Banken winken Erleichterungen
Der Baseler Ausschuss und die European Banking Authority (EBA) wollen Banken einen Wechsel des Ansatzes zur Kalkulation ihres Eigenkapitalbedarfs erleichtern. Einzelne Institute könnten damit den Anstieg ihrer Kapitalanforderung im Zuge von Basel III überkompensieren, heißt es bei Beratern. Von Bernd Neubacher, FrankfurtIn der Bankenbranche ist der Abschluss des Baseler Eigenkapitalakkords Ende 2017 (Basel III) als Kapitalquotenkiller verschrien. Werde die Reform umgesetzt, wie von der European Banking Authority (EBA) vorgeschlagen, gefährde dies die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand Europas, wetterte etwa Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), im Juni.In der Tat sorgt das Regelwerk für mächtig Auftrieb beim Kapitalbedarf: Wie die EBA errechnet hat, dürfte die Reform, welche den Gebrauch bankinterner Modelle zur Kalkulation des Eigenkapitalbedarfs einschränkt und diesen dem Standardansatz angleicht, die Kapitalanforderungen europäischer Banken um 24 % in die Höhe treiben – in Deutschlands Kreditwirtschaft dürften die Anforderungen, unter möglichst konservativen Annahmen wohlgemerkt, gar um knapp 40 % steigen, so kräftig mithin, dass deutsche Banken, offenbar um Anleger nicht scheu zu machen, seither meist beredt schweigen, werden sie mit der Frage nach dem Kapitalauftrieb in ihrem Haus konfrontiert.Dabei halten der Abschluss von Basel III und die entsprechenden Umsetzungsempfehlungen der EBA beileibe nicht nur Verschärfungen bereit. Eine Tür, welche der schweizerische Ausschuss für Bankenaufsicht den Instituten geöffnet hat, führt zu einem flexibleren Einsatz der Kalkulation des Eigenkapitalbedarfs nach internen Modellen bzw. gemäß Standardansatz. Konkret: Der Wechsel von der einen zur anderen Methode soll leichter werden, und zwar in beiden Richtungen. War lange Zeit Konsens, dass eine Bank, sobald sie interne Modelle für Teile ihrer Aktiva einsetze, diesen Ansatz auf den gesamten Konzern ausweiten solle, so wird mit dem Abschluss von Basel III nur mehr Homogenität jeweils innerhalb einer Assetklasse gefordert, wie die EBA feststellt. Die Pariser Bankenregulierungsbehörde spricht denn auch von einem “Paradigmenwechsel”. Ein neuer TonDer neue Ton ist in der Tat bemerkenswert, hatten die Aufseher einem solchen Wechselspiel bislang doch möglichst einen Riegel vorschieben wollen, um zu vermeiden, dass Banken Arbitrage zwischen den Ansätzen betreiben. Andererseits ergibt es für Regulierung und Aufsicht Sinn, einen Wechsel gerade jetzt zu erleichtern: Einerseits erschweren sie es mit der geplanten Vorgabe, dass ein nach internen Modellen berechneter Kapitalbedarf mindestens 72,5 % des per Standardverfahren berechneten Volumens entsprechen muss (Output Floor), Banken künftig, ihren Kapitalbedarf mit Hilfe interner Modelle kleinzurechnen. Andererseits geht derzeit eine mehrjährige, sehr aufwendige Überprüfung der in der Finanzkrise in Verruf geratenen internen Modelle von Banken durch die Europäische Zentralbank (EZB) ihrem Ende entgegen, welche die Aussagekraft der auf diese Art ermittelten Kapitalquoten überdies erhöht haben müsste.Interne Modelle ermöglichen gegenüber dem Standardansatz eine Reduktion des Kapitalbedarfs, setzen zugleich aber den Aufbau eines entsprechenden Apparats voraus, der nicht zuletzt von einem ausreichenden Fundus an modellierbaren Kreditdaten abhängt. Aus Sicht der Aufseher könnte ein Wechsel von einem Standardansatz auf ein internes Modell etwa Sinn haben, wenn eine Bank infolge Portfoliogröße oder Historie in ihrem Kerngeschäftsfeld über ausreichend viele Datenpunkte zur