Bauen zwischen Tradition und Innovation

Neugestaltung historischer Grundstücke herausfordernd und spannend zugleich

Bauen zwischen Tradition und Innovation

Urbanisierung, Landflucht, Verstädterung – der Trend zum Wohnen, Arbeiten und Leben in Ballungsräumen oder Metropolen hat viele Etiketten. Doch unabhängig davon, wie man die derzeitige Entwicklung nennt, die Folgen sind ein und dieselben: Einst monogenutzte Gebiete werden häufig zu Mixed-Use-Quartieren umgewandelt, große Industrie- und Produktionsgelände konsolidieren ihre Flächen, wandern infolgedessen in periphere Randlagen ab und machen so Platz für Wohnungen, Büros oder Hotels.Nun gilt es also, diese ausgedienten oder sogar brachliegenden Flächen zu revitalisieren und einer neuen Nutzung zuzuführen. Der Baugrund erzählt dabei nicht selten eine Geschichte, die uns mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte in die Vergangenheit versetzt. Ob nur auf dem Blatt Papier oder in Form von alter Bausubstanz. Aktuelle Beispiele in Deutschland sind etwa das Holsten-Areal in Hamburg-Altona, die ehemaligen Continental Werke in der Hannoveraner Wasserstadt Limmer oder frühere Firmensitze wie die “Spiegel-Insel” und die Postbank-Niederlassung in der Hansestadt.Um die Baugenehmigung für derartige Grundstücke zu erwirken oder den B-Plan zu überarbeiten, bedarf es Konzepten, die der Historie gedenken und deren Erbe sensibel in den neuen Entwurf integrieren, ohne dabei an innovativer, individueller Gestaltung einzubüßen. Es sollte etwas Neues und kein Abbild oder eine zweite Auflage geschaffen werden. Fingerspitzengefühl nötigSteht man in der Niendorfer Straße im Hamburger Stadtteil Lokstedt, blickt man heutzutage auf einen zeitgemäßen Komplex, der mitunter über 140 Wohnungen umfasst. Doch das ist erst seit Kurzem der Fall: Bis 2014 wurden hier noch Teigwaren der “Nur Hier”-Bäckerei hergestellt; in Holzöfen, die seit den 30er Jahren dort beheimatet waren. Derartige Institutionen prägen Standorte oder gar ganze Stadtteile und deren Anwohner nachhaltig. Sie sind zu einer etablierten Marke avanciert. Dementsprechend schwer wiegt deren zukünftige Nachnutzung. Projektentwickler tragen daher in Form ihrer planerischen Tätigkeit eine Mitverantwortung für den Verbleib identitätsstiftender Areale. Sie müssen sich dieser Tragweite bewusst sein und den städtebaulichen Entwurf individuell nach den Bedürfnissen bestehender Anwohner sowie potenzieller Nutzer und gleichzeitig nach den Relikten aus vergangenen Zeiten ausrichten. Hinzu kommt nicht selten die Denkmalschutzbehörde, die Ansprüche geltend macht. Ein Balanceakt, der viel Fingerspitzengefühl und Expertise erfordert.Zum einen birgt prominenter Baugrund viel Potenzial mit reichlich Strahlkraft und eröffnet die Chance, die Geschichte weiterzuschreiben. Auf diese Weise können ganze Quartiere (wieder-)belebt werden. Zum anderen bringen traditionsreiche Flächen Risiken und Herausforderungen mit sich. Wurde das Areal gründlich auf sogenannte “Altlasten” überprüft? Können Bestandsgebäude oder Elemente davon erhalten bleiben? Der Denkmalschutz ist dabei nur eine – wenn auch nicht zu unterschätzende – Komponente und Kontrollinstanz, die berücksichtigt werden muss. Hinzu kommt die notwendige Integration in den städtebaulichen Kontext und die Einbindung aller Stakeholder. Daneben schaffen weitere Marktakteure durch Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche entsprechende