Basel IV ist eine Herausforderung
Es gibt gute Gründe, weshalb der Pfandbrief bisher aus allen seit der Finanzkrise abgeschlossenen europäischen Regulierungsvorhaben privilegiert hervorgegangen ist. Er hat seine Krisenfestigkeit nachdrücklich unter Beweis gestellt und ist mit seinem strikten gesetzlichen Rahmen ein Beleg dafür, dass eine stringente und im Detail durchdachte Regulierung stabilisierend auf die Kapitalmärkte wirken kann. Ob in der Capital Requirements Regulation CRR, die die Bevorzugung bei der Risikogewichtung des Pfandbriefs erhält und die weitgehende Befüllung des Liquiditätspuffers mit diesem Wertpapier erlaubt, ob bei der Anlagepolitik von Versicherern (Solvency II) oder im Rahmen der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD), wo Pfandbriefe grundsätzlich vom Bail-in ausgenommen sind: Die Privilegierung des Pfandbriefs ist umfassend und bietet Anlegern ebenso wie Emittenten einen verlässlichen Rahmen für ihre Transaktionen am Markt und ihre strategische Planung. Korsett wird immer engerLeider wird nicht in allen Regulierungsbereichen mit gleicher Behutsamkeit vorgegangen. Entgegen mancher Äußerung führender Politiker und Regulatoren, die eine Regulierungspause und eine Bestandsaufnahme des Wirkens und Zusammenwirkens der zahlreichen Regulierungsmaßnahmen fordern, wird die allgemeine Bankenregulierung auch im Jahr acht nach Lehman Brothers mit unverminderter Dynamik vorangetrieben. Die Rahmenbedingungen für das risikoarme langfristige Kreditgeschäft werden etwa mit der zu erwartenden Verankerung einer verbindlichen, nicht nach Geschäftsmodellen differenzierenden Leverage Ratio, die im Rahmen der Umsetzung von Basel III bisher nur als Beobachtungskennziffer eingeführt ist, spürbar beeinträchtigt. Und die zurzeit in der Konsultation befindlichen Details zu Basel IV drohen den regulatorischen Mantel für das langfristige Kreditgeschäft gar noch enger zu knöpfen.Mancher Regulierer verweist darauf, es handele sich nur um die Vollendung von Basel III, und sträubt sich gegen die neue Nummerierung. Tatsächlich aber handelt es sich aus Sicht vieler Banken um das inhaltlich weitreichendste Regulierungsprojekt seit Beginn der Finanzkrise und die bislang größte Herausforderung für die Immobilienfinanzierung und die in diesem Geschäftsfeld stark engagierten Banken. Die besondere Betroffenheit resultiert daraus, dass die Eigenkapitalanforderungen in diesem Bereich nach derzeitigem Diskussionsstand massiv erhöht und aufgefächert werden sollen. Die Pfandbriefbanken beanstanden das Fehlen des unechten Realkreditsplittings, also der gedanklichen “Aufteilung” eines Darlehens in einen privilegierungsfähigen besicherten und einen darüber hinausgehenden unbesicherten Betrag. Sie wenden sich insbesondere gegen die als nicht sachgerecht angesehene Trennung in Cash-flow-abhängige sowie Cash-flow-unabhängige Immobilienfinanzierungen und schließlich gegen die vorgesehenen unverhältnismäßig hohen Risikogewichte. Gewerbliche Finanzierungen und solche mit höheren Ausläufen sollen bei der Eigenkapitalunterlegung spürbar bestraft werden, weil sie von manchen Mitgliedern des Baseler Ausschusses recht undifferenziert als Auslöser der Finanzkrise gesehen werden und deshalb generell als gefährlich gelten. Niedrige nationale Verlustquoten, wie sie für die deutsche Gewerbefinanzierung nachgewiesen sind, bleiben dabei offenbar weitgehend unberücksichtigt. Quantitative Kriterien gesuchtAussagen der Aufsicht zufolge wird sich die finale Kalibrierung der Risikogewichte im Kreditrisikostandardansatz nur noch an quantitativen Kriterien orientieren, die derzeit anhand einer weltweiten Auswirkungsstudie erhoben werden. Daten des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken (VDP) belegen die besondere Betroffenheit der Immobilienfinanzierer. Sie erhärten die von den Pfandbriefbanken angeführten Kritikpunkte in Bezug auf den vor allem von kleineren Instituten genutzten Kreditrisikostandardansatz KSA. Das neue Konzept und die generell angehobenen Risikogewichte führen bei den für viele Pfandbriefbanken typischen Gewerbeimmobilienfinanzierungen zu einem erheblichen Kapitalanstieg. So steigt nach bislang vorliegenden Zahlen bei einem Beleihungsauslauf LTV von 60 % (dem deckungsfähigen Teil einer Finanzierung) der Kapitalbedarf einer typischen Finanzierung um etwa 60 %. Bei einem LTV von 70 % sind es rund 75 %. Und dies