapiere seien aufgrund der Kapitalanforderungen deutlich zurückgegangen.Für Edgar Zoller, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BayernLB, ist es angesichts sprudelnder Einlagen z. B. über die Tochter DKB eher ein Problem, das Geld sinnvoll anzulegen. “Das ist eine Frage der Risikobereitschaft.” Die Münchener Hypothekenbank refinanziert sich aufgrund der Arbeitsteilung im genossenschaftlichen Verbund ausschließlich über den Kapitalmarkt. “Die niedrigen Zinsen stören uns nicht, weil wir uns fristenkongruent refinanzieren. Wir leben ausschließlich von der Marge”, sagte ihr Vorstandssprecher Louis Hagen. Diese gehe allerdings zurück. Keine DifferenzierungHagen und Zoller kritisierten an der nach Basel III geplanten Verschuldungsgrenze (Leverage Ratio), dass sie für alle Risiken gleich hoch sein soll. “Damit werden die risikolosen Geschäfte bestraft mit der Folge, dass die Banken mehr Risiken eingehen werden”, sagte Zoller. Nagel verwies auf Diskussionen, nach denen die Verschuldungsgrenze nach Risiken differenziert werden könnte. Möglicherweise gebe es Abstufungen. Grundsätzlich gelte aber bei Regulierungen: “Banken beschweren sich so oder so.” Er wolle vielmehr “beobachten, wie die Effekte (der Regulierung) ausfallen”. Mit Blick auf Hagen sprach Nagel von “eventuellen Missverhältnissen bei der Regulierung für bestimmte Geschäftsmodelle. Wir sehen uns an, wie Geschäftsmodelle beeinträchtigt oder verändert werden.”