Beim Wettlauf um Digitalisierung entscheidet Bildung

Mit Abstand wichtigste Ressource einer zukunftsfähigen Gesellschaft, über die nicht mehr diskutiert, sondern die gestaltet werden muss

Beim Wettlauf um Digitalisierung entscheidet Bildung

Hyperinflationär begegnet uns der Begriff der Digitalisierung – hyperpräsent ist die Anforderung, dass wir doch bitte alle ab sofort digital sein müssen. Der Ruf nach Digitalisierung ist laut. Sehr oft wird die Wichtigkeit von Bildung in einem Atemzug genannt, allerdings wenig konkret, ohne klares Konzept und ohne klare Verantwortlichkeiten. KI als SchreckgespenstAktuell dominieren Ängste und Unsicherheiten die breite Diskussion. Künstliche Intelligenz (KI) wird als Schreckgespenst, das Arbeitsplätze vernichten könnte, skizziert. Skeptiker beschwören einen Wettlauf zwischen Mensch und Maschine herauf. Künstliche Intelligenz und Maschinen müssen uns jedoch nur Angst machen, wenn der Mensch durch fehlende Bildung dabei abgehängt wird.Angst hat noch nie geholfen. Die öffentlichen Meinungsmacher sprechen leider nur selten von den durchaus großen Chancen, die Digitalisierung bedeutet. Experten prognostizieren in dem Zusammenhang eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 10 % bis 2030. Auch sehen einige gerade in dem für Deutschland typischen Mittelstand eine sehr große Chance, Digitalisierung im globalen Wettbewerb gegen die USA und China erfolgreich zu gestalten. Die positiv in die Zukunft blickenden Experten teilen übrigens die Einschätzung, dass dieser Prozess nur mit einer starken Bildung gelingen kann.Wir brauchen genügend kluge Köpfe, die Digitalisierung verstehen, gestalten und managen können. Und wir müssen möglichst viele von uns befähigen, sich in einer neuen digitalen Arbeitswelt zurecht zu finden. Nicht auszudenken, wenn wir einen Teil von uns auf der Strecke lassen müssen – nicht mehr gebraucht, ausrangiert, weil nicht ausreichend qualifiziert, vom Staat mit Sozialtransferleistungen ruhig gestellt. Das würde nicht nur den sozialen Frieden bedrohen, sondern auch die Demokratie. Was sich jetzt schon tendenziell beobachten lässt, würde sich auf viel größere Teile der Gesellschaft ausweiten.Dabei geht es um sehr viel mehr als technologische Kompetenzen, die häufig die Diskussion um die Zukunftsausrichtung der Bildung dominieren. Getrieben von Digitalisierungsangst verfallen viele Entscheider in einen fast schon blinden Aktivismus: Tablets für jeden Schüler, schnellerer Internetzugang in allen Bildungseinrichtungen und 100 neue Professuren im Rahmen des Digitalpakts der Bundesregierung sind die Antworten, uns für die digitale Zukunft zu rüsten. Sicher mögen diese Maßnahmen dazu beitragen, Schüler, Auszubildende und Studenten auf die digitale Welt vorzubereiten, aber das greift zu kurz.Wir brauchen ganz andere Kompetenzen und im nächsten Schritt vor allem scharfsinnige Entscheider aus der Wirtschaft sowie mutige Bildungsgestalter, die das erkennen und auch umsetzen.Wir wissen heute wenig bis gar nicht, welche spezifischen Fachkompetenzen wir in fünf bis zehn Jahren brauchen und auch nicht in welchem Umfang. Denn Fakt ist, dass wir heute kaum absehen können, wie digital unsere Welt sein wird und welche Berufsbilder durch Digitalisierung in welcher Weise verändert werden. Daher ist es falsch, sich ausschließlich auf technologische Kompetenzen zu fokussieren, die im Zweifel kurzlebig sind.Was wir wissen, ist: Es wird sich sehr viel ändern und das kontinuierlich und in einem rasanten Tempo. Wir wissen, dass die Veränderungen sämtliche Bereiche – den privaten, den beruflichen, den wirtschaftlichen und den gesellschaftlichen – betreffen werden. Und genau darauf können und müssen wir uns vorbereiten – indem wir Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften entwickeln und fördern, die weit über technologische Kompetenzen hinausgehen.Nichts ist so beständig wie der Wandel. Diese Aussage sollte unser Credo werden. Veränderungen fallen uns grundsätzlich schwer, denn sie bedeuten, die Komfortzone zu verlassen und auf sichere Planbarkeit zunehmend zu verzichten. Es gilt zu verinnerlichen, dass wir Erfahrungen aus der Vergangenheit nur begrenzt für die Prognose der Zukunft verwenden können, deren Parameter aktuell zu einem großen Teil unbekannt sind. Daher müssen wir Veränderungsbereitschaft lernen, um uns immer wieder aufs Neue zurechtfinden zu können.Eng damit