Berlin bricht eine Lanze für die Bankenunion

Karlsruhe verhandelt Verfassungsbeschwerde gegen SSM und SRM - EZB glänzt durch Abwesenheit - Hufeld lobt Arbeit der Aufsicht

Berlin bricht eine Lanze für die Bankenunion

In der mündlichen Verhandlung von Verfassungsbeschwerden gegen die europäische Bankenaufsicht und den einheitlichen Abwicklungsmechanismus hat die Bundesregierung die Bankenunion verteidigt. BaFin-Präsident Felix Hufeld erklärte, das Niveau der Aufsicht habe deutlich gewonnen.bn Karlsruhe – Die Bundesregierung und die deutsche Finanzaufsicht haben am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht eine Lanze für die Bankenunion gebrochen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Zweiten Senat über Verfassungsbeschwerden gegen den einheitlichen Aufsichtsmechanismus Single Supervisory Mechanism (SSM) sowie gegen das Abwicklungsregime Single Resolution Mechanism (SRM) stellte das Bundesfinanzministerium den Charakter der eurolandweiten Vereinheitlichung von Aufsicht und Abwicklung als Reaktion auf die Finanzkrise heraus.Die Krise habe gezeigt, dass sich ein national begrenztes Bankenproblem leicht zu einem europaweiten Stabilitätsproblem auswachsen könne, erklärte Christine Lambrecht, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium. Zudem habe sie deutlich die Tendenz nationaler Behörden vor Augen geführt, Banken in ihrem Zuständigkeitsgebiet im Interesse des Sitzlandes auch dann zu schonen, wenn dies aus europäischer Sicht nicht angezeigt sei. Die Harmonisierung von Aufsicht und Abwicklung durch europäische Institutionen sei da die Gewähr für regelbasierte Entscheidungen sowie für ein kohärentes Prozedere gewesen. Sie wirke zudem aufsichtsrechtlicher Arbitrage entgegen. Große Banken seien derart international tätig, dass nationale Aufsichtsinstanzen generell an ihre Grenzen stießen. Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die mit Einführung des SSM vor vier Jahren die Zuständigkeit für die größten deutschen Banken an die Europäische Zentralbank (EZB) abgegeben hatte, äußerte sich als Sachverständiger lobend über die Arbeit der europäisierten Bankenaufsicht. Der Bankenmarkt sei hochgradig vernetzt und im SSM werde der Netzwerkcharakter “in hohem Maße lebendig”, erklärte er. Große BedeutungBei Rechtsexperten wird dem von Klägern um den Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber vorangetriebenen Verfahren große Bedeutung beigemessen. Gäbe das Bundesverfassungsgericht den Klägern recht, hätte dies unwägbare Folgen für die europäische Aufsichts- und Abwicklungsarchitektur. Zudem würde sich Karlsruhe mit einem solchen Urteil erstmals offen in Widerspruch zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) setzen, heißt es. Alternativ könnte das Gericht, sofern es die Beschwerde nicht abweist, den Fall dem EuGH zur Überprüfung vorlegen.So weit ist es freilich noch nicht. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung machte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, klar, dass im Mittelpunkt des Verfahrens für das Gericht Kompetenzfragen stünden und nicht etwa Fragen zur Sinnhaftigkeit der Bankenunion, über die das Bundesverfassungsgericht nicht zu befinden habe. “Um die kompetenziellen Auswirkungen der einschlägigen Regelungen zu verstehen, wird es aber notwendig sein, sich ein genaueres Bild von der Funktionsweise der Bankenunion zu machen”, ergänzte er. Neben den Beschwerdeführern um Markus Kerber und Vertretern der Bundesregierung und des Bundestages waren am Dienstag als Sachverständige Vertreter der BaFin und der Deutschen Bundesbank sowie des Bundesverbandes deutscher