vor dem Hintergrund empirisch nachgewiesener, extrem niedriger Ausfallquoten. Modellierung ändernIn die gleiche Richtung, aber noch weiter geht das Ende März veröffentlichte Konsultationspapier des Baseler Ausschusses zur künftigen Ausgestaltung des Internen Ratingansatzes (IRBA). Ziel ist die Vereinheitlichung der Ergebnisse der internen Verfahren vor dem Hintergrund ihrer in der Finanzkrise offenbar gewordenen hohen Varianz. Zudem sollen nur noch jene Forderungsklassen überhaupt modelliert werden können, bei denen der Umfang, die Menge und die Qualität der verfügbaren Daten die sachgerechte Schätzung des Kreditrisikos ermöglichen.Für die Forderungsklassen “Staatsfinanzierung”, “Banken und andere Finanzunternehmen”, “große Unternehmen mit einer konsolidierten Bilanzsumme größer 50 Mrd. Euro” sowie “Beteiligungen” ist grundsätzlich die Rückkehr zum KSA vorgesehen. In der Konsequenz könnte künftig nur noch etwa die Hälfte der Forderungsklassen überhaupt für ein internes Verfahren zugelassen werden. Bei den auch in Zukunft modellierbaren Forderungsklassen schließlich sind Untergrenzen (“Input-Floors”) bezüglich aller Schätzparameter auf Ebene der Einzelforderung geplant. Darüber hinaus soll die Modellierung mit Hilfe aufsichtlicher Vorgaben vereinheitlicht werden. Über das Ziel hinausDie vorgeschlagenen Änderungen, insbesondere das Verbot der internen Verfahren für viele Forderungsklassen, gehen deutlich über das Ziel einer Vereinheitlichung hinaus. Die hohen Investitionen der Institute in zuverlässige und robuste Verfahren, die auch für das interne Risikomanagement wichtige Informationen für eine sachgerechte Kreditvergabe und Steuerung der Risiken liefern, werden zunichtegemacht. Der Einsatz interner Modelle dürfte sich in vielen Fällen als betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll erweisen.Die finalen Regelungen zum Floor sowie zum IRBA sollen nach derzeitiger Planung bereits im kommenden Dezember vom Baseler Ausschuss verabschiedet und im Januar 2017 veröffentlicht werden. Sollte der Ausschuss an seinen Positionen festhalten, wird entscheidend sein, wie damit in Europa umgegangen wird. Es war bislang stets die europäische Ebene, auf der den Besonderheiten der europäischen Immobilienmärkte Rechnung getragen wurde und deshalb sachgerechte Privilegierungen für die pfandbriefrelevanten Geschäftsfelder – insbesondere die Immobilienfinanzierung und den Pfandbrief selbst – realisiert werden konnten. Vor dem Hintergrund der auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftspolitik der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker, die die Wirkungen der Bankenregulierung auf die Realwirtschaft besonders in den Blick nimmt, besteht auch in der Umsetzung von Basel IV die Hoffnung, dass die europäische Regulierung den Vorgaben aus Basel nicht eins zu eins folgen wird. Auch auf dieser Ebene wird sich der VDP deshalb für Erleichterungen einsetzen. Regulierungspause gebotenFür die Kreditwirtschaft ist eine Regulierungspause, in der eine empirisch fundierte Einschätzung der Wirkungen der bisherigen Regulierungsaktivitäten erfolgt, dringend geboten. Ausdrücklich begrüßen die Pfandbriefbanken daher die Absicht der Bundesregierung, die ökonomischen Wirkungen des neuen Regulierungsrahmens in einem Gutachten auf den Prüfstand zu stellen und zu einem der Themen ihrer G 20-Präsidentschaft im kommenden Jahr zu machen. Wichtig ist dabei nicht nur aus Sicht der Pfandbriefbanken, die Vielfalt des deutschen Bankensektors zu akzeptieren und die Unterschiedlichkeit der Geschäftsmodelle als Stärke zu verstehen. Denn der Bankensektor kann nur dann seiner volkswirtschaftlichen Finanzierungsfunktion für die Realwirtschaft voll gerecht werden, wenn unternehmerische Spielräume zur Verfolgung unterschiedlicher Geschäftsmodelle nicht übermäßig eingeengt oder gar vollständig beseitigt werden.Es gilt, Schaden von realwirtschaftlich höchst relevanten Geschäftsfeldern und den darauf spezialisierten Banken abzuwenden. Dafür ist die Unterstützung der Bundesregierung und der Aufsicht besonders wichtig. Nicht zuletzt deshalb, weil so die weitere Abwanderung in weniger regulierte oder gar völlig unregulierte Branchen verhindert werden kann – was eigentlich ein gemeinsames Ziel von Politik und Kreditwirtschaft sein sollte.—Jens Tolckmitt Hauptgeschäftsführer des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken (VDP)