WIRECARD UND DIE FOLGEN

Berlin tüftelt an Aufsichtsreform

Vertragskündigung mit Bilanzpolizei wegen Wirecard "wird vorbereitet" - Neue Aufgabenverteilung offen

Berlin tüftelt an Aufsichtsreform

Den Vertrag mit der Bilanzpolizei will sie kündigen; wie es weitergeht, lässt die Bundesregierung offen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte wegen des Wirecard-Bilanzskandals Ende vergangener Woche angekündigt, “in den nächsten Tagen” ein Reformkonzept für die Aufsicht auszuarbeiten. wf Berlin – Bundesfinanzministerium und Bundesjustizministerium analysieren derzeit das “Ausmaß des Reformbedarfs, das sich aus dem Wirecard-Finanzskandal ergibt”, sagte ein Sprecher von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) vor der Presse in Berlin. Ein Schritt zur Reform ist aber schon jetzt fix: Den Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), der sogenannten Bilanzpolizei, wird die Bundesregierung kündigen. Meldungen vom Wochenende bestätigte der Sprecher des Justizministeriums damit. “Die Kündigung wird gegenwärtig vorbereitet.” Einzelheiten blieben noch offen. Fristgerecht kann die Regierung bis zum heutigen 30. Juni kündigen; dann liefe der Vertrag noch bis Ende 2021. Bei einer fristlosen Kündigung wäre das Ende schneller da.Offen blieb am Montag auch, wie sich die Bundesregierung künftig die Überprüfung von Rechnungslegungsstandards vorstellt und bei Unregelmäßigkeiten in der Bilanzierung. Der Justizministeriumssprecher sagte lediglich, “dass ein sachkundiges, wirkungsvolles und effizientes Bilanzkontrollverfahren aus unserer Sicht wichtig ist, um einen funktionsfähigen und transparenten Kapitalmarkt zu gewährleisten”. Scholz hatte am Donnerstag eine Aufsichtsreform wegen Wirecard angekündigt und “in den nächsten Tagen” in Aussicht gestellt. “Die BaFin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können”, erklärte er.Denkbar wäre es somit, die Aufgabe vollständig in eine Bundesbehörde zu verlagern, nachdem von Regierungsseite wiederholt darauf verwiesen wurde, bei der DPR handele es sich um eine “privatrechtliche Einrichtung”. Dies insinuiert, die Regierung habe dort keinen Einblick. Dabei operiert die DPR seit 2005 zwar als privatwirtschaftliche Organisation, aber durchaus im Auftrag des Bundes nach gesetzlich verankerter Norm. Das Handelsgesetzbuch erlaubt es dem Bundesjustizministerium, im Einvernehmen mit dem Finanzministerium “eine privatrechtlich organisierte Einrichtung zur Prüfung von Verstößen gegen Rechnungslegungsvorschriften durch Vertrag an(zu)erkennen”. Satzung, personelle Zusammensetzung und Verfahrensordnung dieser Prüfstelle müssen eine unabhängige, sachverständige und vertrauliche Prüfung gewährleisten. Schon heute ist die DPR nur in der ersten Stufe der Prüfungen zuständig, in der zweiten Stufe ist es die Finanzaufsicht BaFin. Laut HGB muss die DPR die BaFin informieren: über beabsichtigte Prüfungen, unkooperative Unternehmen und Prüfergebnisse. Ihren Wirtschaftsplan kann die DPR nur im Einvernehmen mit der BaFin aufstellen. Dieser muss von den beiden Bundesministerien genehmigt werden. Die Kosten von rund 5,5 Mill. Euro tragen die beaufsichtigten Unternehmen. BaFin als OptionAuf der Suche nach einer Behörde für die Bilanzprüfung läge es also nahe, die BaFin komplett mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dabei ist die Finanzaufsicht im Fall Wirecard selbst unter Druck. BaFin-Präsident Felix Hufeld hatte Fehler der Behörde öffentlich eingeräumt und von einer “Schande” gesprochen. Für die BaFin wäre das ein weiterer Zuwachs an Aufgaben. Die Behörde beschäftigt mehr als 2 700 Mitarbeiter. Kommt die Aufsichtsnovelle über die freien Finanzanlagenvermittler, die im Bundestag liegt, sind rund 400 weitere Aufseher nötig, um diese Aufgabe zu schultern. Dafür fallen laut Gesetzentwurf rund 36 Mill. Euro neue Kosten an.2019 lag der Etat der BaFin mit 382 Mill. Euro um 37 Mill. Euro über Vorjahr. Finanziert wird die Behörde ausschließlich privatwirtschaftlich: durch Umlagen und Gebühren der beaufsichtigten Unternehmen. Größter Einzelzahler ist die Kreditwirtschaft mit einem Anteil von 45 %, gefolgt von der Assekuranz mit fast 27 %. Das Kontrollprinzip “Wer bestellt, bezahlt”, gilt bei der BaFin indessen nicht: Der 17-köpfige Verwaltungsrat besteht aus sechs Vertretern aus Bundesministerien (Finanzen, Justiz und Wirtschaft), fünf Bundestagsabgeordneten, drei Wissenschaftlern – und nur drei Experten aus der zahlenden Finanzbranche. Sie kommen aus den Verbänden der Kreditwirtschaft, Assekuranz und der Investmentfondsbranche.