Banken lassen EZB bei TLTRO-Rückzahlungen zappeln
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Das Gerücht ist schon seit einigen Tagen durch das Frankfurter Bankenviertel gewabert, ohne dass freilich jemand hätte Ross und Reiter nennen wollen. Wegen der aus Sicht der Kreditinstitute unerfreulichen Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), aus dem auch als TLTRO bekannten zinsgünstigen Refinanzierungsprogramm für Mittelstandskredite de facto auszusteigen, würden auf die eine oder andere Bank hohe Kosten für die Auflösung von Derivatepositionen zukommen, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Seit Donnerstag ist klar, dass die niederländische ING Groep zu den betroffenen Banken gehört.
Während Europa beginnt sich auf die Rezession einzustellen und die ersten Banken bereits die Risikovorsorge ordentlich hochziehen, müssen die Niederländer etwa 315 Mill. Euro berappen, um Derivatepositionen aufzulösen, die sie offenbar auf Vorrat aufgebaut hatten, um TLTRO-Geschäfte abzusichern, die sie noch gar nicht getätigt hat. Die Belastung entspricht fast einem Drittel des Gewinns, den die niederländische Großbank für das dritte Quartal ausgewiesen hat. Auch mit Blick auf den Aktienrückkauf, den die ING Groep nun angekündigt hat, bleibt nur zu hoffen, dass es bis dahin keiner allzu üppigen Aufstockung der Risikovorsorge bedarf.
Mit staatsmännisch anmutender Haltung mühte sich ING-Chef Steven van Rijswijk zwar, grundsätzlich Verständnis für das Ende des Geldregens zum Ausdruck zu bringen. Doch der Ärger über das kostspielige Debakel war ihm in der telefonisch abgehaltenen Pressekonferenz unschwer anzumerken. Seine Bemerkung, das Timing sei ungünstig, scheint jedoch eher auf die von seinem Haus getätigten Hedginggeschäfte zuzutreffen als auf die Entscheidung der EZB. In deren Interesse liegt es schließlich nicht, die Geschäftsbanken weiter mit Extragewinnen zu beglücken, sondern ihre Bilanz so schnell wie möglich zu schrumpfen.
Genau dies versuchen die ING und die anderen europäischen Großbanken offensichtlich, um sich zumindest ein wenig Genugtuung zu verschaffen nach dem Affront, als den sie die nachträgliche Änderungen der TLTRO-Bedingung werten. Unisono verkündeten die Deutsche Bank, BNP Paribas, DZ Bank und Unicredit jedenfalls, dass sie noch nicht entschieden haben, ob sie die vorgeschlagenen Termine für die vorzeitige Rückzahlung der Mittel an die EZB überhaupt nutzen wollen.
Die von manchen Experten vorhergesagten rechtlichen Schritte dürften dagegen wohl eher ausbleiben. Bislang jedenfalls hat sich noch keines der Institute, die sich in Zeiten negativer Zinsen mit günstiger Liquidität vollgesogen haben, aus der Deckung gewagt. Auf die Frage, ob sie rechtliche Schritte in Erwägung ziehen, hieß es überall lapidar: kein Kommentar.
So ärgerlich eine Belastung in dreistelliger Millionenhöhe auch ist, lässt sich selbst im Fall der ING leicht nachvollziehen, dass es sich das Kredithaus gut überlegt, ob es seine Anwälte wegen der nachträglichen Änderung gegen die Notenbank in Stellung bringt. Schließlich ist die EZB nicht bloß eine besonders in volatilen Zeiten wie diesen eminent wichtige Refinanzierungsquelle, sondern auch der wichtigste Regulator – und Sitz der europäischen Bankenaufsicht. Es wäre daher ziemlich gewagt, sich mit ihr auf einen Machtkampf einzulassen.
Ganz auszuschließen ist es dennoch nicht, dass der schwelende Streit irgendwann doch noch vor Gericht landet. Klage einreichen könnten schließlich nicht bloß die Banken selbst, sondern auch deren Aktionäre. Sie sind es schließlich, die am Ende die finanziellen Folgen der nachträglichen Änderung der Bedingungen tragen müssen.