Performance von Krediten und Schuldnern verfügt und daher gescheite Modellrechnungen anstellen kann. Zum anderen erscheint ein Wechsel in den Standardansatz angezeigt, wenn es mangels Kreditausfällen erkennbar an brauchbaren Daten mangelt, etwa im Falle von Forderungen an Staaten, Banken oder Großunternehmen.Banken wiederum können mit einem Wechsel Eigenkapitalerleichterungen winken, wie PwC ermittelt hat. Einzelne Auswirkungsstudien hätten bereits gezeigt, dass der mit dem Abschluss von Basel III verbundene Anstieg der Risikoaktiva für die den Standardansatz verwendenden Banken durch einen Wechsel einzelner Forderungsklassen in den auf internen Ratings basierenden Ansatz (IRBA) “(über-)kompensiert werden kann”, heißt es dort. Die überarbeiteten Anforderungen würden “zu erheblichen Veränderungen” bei Art und Höhe der Risikoaktiva führen, deren Auswirkungen “auf einzelne Institute sogar größer sein” könnten als die “aller anderen Neuerungen zusammengenommen”, schreibt PwC-Partner Martin Neisen in “Die Bank”. Immerhin kann der Einsatz interner Modelle Kapitalbedarf zur Unterlegung von Aktiva in manchen Fällen mehr als halbieren. Jegliche Kapitalersparnis begrenzt gleichwohl die Harmonisierungsanforderung des Output Floor auf maximal 27,5 %. PwC verweist zugleich auf die Segnungen von Digitalisierung, Automatisierung und maschinellem Lernen, welche im Verein mit konkreteren Interpretationshilfen der Aufsicht den Aufwand für die Umsetzung interner Modelle binnen zehn Jahren mehr als halbiert haben (siehe Grafik).PwC zufolge ist dies vor allem für kleine und mittelgroße Banken interessant, welchen die Hürden für einen Wechsel auf interne Modelle bisher zu hoch schienen. Daneben könnten Institute mit einem Wechsel in den Standardansatz liebäugeln, etwa im Falle von Portfolien, deren Größe geschrumpft ist und die den Aufwand der Instandhaltung eines internen Modells nicht mehr rechtfertigen, wie es im Markt heißt. Diese Kosten können “signifikant” sein, wie die EBA festhält. ZukunftsmusikNoch ist ein Wechsel von einem Ansatz zum anderen Zukunftsmusik. Weder bei der deutschen noch bei der europäischen Bankenaufsicht hat das Thema derzeit Konjunktur. Denn zunächst müssen die Beschlüsse wie von der EBA empfohlen im kommenden Jahr in der EU-Eigenkapitalverordnung CRR III umgesetzt werden. Auf bundesdeutscher Ebene wäre zudem noch eine entsprechende Änderung der Solvabilitätsverordnung erforderlich. Die gilt im europäischen Maßstab schon als streng, was einen parallelen Gebrauch beider Ansätze angeht, von Wechseln ganz zu schweigen. So lautet eine Maxime, dass eine Bank nur dann interne Modelle einsetzen darf, wenn sie damit nach fünfjähriger Übergangszeit 92 % ihrer gesamten Risikoaktiva abdecken kann. Mit einer Reduktion der Anforderung an diesen Abdeckungsgrad wäre schon viel gewonnen, heißt es bei einem größeren Kreditinstitut. Bestrebungen, dies aufzuweichen, stehe die EZB dabei offener gegenüber als die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie die Deutsche Bundesbank, heißt es.Ansonsten fällt die Resonanz in der Branche verhalten aus. Bei der Deutschen Bank etwa gilt die Erweiterung des sogenannten Partial Use nicht als Option, die man strategisch einsetzen will, wie in Finanzkreisen zu erfahren ist. Demnach werden Regulierer und Aufseher zu verhindern wissen, dass Banken durch einen Wechsel ihres Ansatzes größere Kapitalerleichterungen realisieren. In jedem Fall dürften Banken, die vom einen in den anderen Ansatz wechseln sollen, mit aufwendigen Zulassungsprüfungen rechnen müssen. Diese Modellzulassungsprüfungen seien schon jetzt nicht ohne, heißt es im Markt.