Besteht deutscher Immobilienmarkt Belastungsprobe?

Die Corona-Pandemie beschleunigt den Wandel - Megatrends beeinflussen Leben, Arbeiten und Einkaufen - Wohnimmobilienmarkt zeigt sich unbeeindruckt

Besteht deutscher Immobilienmarkt Belastungsprobe?

Es waren immer wieder die gleichen Schlagworte, die den Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren begleiteten. Dazu zählten solche wie steigende Transaktionsvolumina, zunehmender Flächenmangel, Miet- und Kaufpreissteigerungen oder historisch niedrige Leerstandsquoten. Der Aufschwung dauerte mehr als eine Dekade. Es schien, als sei kein Ende in Sicht. Dann kam der Schwarze Schwan in Form der Corona-Pandemie. Das konjunkturelle Umfeld trübte sich in kürzester Zeit ein. Trotzdem sieht es heute so aus, als habe der Immobilienmarkt die Belastungsprobe insgesamt bestanden. Unterschiedlich betroffenEs liegt in der Natur der Segmente, dass sie unterschiedlich von der akuten Situation betroffen sind. Während Menschen auch in Krisenzeiten Wohnraum brauchen, waren Handelsimmobilien und Hotels während des Lockdowns nahezu obsolet. Und langfristig? Werden wir in einigen Jahren rückblickend immer noch zum Ergebnis kommen, dass der Immobilienmarkt gut durch die Krise kam? Valide Prognosen zu den Entwicklungen von Miet- und Kaufpreisen sind derzeit kaum möglich. Dafür ist die Situation weltweit epidemiologisch und ökonomisch noch zu fragil – auch wenn es so aussieht, als hätte Deutschlands Konjunktur die Talsohle durchschritten. Die Pandemie dürfte jedoch im Gegensatz zu früheren Krisen auch nach der volkswirtschaftlichen Erholung noch lange nachwirken. Arbeit, Konsum und Wohnen befinden sich im Wandel – das Virus hat diesen nicht verursacht, es beschleunigt ihn nur.In den Lockdown-Monaten April bis Juni lag die Kreditvergabe in der privaten Baufinanzierung auf dem Niveau des Vorquartals. Auch die Miet- und Kaufpreise blieben stabil, zum Teil sind sie sogar inmitten der Pandemie gestiegen. Ein ähnliches Bild zeigt sich am Vermietungsmarkt gewerblicher Wohninvestments. Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Schließlich haben sich die Rahmenbedingungen nicht geändert. Trotz zunehmender Bautätigkeiten herrscht vielerorts ein spürbarer Nachfrageüberhang. Dank des dauerhaften Zinstiefs bleibt der Immobilienkauf für Privatpersonen erschwinglich. Es ist demnach auch für die kommenden Monate nicht zu erwarten, dass die Pandemie signifikanten Einfluss auf den Wohnimmobilienmarkt hat. Demografie verändert BedarfViel wichtiger für die Akteure am Wohnungsmarkt ist der demografische Wandel. Die Zahl der über 65-Jährigen steigt von derzeit 18 Millionen auf voraussichtlich 23 Millionen bis zum Jahr 2040. Mit der voranschreitenden Alterung der Gesellschaft nimmt auch die Anzahl der Single-Haushalte zu. Und mit ihr die Bedürfnisse an den eigenen Wohnraum. Wenig Quadratmeter, ein bis zwei Zimmer, ebenerdig und in zentraler Lage sind Kriterien, die für alleinstehende “Best-Ager” ausschlaggebend sind. Die Nachfrage teilen sie sich mit jungen Menschen, die für ihre Ausbildung, ihr Studium oder einen Job in die Mittel- und Großstädte ziehen. Folglich steigt die Menge der Haushalte in Deutschland, während die der Einwohner sinkt. Die Zahl der von zwei Personen genutzten Wohnungen bleibt stabil, größere Haushalte werden weniger. Die Nachfrage nach Einfamilienhäusern und Wohneinheiten mit vier und mehr Zimmern dürfte vor diesem Hintergrund schwächer werden. Projektentwickler, Bauträger und Wohnungsbaugesellschaften sollten also den Megatrend des demografischen Wandels genau im Blick behalten.Der Büroimmobilienmarkt war zu Beginn des Jahres vielerorts leergefegt. Aus diesem Grund sind in absehbarer Zeit keine hohen Leerstände und signifikant sinkende Mieten zu erwarten. Allerdings trübt sich die zuvor dynamische Entwicklung derzeit ein, was mittelfristig so bleiben dürfte. Interessant ist, dass die Pandemie flexibles Arbeiten in allen Unternehmen auf die Tagesordnung gesetzt hat. Für viele Firmen geschah dies von heute auf morgen. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema wäre aber früher oder später ohnehin gleichermaßen auf Anbieter von Büroarbeitsplätzen und auf Arbeitgeber zugekommen. Das vieldiskutierte Arbeiten vom heimischen Schreibtisch ist dabei nur ein Aspekt. Zweifelsfrei hat es sich im laufenden Jahr bewährt und wird als Bestandteil einer neuen Arbeitskultur bestehen bleiben. Zentraler WettbewerbsfaktorViel zentraler ist jedoch die sich angesichts der Digitalisierung wandelnde Struktur der nachgefragten Flächen. Projektorientierte, kreative Arbeit in Teams ist für viele Branchen unabdingbar. Sachbearbeitung in Zellbüros verliert hingegen an Bedeutung. Die unter 30-Jährigen werden in der Arbeitswelt zahlreicher, beschleunigt durch die beginnende Ruhestandswelle der Babyboomer. Für junge Menschen sind Büros offene Orte der Kommunikation und der Kreativität mit einer hohen Aufenthaltsqualität.Eine größer werdende Rolle spielt die technische Ausstattung. Schnelles Internet und belastbare Server sind zentrale Wettbewerbsfaktoren. Die Büroflächen in Deutschland sind im Gegensatz zu ihren künftigen Nutzern zum Großteil über 30 Jahre alt. Ihre Anbieter müssen sich spätestens jetzt mit der Frage beschäftigen, wie sie den sich verändernden Anforderungen nachkommen können. Schwierig für den EinzelhandelDie aktuelle Situation für den innerstädtischen Einzelhandel ist schwierig, teilweise prekär. Wie auch der Büromarkt unterliegt der Handel dem Megatrend der Digitalisierung. Der E-Commerce befindet sich im Aufwind. Sein Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz stieg seit 2009 in einer nahezu linearen Entwicklung von 4 auf 10 %. Die digitale Konkurrenz wurde von Retailern der Mode- und Elektronikbranche lange unterschätzt. Die Unternehmen setzten auf ein engmaschiges Filialnetz. Dadurch nahm auch die Verkaufsfläche weiter zu, neue Einkaufszentren entstanden und die Spitzenmieten kletterten im Jahr 2017 auf rund 300 Euro pro Quadratmeter in den sieben einwohnerstärksten Städten Deutschlands. Bereits 2018 setzte ein leichter Rückgang der Mietpreise ein, ein Jahr später verzeichneten auch die Top-Standorte sinkende Mieten.Die jetzige Entwicklung inklusive einer Nachfrageverschiebung in Richtung Gastronomie und Nahversorgung zeichnete sich demnach bereits unter weitaus günstigeren wirtschaftlichen Bedingungen ab. Restaurants, Drogerien und Citymärkte allein lösen jedoch noch keinen Strukturwandel aus. Es ist nicht auszuschließen, dass sich unsere Innenstädte am Beginn eines tiefgreifenden Wandels von reinen Shoppingstraßenzügen in Richtung mischgenutzter Quartiere zum Wohnen, Arbeiten und Einkaufen befinden. Sicherer Anker für InvestmentsEin Blick auf den Investmentmarkt zeigt, dass die Anleger bei allen Unwägbarkeiten dennoch von der Standhaftigkeit des deutschen Immobilienmarkts überzeugt sind. Die Bundesrepublik hat die Pandemie bislang vergleichsweise gut im Griff und kann die wirtschaftlichen Folgen dank ihrer hohen Finanzkraft wirkungsvoll eindämmen. Damit untermauert der hiesige Markt seine Rolle als sicherer Anker für Investitionen. Zeitgleich bleiben auch hier die Rahmenbedingungen unverändert. Anleiherenditen sind ebenso negativ geblieben wie die Zinsen tief. Zur Überwindung der Wirtschaftskrise wird die Europäische Zentralbank weiterhin auf eine expansive Geldpolitik mit umfangreichen Anleihekäufen setzen. Der Renditevorteil für Immobilien bleibt uns also erhalten – und damit auch das Interesse der Investoren. Wandel aktiv mitgestaltenInsgesamt ist das Jahr 2020 herausfordernd – auch für große Teile der Immobilienbranche. Aber der Markt in Deutschland ist robust. Es zeigt sich gerade jetzt, dass der Aufschwung der vergangenen Dekade immer an solide Fundamentaldaten gekoppelt war. Wichtig ist, dass die Branche den gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestaltet. Denn die Pandemie ist ein Ereignis, dessen Auswirkungen abklingen dürften. Die Megatrends Demografie und insbesondere Digitalisierung nehmen hingegen gerade erst Fahrt auf. Georg Reutter, Vorstandsvorsitzender der DZ Hyp AG