verbunden ist die Bereitschaft, immer wieder Neues zu lernen. Der Begriff des lebenslangen Lernens wird aktuell oft überstrapaziert. Wenn wir es aber nicht schaffen, dass Menschen sich ihre natürliche Wissbegierde und Lernbereitschaft wahren, werden wir keine erfolgreiche Zukunft haben – sondern viele von uns werden Gefahr laufen, auszubrennen und von neuen Entwicklungen überfordert zu sein. Im aktuellen Bildungssystem ist jedoch das Gegenteil zu beobachten: Bereits in den unteren Klassen wird vielen Schülern die Freude am Lernen verdorben. Resilienz stärkenIn direktem Zusammenhang steht die Resilienz als erfolgskritische Zukunftskompetenz. Wir brauchen innere Widerstandskraft, um den kontinuierlichen Wandel zu meistern. Veränderung bedeutet Stress. Im Wissen, dass wir in der digitalen Zukunft permanent das Unbekannte aushalten und gestalten werden, ist es wichtig, Methoden zu vermitteln, die Resilienz stärken.Leider ist in den letzten Jahren die Tendenz zu beobachten, dass immer mehr Menschen unter Stress stehen und zunehmend auch an stressbedingten Erkrankungen leiden. Bereits junge Menschen sind durch Leistungsdruck, Angst vor der Zukunft und sicherlich auch durch mediale Reizüberflutung von Stress betroffen. So geben 40 % der aktuell Studierenden an, im direkten Zusammenhang mit ihrem Studium häufig oder sogar ständig negativem Stress ausgesetzt zu sein. Das hat die Online-Befragung Campusbarometer unter knapp 7 000 Studentinnen und Studenten in 2018 ergeben.Das Curriculum der Zukunft muss jedem Einzelnen bewusst machen, dass Digitalisierung ohne Globalisierung nicht zu denken ist. Die digitale Welt kennt nur wenige nationale Grenzen. Wir brauchen weltoffene Akteure.Digitalisierung wirft auch ethische Fragen auf. Wie gehe ich mit meinen Daten und denen anderer um? Hierzu müssen wir kritisches Denken schulen und Werte als Inhalt auf die Lehrpläne setzen. Auch Medienkompetenz ist entscheidend: Wir müssen in der Lage sein, Quellen und Seriosität von Daten einzuschätzen – eine Grundvoraussetzung für eine stabile Demokratie. Nicht zu vergessen ist die Kompetenz des analytischen Denkens. Großen Datenmengen müssen die richtigen Fragen gestellt werden. Das häufig kritisierte Bulimielernen, das von Schülern, Auszubildenden und Studenten im aktuellen Bildungssystem gefordert wird, steht der Fähigkeit, selbständig und analytisch zu denken, häufig entgegen.Soll Bildung der Motor für Digitalisierung sein, dann müssen wir aufhören, diese Erkenntnis lediglich zu proklamieren, und damit anfangen, Bildung wirklich wertzuschätzen. Wertschätzung bedeutet, wie es der Begriff buchstäblich ausdrückt, Bildung einen echten Wert beizumessen. Wenn wir in unseren Breitengraden über Wert sprechen, geht es auch um Geld. Konkret: Wir müssen in Bildung klug investieren und uns die unbequeme Frage stellen: Wer zahlt was und wie viel zu welchem Zeitpunkt? Heikle FrageEine heikle Frage, denn in unserer Gesellschaft ist es fast unanständig, über den Kontext von Geld und Bildung zu sprechen. Bildung kostet nichts, so der Konsens. Das ist schlichtweg falsch, denn Bildung und vor allem gute Bildung kostet Geld, auch wenn die weitgehende Gebührenfreiheit an staatlichen Bildungseinrichtungen etwas anderes suggeriert. Doch die Lehrkräfte, die Nutzung der Gebäude, die Lehrmaterialien und vieles mehr sind nicht umsonst. Um hier Qualität zu gewährleisten, muss Geld in die Hand genommen werden, ebenso wie für neue Curricula, die auch den erfolgskritischen Zukunftskompetenzen Rechnung tragen. Neben den nachrückenden Schülern, Auszubildenden und Studenten dürfen dabei die Berufstätigen nicht vergessen werden, damit sie mit den Veränderungen Schritt halten können.Bisher überlassen wir die Bezahlung der Bildung weitgehend und mit großer Selbstverständlichkeit dem Staat. Doch ist es nicht an uns allen – der Zivilgesellschaft und vor allem auch der Wirtschaft – einen Teil der Rechnung zu begleichen? Wir alle profitieren von Bildung. Und wir alle hätten ein Problem, wenn wir im globalen Wettbewerb um Digitalisierung abgehängt werden und den sozialen Frieden weiter aufs Spiel setzen.Es ist höchste Zeit, uns darauf zu einigen, dass Bildung die mit Abstand wichtigste Ressource einer zukunftsfähigen Gesellschaft ist, über die wir nicht mehr diskutieren sollten, sondern die wir gestalten müssen. Anja Hofmann, Vorstands- und Gründungsmitglied der Deutsche Bildung AG