SERIE: IMMOBILIENMÄRKTE IM AUSNAHMEZUSTAND (10)

Bremse bei Immobilienpreisblasen

Bundesregierung bringt neue Eingriffsrechte der Finanzaufsicht auf den parlamentarischen Weg

Bremse bei Immobilienpreisblasen

Ein neues Gesetz soll Unklarheiten bei der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beseitigen und der Aufsicht neue Befugnisse gegen die Entwicklung von Preisblasen am Immobilienmarkt einräumen. Doch die Zeit drängt angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl.Von Angela Wefers, BerlinKurz vor dem Jahreswechsel hat die Bundesregierung beim rechtlichen Rahmen für Wohnimmobilienkredite Gas gegeben. Das Kabinett beschloss mit dem “Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz” ein Maßnahmenpaket, das allerdings in seiner Wirkung in zwei verschiedene Richtungen strebt. Es lockert und bremst zugleich die Möglichkeiten, Wohnimmobilienkredite zu vergeben. Bremsend wirken neue Rechte, die die Finanzaufsicht BaFin erhält. Falls sich eine Preisblase im Markt für Wohnimmobilien abzeichnet, soll die BaFin künftig früher eingreifen dürfen, um Funktionsfähigkeit des Finanzsystems und Finanzstabilität im Inland abzusichern. Sie kann die Kreditvergabe der Banken und Sparkassen von bestimmten Mindeststandards abhängig machen und die Vorgaben für das Neukreditgeschäft damit verschärfen. Dieses Regelwerk wird vorsorglich eingeführt. Es wird gelockertDasselbe Gesetzgebungsverfahren nimmt die Regierung als Vehikel, um vermeintliche Beschränkungen in der hierzulande umgesetzten EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie wieder zu lockern. Dazu werden rechtliche Unklarheiten ausgeräumt, die das Kreditgeschäft gebremst hatten. Das deutsche Recht war erst im März 2016 in Kraft getreten, hatte aber in der Kreditbranche schnell für Unruhe gesorgt. Einige Banken und Sparkassen hielten es auf der neuen Rechtsgrundlage für schwierig, jungen Familien und älteren Menschen Kredit für Wohnimmobilien zu geben. Wegen unbestimmter Rechtsbegriffe fürchteten sie eine verschärfte Haftung für die Bonitätsprüfung.Die Richtlinie stellt bei der Kreditvergabe weniger als bisher auf den Wert des Objekts ab, sondern stärker auf die Rückzahlungsfähigkeit des Darlehensnehmers. Dafür sind jungen Familien oft zu arm, ältere Menschen leben nicht mehr lang genug. Die Novelle soll sicherstellen, dass die Kreditvergabe nicht ungewollt eingeschränkt wird.Um das “Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz” ist lang politisch gerungen worden. Denn schon im Juni 2015 hatte der Ausschuss für Finanzstabilität aus Bundesfinanzministerium, BaFin und Bundesbank der Regierung aufgetragen, aufsichtsrechtliche Eingriffsmöglichkeiten zu schaffen, noch bevor die Lage am Immobilienmarkt für die Finanzstabilität bedrohlich wird. Der Ausschuss war nach der Finanzkrise 2008 etabliert worden und soll Instabilitäten im Finanzmarkt erkennen und ihnen vorbeugen.Platzt eine Preisblase am Immobilienmarkt wie in der Krise in Spanien, rutscht schlagartig der Wert für Häuser und Wohnungen und damit die Kreditsicherheit. Kann der Kreditnehmer nicht zahlen, bleiben die Institute auf notleidenden Darlehen sitzen. Kredite zum Bau oder zum Erwerb von Wohnimmobilien haben erheblichen Stellenwert für die Finanzmarktstabilität. Laut Bundesregierung machen sie hierzulande rund 70 % der gesamten Verbindlichkeiten des Haushaltssektors sowie rund 50 % des gesamten Kreditvolumens inländischer Banken gegenüber Privatpersonen und Unternehmen aus. Zudem hängt der Bausektor daran, der maßgeblich zur gesamtwirtschaftlichen Produktion im Inland beiträgt. Versuch einer BalanceDie Gespräche zwischen Bundesfinanzministerium, BaFin und Bundesbank dauerten mehr als ein Jahr, weil das neue Aufsichtsrecht nicht die Kreditvergabe einschränken und die Bürokratie für Banken und Sparkassen erhöhen, aber zugleich wirksam sein soll. Das Bundesfinanzministerium ist nun überzeugt, mit dem Entwurf die richtige Balance gefunden zu habe. Die neuen Möglichkeiten sollen lediglich spekulative Übertreibung an den Immobilienmärkten vermeiden. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, werden Darlehensgeber aus allen Bereichen des Finanzsektors erfasst.Die zusätzlichen Eingriffsrechte für die BaFin werden im Kreditwesengesetz (KWG), im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) verankert. Vier neue Instrumente werden geschaffen, mit denen die Kreditvergabe beschränkt werden kann: erstens eine Obergrenze für das Verhältnis zwischen Darlehenshöhe und Immobilienwert, zweitens die Vorgabe eines Zeitraums, in dem ein bestimmter Anteil des Darlehens getilgt werden muss bzw. eine maximale Laufzeit, drittens die Anforderungen an die Schuldendienstfähigkeit im Verhältnis zum Einkommen oder eine Untergrenze für den Schuldendienstdeckungsgrad und viertens eine Obergrenze für das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und Einkommen (siehe Kasten).Für die Kreditbranche ist die Einführung der Vorgaben zunächst ohne direkte Auswirkung, da die Aufsicht die Vorgaben erst scharf stellt, wenn die Lage es gebietet. Kritiker wenden ein, dass die Vielzahl von Kennzahlen wenig handhabbar ist und verwirren könnte. Sie plädieren dafür, im Markt bewährte Kenngrößen zu verwenden. Für andere Branchenkenner ist weniger die rechtliche Vorgabe von Bedeutung als die Frage, wie die BaFin vorgehen wird, wenn sie die Instrumente erstmals anwendet. Dies soll eine neue Rechtsverordnung des Bundesfinanzministeriums regeln. Auch die Ressorts Wirtschaft, Justiz und Bau sind eingebunden. Die Spitzenverbände der Kreditbranche werden zur Umsetzung und Wirkung angehört. Der Finanzausschuss des Bundestags soll ebenso unterrichtet werden wie europäische Stellen.Das Gesetz regelt, dass die BaFin im Fall der Aktivierung auch Freikontingente und Bagatellgrenzen für das Neugeschäft anordnen wird. Kredite für den sozialen Wohnungsbau, die Renovierung von Wohnimmobilien und Anschlussfinanzierungen sind ohnehin ausgenommen. Bei der Aktivierung kann die BaFin differenziert vorgehen und die Instrumente einzeln oder kombiniert einsetzen. Sie können nur für bestimmte Teile des Neugeschäfts gelten – etwa Darlehen für nicht selbst genutzte Wohnimmobilien oder Wohneigentum in bestimmten Regionen. Auch Unterschiede zwischen Bestandsimmobilien und Neubauten sind möglich.Entlastend für die Kreditbranche ist, dass der Entwurf keine neue Grundlage für die aufwendige Erhebung von Daten schafft. Der Ausschuss für Finanzstabilität hatte dies ursprünglich empfohlen, um eine Basis für seine makroprudenzielle Analyse des Finanzmarktes zu bekommen. Für die Finanzbranche hätte dies neue, kostenträchtige Meldepflichten bedeutet. Die laufenden europäischen Vorhaben zur Datenerhebung will die Bundesregierung dazu nun erst einmal abwarten.Mit einigen Klarstellungen zur umgesetzten Wohnimmobilienkreditrichtlinie will die Bundesregierung die in einigen Bereichen stockende Kreditvergabe wieder beflügeln. So wird festgehalten, dass Immobilienverzehrkredite nicht unter die strengen Vorschriften für Verbraucherkredite fallen. Auch Wertsteigerungen durch eine Renovierung oder einen altersgerechten Umbau können bei der Kreditwürdigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Auch dies soll die Kreditvergabe an ältere Menschen erleichtern. Politische UnwägbarkeitNach den Plänen der Regierung tritt die Novelle in den meisten Teilen nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in Kraft. Allerdings muss der Entwurf noch Bundestag und Bundesrat passieren. Im Parlament wird die geplante Neuregelung durchaus kritisch beäugt. So wies die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Antje Tillmann, nach dem Kabinettsbeschluss darauf hin, dass die Abgeordneten bei den neuen Eingriffsbefugnissen der Bankenaufsicht gegen Immobilienblasen “genauer hinschauen” werden. Dazu ergäben sich “noch einige Fragen”, zumal es in Deutschland noch keine Erfahrungen mit solchen Befugnissen gebe. Der gut gemeinte Schutz solle “nicht zu Nachteilen für unsere Häuslebauer” führen.Die Zeit wird knapp, will die Koalition die Novelle noch in dieser Legislaturperiode in Kraft setzen. Bis zum Beginn der Sommerpause Ende Juni muss das Gesetzesbündel dafür alle parlamentarischen Hürden genommen haben. Spätestens dann ist der Wahlkampf für die Bundestagswahl im Herbst in vollem Gange, wenn der politische Motor nicht schon vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Mitte Mai ins Stocken gerät. Gesetze, die bis dahin nicht verabschiedet sind, fallen der Diskontinuität anheim. Das heißt, das Gesetzgebungsverfahren verfällt und müsste unter der neuen Regierung komplett neu gestartet werden – mit völlig ungewissem Ausgang.—-Zuletzt erschienen: – “Er läuft und läuft und läuft …” (13.1.)