Banken sowie des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes anwesend. Die EZB war ebenfalls eingeladen, sah sich aber “nicht in der Lage, unserer Einladung zu folgen”, wie in der Verhandlung angemerkt wurde. Ausführliche BefragungRecht ausführlich befragte das Gericht BaFin-Präsident Hufeld. Dabei ließen die Richter mit Blick auf die EZB durchaus Skepsis erkennen, was die Frage von Interessenkonflikten der für Geldpolitik und Bankenaufsicht gleichzeitig zuständigen Behörde angeht. Zudem interessierte sich das Gericht für Aspekte des Rechtsschutzes und der Kontrolle. Wie Thorsten Pötzsch, BaFin-Exekutivdirektor Abwicklung, darlegte, können sich von Abwicklungsmaßnahmen betroffene Banken an den Beschwerdeausschuss der EU-Bankenabwicklungsbehörde Single Resolution Board (SRB) sowie an den EuGH wenden. Im Übrigen könne auch die BaFin gegen den SRB klagen, erklärte er. Allein im Fall des bereits abgewickelten Banco Popular sind seinen Angaben zufolge über 100 Klagen eingereicht worden. Gerade der Fall Banco Popular belegt Hufeld zufolge den Sinn der Bankenunion, zum einen, weil das Institut nicht nur eine der größten Banken Spaniens, sondern zugleich das sechstgrößte Kreditinstitut Portugals gewesen ist, und zum anderen, weil die über Nacht getroffene Entscheidung über die Abwicklung nur im Rahmen einer europäischen Institution wie des SSM und dessen Supervisory Board möglich war.Dass die unmittelbar nur für die größten Banken der Eurozone zuständige EZB individuelle Weisungen zur Aufsicht über ein kleineres Institut vornehme, verneinte Hufeld eindeutig. Einzelne Anweisungen seien nicht möglich, es habe sie bisher nicht gegeben,und zudem entsprächen sie nicht dem Rechtsverständnis der EZB.Der Bestimmung, dass die EZB bei Bedarf die Aufsicht auch über eine kleinere Bank an sich ziehen kann, misst Hufeld keine große Bedeutung für die Praxis bei. Es sei vor allem eine “gute Drohkulisse”, falls eine nationale Behörde nicht in der Lage sein sollte, ihren Job zu erledigen. Hufeld: “Das kann es mal geben, kommt aber extrem selten vor.”Das Niveau der Aufsicht habe im momentanen Format deutlich gewonnen, resümierte Hufeld. Eine Preisgabe der Mitwirkungsmöglichkeit der nationalen Aufsicht will er schon deshalb nicht ausmachen, da die gemeinsamen, für jede von der EZB beaufsichtigte Bank zusammengestellten Aufsichtsteams zu jeweils zwei Dritteln auf Mitarbeiter nationaler Behörden entfielen. Dies zeige, dass das Gewicht der nationalen Aufseher in der täglichen Arbeit “substanziell” sei.Die Beschwerdeführer machen geltend, der deutsche Staat verliere mit Einbringung der national erhobenen Abwicklungsgelder in den Abwicklungsfonds SRF “vollständig die Kontrolle über den Einsatz der von Kreditinstituten innerhalb ihres Staatsgebietes aufgebrachten Abwicklungsressourcen”. Die finanziellen Risiken der Bankenabwicklung für den Bundeshaushalt seien weder gebannt noch absehbar, hieß es in Kerbers Plädoyer. Er erinnerte an die Nachschusspflicht der Banken und letztlich der Staaten, falls das Volumen des Single Resolution Fund nicht ausreichen sollte. Allein für die Sanierung des Crédit Lyonnais sei ab 1993 der Gegenwert von 50 Mrd. Euro aufgewandt worden.Dass Bundesregierung und Bundestag Hoheitsrechte “auf einem so souveränitätssensitiven Gebiet wie der Finanzstabilität” einfach aufgegeben hätten, sei unfassbar, erklärte Kerber. “Denn diese Preisgabe aufsichtlicher Eingriffsbefugnisse macht die Bürger – also auch die Beschwerdeführer – vor den Irrläufen der Investmentbanken als den eigentlichen Risikoträgern des Finanzkapitalismus schutzlos.”—– Wertberichtigt Seite 8