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"Bestmöglicher politischer Kompromiss" im Praxistest

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 3.1.2018 Drei EU-Regelwerke, ein Ziel: Die neuen Vorhaben Priips und Mifid II sowie die bisherige OGAW-Richtlinie sollen allesamt mehr Transparenz für den Anleger ermöglichen, doch gemeinsam stiftet das...

"Bestmöglicher politischer Kompromiss" im Praxistest

Von Jan Schrader, FrankfurtDrei EU-Regelwerke, ein Ziel: Die neuen Vorhaben Priips und Mifid II sowie die bisherige OGAW-Richtlinie sollen allesamt mehr Transparenz für den Anleger ermöglichen, doch gemeinsam stiftet das Dreiergespann fortan womöglich Verwirrung. Denn je nach Produkt erhält der Anleger künftig unterschiedliche Informationen. Erwirbt er einen gewöhnlichen Wertpapierfonds, erhält er ähnlich wie seit 2011 die “wesentliche Anlegerinformation”, die bis mindestens Ende 2019 in Anlehnung an die OGAW-Regeln ausgeteilt wird, sofern der Fondsanbieter nicht freiwillig auf das Priips-Informationsblatt umsattelt. Das neue Papier wiederum basiert auf der gleichnamigen EU-Verordnung, die seit Montag greift. Es muss etwa für Zertifikate und für Lebensversicherungen ausgewiesen werden – und damit für Fonds, die im Versicherungsmantel verkauft werden.Und dann gilt für alle Wertpapierprodukte ab heute obendrein noch das EU-Regelwerk Mifid II, das seit Jahren in der Branche für Aufwand und Gesprächsstoff sorgt. Die Kosten für Wertpapierprodukte müssen demnach vorab und mindestens jährlich auch im Nachhinein genau aufgeschlüsselt werden. Dem Anleger blühen unterschiedliche Angaben, denn die EU brachte die unterschiedlichen Regelwerke in getrennten Verfahren auf den Weg. Während Mifid II der beratenden Wertpapierfirma Transparenzvorgaben macht und somit auch Kosten der Beratung umfasst, wird das Priips-Papier wie auch die wesentliche Anlegerinformation vom Hersteller verfasst und gibt somit lediglich auf Produktebene Auskunft. Unterschiedlich gerechnetDie Branche zeigt sich empört. Der deutsche Fondsverband BVI warnt vor einem “Flickenteppich an widersprüchlichen Informationen”. Für Unmut sorgt insbesondere die Rechenmethodik für die Positionen im Priips-Informationsblatt. Das Papier verwirre die Sparer und führe sie schlimmstenfalls auf die falsche Fährte, beklagt der europäische Fondsverband Efama. In seltener Eintracht hat sich sogar die europäische Anlegerschutzorganisation Better Finance der Kritik angeschlossen.Umstritten sind insbesondere zwei Rechengrößen im Priips-Papier: erstens die Transaktionskosten. Kauft oder verkauft etwa ein Fonds Wertpapiere, entstehen dabei nicht nur direkte Kosten für die Ausführung. Weil ein Fondsmanager in großem Umfang Aufträge tätigt, beeinflusst er möglicherweise auch die Kurse zu seinen Ungunsten. Da der Effekt jedoch nur geschätzt werden kann und eine genaue Beobachtung der Kurse erfordert, sind die Angaben aus Sicht der Kritiker ungenau und die Verfahren aufwendig. Am Ende können je nach Konstellation sogar negative Transaktionskosten – also ein Plus für den Anleger – auf dem Zettel stehen.Während die Branche sich an der Angabe von Transaktionskosten reibt, stuft Kapitalmarktforscher Lutz Johanning von der Otto Beisheim School of Management (WHU) die Schätzung aber als sinnvoll ein. Die Transaktionskosten seien mitunter ein wesentlicher Kostenblock, der geschätzt auf ungefähr 1 % pro Jahr anschwellen könne, je nach Handelshäufigkeit, Marktgegebenheit und Größe des Fonds. Allerdings sollten die Anbieter aus seiner Sicht auch ein vereinfachtes Verfahren nutzen dürfen. Mifid II sehe wiederum andere Vorgaben für die Transaktionskosten vor, moniert er.Kritischer sieht der Fachmann zweitens die Priips-Schätzung für künftige Kursentwicklungen und liegt damit in etwa auf Linie der Branche. Denn die Berechnung der drei Basis-Szenarien und eines Stress-Szenarios erfolgt auf Grundlage bisheriger Entwicklungen, was bei zuvor außergewöhnlichem Verlauf zu einer unrealistischen Prognose führe. Bei der Kalkulation von Risiken führe eine vereinheitlichte Laufzeit in die Irre, sagt Johanning. Für langlaufende Produkte wie eine fondsgebundene Lebensversicherung oder Kurzläufer wie bestimmte Zertifikate ergäben sich womöglich unpassende Größen. “Ein Sprinter rennt schneller als ein Langläufer, das bedeutet aber nicht, dass er auch auf mittlerer Distanz schneller wäre”, sagt er. Insgesamt befürworte er das Transparenzvorhaben jedoch.Der Fondsverband Efama und Anlegerschützer von Better Finance kritisieren, dass die Angaben bisheriger Anlageergebnisse wie in den allgemeinen Anlegerinformationen im neuen Priips-Informationsblatt nicht mehr enthalten sind. Zwar sind Entwicklungen der Vergangenheit nicht ohne Weiteres auf die Zukunft übertragbar – allerdings geben unterschiedliche Renditen im Zeitverlauf dem Anleger ein Gespür, wie sich ein Produkt ungefähr verhält, wie die Efama argumentiert. Schwieriger StartDie Finanzbranche stand zuletzt unter Zeitdruck, alle notwendigen Daten für Fonds und Zertifikate zu liefern – möglich, dass der Vertrieb einiger Produkte ab dem heutigen Mittwoch für kurze Zeit stillsteht, weil bestimmte Angaben wie etwa die erforderliche Zielmarktdefinition nach Mifid II fehlen. Auf lange Sicht zählt für den Vertrieb, wie der Anleger mit den Informationen umgeht. Ob er die zusätzlichen Angaben genauer studiert oder aber verwirrt die Preisinformationen zur Seite legt, ist umstritten. Offen ist auch, ob die Angaben in der Praxis tatsächlich so irreführend ausfallen, wie von Kritikern behauptet wird.Ohnehin könnten die ungleichen Angaben schon bald überarbeitet werden. Bereits in diesem Jahr wird die EU-Kommission die Priips-Verordnung evaluieren. Der Praxistest des umstrittenen Standards, der von der deutschen Finanzaufsicht BaFin als “bestmöglicher politischer Kompromiss” bezeichnet wird, steht aus.