Rahmenbedingungen.Während beispielsweise der Holsten-Turm Bestandteil des neuen Quartiers in Hamburg-Altona bleibt und ein Museum als erlebbares Andenken an die ursprüngliche Nutzung errichtet werden soll, steht der Conti-Turm auch zukünftig als zentrales Motiv repräsentativ für die Vorgeschichte der Wasserstadt Limmer. In Lokstedt wird zukünftig ein Backshop als lebender Rückbezug zum ehemaligen “Nur hier”-Gelände fungieren. Bereits während des Bauprozesses wurde der Historie des Grundstücks durch einen temporären Back-Container gedacht, so dass die Anwohner auch im Laufe der Umnutzung nicht auf gewohnte Traditionen verzichten mussten. Bei anderen Beispielen sind wiederum bestimmte Materialien oder architektonische Spezifika in Anlehnung an das äußere Erscheinungsbild des Teilmarktes oder Quartiers gewählt worden. Denkbar ist auch, die bisherige Funktion im Objektnamen und -logo zu verwurzeln.Doch was passiert, wenn die Sicherung alter Bausubstanz zu kostspielig, der Erhalt ganzer Gebäudestrukturen nicht realisierbar ist? Nicht selten müssen auch Gebäude mit geschichtlicher oder städtebaulicher Bedeutung oder einem baukünstlerischen Wert dem hohem Investitionsdruck und dem enormen, nutzungsübergreifenden Flächenbedarf wei-chen. Anderenorts verhindern Altlasten wie zum Beispiel Chemikalien die Nachnutzung. Hier den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Identitätserhalt zu schaffen, stellt die größte Herausforderung für die Städte und Kommunen dar. Und ein Spagat bedeutet oftmals auch einen Kompromiss. Da Wirtschaftlichkeit aber die Grundlage für eine erfolgreiche Projektentwicklung ist, müssen eventuelle Anforderungen an die Bebauung aufgrund der Historie des Areals in der Kalkulation und in der gesamten Planung berücksichtigt werden. Die Vorgeschichte mit den aktuellen baulichen Anforderungen in Einklang zu bringen ist demnach die Hauptaufgabe bei einem solchen Projekt und sollte von Anfang an Berücksichtigung finden.Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht, wie sich Projektentwickler dieser Problematik stellen können: In der Hamburger Altstadt sollte die sogenannte “Spiegel-Insel” revitalisiert werden. Konkret galt es, das leerstehende IBM- und ehemalige Spiegel-Hochhaus aus den 60er Jahren mit den Verordnungen und Ansprüchen des Hier und Jetzt zu vereinbaren. Zu beachten waren zunächst die Anforderungen und Regularien in Bezug auf den Lärmschutz. Unzählige Feinheiten beachtetZudem war der Anspruch, durch die Einbindung dreier weiterer Objekte – zweier Hotels und eines Wohnturms – den Standort zu diversifizieren und so den Wünschen moderner Städter nachzukommen. Von Detailfragen wie der farblichen Ausgestaltung der Vorhänge bis hin zur Fassadengestaltung gab es unzählige Feinheiten zu beachten, um ein einheitliches Gesamtbild zu generieren, das mit den Bestandsgebäuden harmoniert. Die Gestalt des IBM-Gebäudes ist zum Beispiel einer Lochkarte nachempfunden – die Fassade des neu projektierten Wohnturms “Height5” sollte sich dementsprechend in die individuelle Umgebung der Insel einfügen.Individuelle Komponenten machen die Neugestaltung traditionsträchtiger Areale spannend und herausfordernd zugleich. Wird eine Harmonie zwischen Alt und Neu geschaffen, entstehen Projekte, die an Vergangenes erinnern, Zukünftiges mitgestalten und somit ganze Stadtteile nachhaltig positiv beeinflussen. Aus gutem Grund auf gutem Grund. David Liebig, Vorstand der Magna Real Estate AG